Süddeutsche Zeitung

Umfrage:Ja zu längerem gemeinsamen Lernen, Jein zur Inklusion, Nein zu Exzellenzunis

Viele Reformen, die das Bildungssystem gerechter machen könnten, wären mehrheitsfähig. Nur beim Geld wird es kompliziert.

Von Bernd Kramer

Die Deutschen haben Vorstellungen im Kopf, die auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammenpassen: Sie glauben, dass der Bildungserfolg vor allem auf eigener Anstrengung beruht und weniger den Umständen geschuldet ist - und beklagen gleichzeitig, dass Kinder aus ärmeren Familien so viel schlechtere Chancen in der Schule haben. Das zeigt das Ifo-Bildungsbarometer.

Die Wirtschaftsforscher wollten in ihrer Umfrage auch wissen, welche Reformen im Bildungssystem in der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen - und auch hier ergibt sich mitunter ein widersprüchliches Bild.

Viele Maßnahmen, die für mehr Chancengleichheit im Bildungssystem sorgen könnten, wären demnach mehrheitsfähig. 83 Prozent sind der Meinung, dass ärmere Studierende mehr Unterstützung bekommen, das Bafög also ausgeweitet werden sollte. 81 Prozent finden, dass Brennpunktschulen mehr Mittel zugewiesen werden sollte; auch höhere Gehälter für Lehrer an solchen Schulen wären im Sinne der Befragten.

Interessant ist auch, dass sogar 61 Prozent der Deutschen es unterstützen würden, wenn Kinder erst nach der 6. Klasse auf die weiterführenden Schulen verteilt werden und nicht wie bisher in vielen Ländern nach der 4. Klasse. Viele Bildungsforscher machen gerade die frühe Aufteilung nach der Grundschule dafür verantwortlich, warum die Bildungserfolge in Deutschland so stark von der sozialen Herkunft abhängen. In Hamburg scheiterte eine entsprechende Reform vor neun Jahren am Widerstand eines Teils der Bevölkerung, in einem Volksentscheid wurde die längere Grundschule abgelehnt.

Auf größere Vorbehalte bei den Deutschen stößt in der Ifo-Umfrage einzig das Thema Inklusion. Nur 44 Prozent sind dafür, dass Kinder mit und ohne Lernschwäche gemeinsam lernen, 41 Prozent sind dagegen. "Sehr viele Reformen wären mehrheitsfähig", sagt Studienautor Philipp Lergetporer vom Ifo-Institut. "Bei der Inklusion sind viele Deutsche aber offenbar verunsichert, welche Effekte das auf Kinder ohne Lernschwierigkeiten hätte."

Fragt man die Deutschen allerdings, wie der Staat Geld im Bildungssystem verteilen sollte, ergibt sich in vielen Punkten ein anderes, teilweise sogar entgegengesetztes Bild: Dann sind die Befragten mit einem Mal nicht mehr unbedingt dafür, die Schwachen gezielter zu fördern. Nur eine Minderheit sagt jeweils, dass zusätzliche Mittel vor allem benachteiligten Personen zugute kommen sollen. Allerdings trifft auch Spitzenförderung auf Vorbehalte: Die Exzellenzstrategie, bei der kürzlich in Deutschland Spitzenunis gekürt und mit Extra-Mitteln ausgestattet wurden, wäre demnach nicht mehrheitsfähig: 58 Prozent der Deutschen sind dagegen, nur 26 Prozent begrüßen eine solche gezielte Förderung.

Wenn das darum geht, wie das Geld verteilt werden soll, haben die meisten eine klare Vorliebe für das Prinzip Gießkanne - trotz aller Reformbegeisterung. Ein Widerspruch, wie auch die Ifo-Forscher fanden. "Trotz der hohen Zustimmungsraten für Maßnahmen gegen Ungleichheit spricht sich die Mehrheit der Deutschen dafür aus, zusätzliche Mittel gleichmäßig wie mit der Gießkanne zu verteilen, statt sie gezielt für benachteiligte Gruppen zu verwenden", sagt Lergetporer. "Dies kann möglicherweise den Kampf gegen die Bildungsungleichheit erschweren."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4578646
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/cku
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.