Inklusion am Gymnasium:"Inklusion am Gymnasium verlangt von Lehrern nichts Unmögliches"

Was das heißt, kann man sich am Gymnasium Links der Weser im rauen Stadtteil Obervieland erklären lassen. Acht Gymnasien gibt es in Bremen, zwei haben Inklusionsklassen, eines davon ist das Gymnasium Links der Weser. Schulleiter Uwe Sudmann und Birgit Wiesenbach, Leiterin des hauseigenen Zentrums für unterstützende Pädagogik (ZuP), empfangen zu einem kleinen Rundgang. Inklusion hat an ihrer Schule Tradition, die schon vor der Bremer Schulreform von 2009 begann und auf eine Kooperation mit dem benachbarten Förderzentrum zurückgeht. Heute führt das Gymnasium sieben Inklusionsklassen mit maximal fünf W&E-Kindern und -Jugendlichen. Diese haben die unterschiedlichsten geistigen Behinderungen, teilweise so schwere, dass man sie tatsächlich nicht am Regelunterricht teilnehmen lassen kann. Aber das hat ja auch keiner vor.

"Es ist ein Missverständnis, dass diese Kinder ständig mit den Regelkindern in einem Klassenzimmer sitzen und für sie zum Hemmnis werden", sagt Sudmann. Inklusionsklassenzimmer bestehen aus zwei Räumen, die durch eine Tür verbunden sind. In dem größeren läuft der Regelunterricht, an dem die W&E-Kinder je nach Begabung zeitweise teilnehmen. In dem kleineren bekommen die W&E-Kinder ihre individuelle Betreuung. Der Raum hat eine Küchenzeile für das Fach Hauswirtschaft, das Alltagstätigkeiten vermittelt: einkaufen, kochen, abspülen. Ein behindertengerechtes Bad gehört zur Ausstattung, ein Differenzierungsraum als Rückzugsort.

Ein Förderschullehrer und eine Klassenassistenz betreuen die Gruppe. Für ein mehrfach behindertes Kind kommt eine dritte Kraft hinzu. In Berührung mit der Regelklasse kommen die W&E-Kinder vor allem in Fächern wie Sport oder Kunst, bei Klassenfahrten oder zwischendurch im Schulhaus. Ihre zwölfjährige Schulpflicht endet nicht in der Oberstufe, sondern meistens in Werkstufen zur Berufsvorbereitung. Sie pauken nicht für das Abitur, sondern sammeln Erfahrungen im sozialen Gefüge. "Es geht für sie um Lebenspraxis", sagt Birgit Wiesenbach und findet: "Inklusion am Gymnasium verlangt von Lehrern nichts Unmögliches, sondern schafft Teilhabe im Rahmen des Machbaren."

Aber die räumlichen Voraussetzungen müssen dafür in der Tat gegeben sein - womit man wieder bei der Klage von Christel Kelm wäre. Siegbert Meß, Vorsitzender des Schulvereins und gleichzeitig Elternvertreter am Gymnasium Horn, ist auf ihrer Seite. Dass die Klage kein Anschlag auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ist, ist für ihn klar: "Wir sind fest davon überzeugt, dass das Ziel der Eltern, der Lehrkräfte und der Direktorin darin liegt, Ja zur Inklusion zu sagen, Ja - aber richtig: gerecht und rechtsstaatlich korrekt."

Das Gymnasium Horn ist nicht inklusionsgerecht ausgestattet - trotz der jahrelangen Sanierung. Außerdem kann sich Christel Kelm auf das Bremer Schulgesetz berufen, denn darin steht: "Der Unterricht im Gymnasium berücksichtigt die Lernfähigkeit der Schülerinnen und Schüler mit einem erhöhten Lerntempo auf einem Anforderungsniveau, ermöglicht aber auch den Erwerb der anderen Abschlüsse."

Der Paragraf ist widersprüchlich und passt nicht zwingend zur Inklusion. Dass sie eine Herausforderung bleibt, die mehr Fachkräfte und mehr Raum nötig hätte, sagt ja selbst die Bildungsbehörde. Aber muss man deshalb vor Gericht ziehen? Uwe Sudmann nennt die Klage "irritierend". Er und Birgit Wiesenbach finden den Konflikt nicht zeitgemäß, den Christel Kelm damit groß macht.

Elternvertreter Meß wiederum ist der Meinung, dass die Senatorin Bogedan den Ärger leicht hätte verhindern können in diesen Zeiten, in denen sie auch wegen der Flüchtlinge mehr W&E-Kinder denn je an den Schulen unterbringen muss. Gespräch statt Verfügung hätte Entspannung gebracht, glaubt er: "Das zentrale Problem heißt Kommunikation." Wer weiß, wozu es gut ist. Siegbert Meß ist jedenfalls gespannt, wie der Rechtsstreit ausgeht: vielleicht mit Auflagen für die Behörde, die das inklusive Schulwesen stärker machen.

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