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Homeschooling:Hier ist die Aufgabe, bitte selbst korrigieren

Lesezeit: 4 min

Das Kind platzt in die Video-Konferenz mit den Kollegen und Lehrer sorgen für Panik mit Ankündigungen für die Klassenarbeit: SZ-Leser berichten von den Herausforderungen beim Heimunterricht - und ungeahnten Glücksmomenten.

Die Schulen haben geschlossen, aber der Unterricht geht - digital. So lautet jedenfalls die Ansage der Kultusministerinnen und Kultusminister für die Corona-Krise. Wenn es nur so einfach wäre.

Viele Lehrerinnen und Lehrer bemühen sich zwar redlich, aber vielen Schulen fehlt die technische Aussattung fürs Distanzlernen. Und ganz ohne die Mithilfe der Eltern geht es auch nicht - aber was, wenn nicht nur das Klassenzimmer der Kinder sondern auch der Arbeitsplatz von Mutter und Vater nach Hause verlegt wurde? Und eigentlich gerade nicht nur die erste Stunde, sondern auch eine wichtige Videokonferenz mit den Kollegen ansteht? Wir haben Leserinnen und Leser gebeten, von ihren Erfahrungen mit dem sogenannten Homeschooling zu berichten.

Multitasking

Es ist acht Uhr. Ich stecke gerade in der morgendlichen Skype-Konferenz mit den Kollegen. Das Schulkind jault. Vorsichtshalber habe ich die Kamera nicht aktiviert. Ich versuche, das Jaulen im Nebenzimmer zu ignorieren. Die Kollegen unterhalten sich gerade darüber, dass die Vorstandsassistentin netterweise die Pflanzen im Büro gießt, während wir im Home-Office abhängen. Ich stelle schnell auf stumm.

"Was ist?", brülle ich ins Zimmer nebenan. Das Schulkind soll mit der Kindersuchmaschine für die Schule Informationen im Internet recherchieren. Es soll zum Beispiel herausfinden, wie lang die Gorch Fock ist. Oder wie die größte Insel Deutschlands heißt. Aber es findet nichts.

Ich finde selbst ebenfalls nichts mit der Kindersuchmaschine. Ich gehe zur Erwachsenensuchmaschine Google und recherchiere fieberhaft, um zu helfen. Da fällt plötzlich mein Name im Skype-Call. "Und Jenny, was ist?"

Mist, habe jetzt nicht mitbekommen, um was es ging. Ich schalte schnell das Mikrofon ein. "Ja, ich kümmere mich."

Schnell mache ich das Mikrofon aus, während das Kind in Tränen ausbricht, weil wir noch nichts gefunden haben. Ich muss später unbedingt meine Kollegin anrufen und sie fragen, worum es ging. Eine Mutter

Plötzlich ist alles ganz klar

Ich bin selbst Schülerin und kann die Aufgeregtheit nur bedingt nachvollziehen.

Ständig heißt es: "Ich schaffe das zu Hause nicht. Ich brauche den Lehrer, der mir etwas erklären kann."

Oder die Eltern: "Wir sollen jetzt auch noch den Lehrerjob übernehmen, obwohl wir dazu nicht ausgebildet sind."

Meine persönlichen Erfahrungen sind anders. Meine Eltern haben überhaupt nichts zu tun mit den Sachen, die ich jetzt für die Schule mache. Wenn ich etwas nicht verstehe, versuche ich es selbst herauszufinden, frage das Internet oder Freunde. Und ich bin bei Weitem keine Schülerin, der alles so zufliegt. Ich bin eigentlich oft ziemlich schlecht in der Schule. Jetzt durch Homeschooling habe ich sogar das Gefühl, ich arbeite schneller, effizienter und verstehe viel mehr.

Ich hätte mir gewünscht, dass es diese Möglichkeit schon früher gegeben hätte. Der vorgegebene Ablauf in der Schule bereitet mir schon seit Jahren Schwierigkeiten. Die Situation jetzt ist die Erfüllung meiner Wünsche. Vielleicht macht man sich in der Politik einmal Gedanken, wie sinnvoll die Schulpflicht ist, wie wir sie bisher hatten. Julia G.

"Ich habe den Überblick verloren"

Ich gebe zu: Ich habe mittlerweile den Überblick verloren. In der ersten Woche war noch alles gut - da konnten die Kinder die Arbeitsblätter selbständig bearbeiten, weil lediglich der Stoff wiederholt wurde. Aber der Lehrplan soll bis zum Ende des Jahres irgendwie geschafft sein, dadurch steht jetzt auch viel Neues an.

Den Großteil der Aufgaben können meine Kinder nun leider erst bewältigen, nachdem ich mich selbst in alle neuen Themen eingearbeitet habe... Was waren noch gleich Modaladverbien? Wie berechnet man den Tangens einer Pyramide? Grmmmmpfff... Mittlerweile habe ich 163 Arbeitsblätter ausgedruckt und kämpfe mich mehrmals täglich durch verschiedene Kommunikationsforen, um über alle Aufträge ansatzweise informiert zu sein. Ein Teil kommt per Mail, ein Teil landet im schuleigenen Elternforum, ein weiterer Teil wird in Unterkategorien der landesweiten Lernplattform eingespeist. Nachträge gibt es manchmal auch als WhatsApp im Klassenchat.

Ich darf zum Glück im Home-Office arbeiten und habe so die Möglichkeit, immer mal wieder eine halbe Stunde abzuzwacken, um meinen Töchtern weiterzuhelfen und die wichtigsten Fragen zu klären. Aber wenn mich jedes Fach täglich bei zwei Kindern je eine Viertelstunde kostet fürs Ausdrucken der Arbeitsblätter, eine Minimal-Erklärung, das Einscannen der Lösungen und Zurückschicken an die Lehrer, frage ich mich ernsthaft, wie ich weiterhin zusätzlich meine Arbeitsstunden leisten soll?!

Meine große Tochter soll im Juni Realschulabschlussprüfungen schreiben - ein Teil des Stoffes, der abschlussrelevant ist, muss sie sich jetzt alleine beibringen. Hier fände ich es zumindest fair, wenn die Prüfungen nur den wirklich in der Schule von ausgebildeten Lehrkräften vermittelten Teil umfassen würde. Nicola Becker

Es läuft

Wir haben einen inzwischen fast 15-jährigen Sohn, der die 9. Klasse eines Gymnasiums besucht. In den ersten Tag war der Aufwand enorm: Die Lehrer schickten die Aufgaben an die Klassenlehrer, der schickt sie gesammelt an die Elternvertreter und die verteilten sie per Mail an die übrigen Eltern. Jetzt läuft es über eine Lernplattform und es funktioniert prima. Die Lehrer stellen Aufgaben ein, legen Abgabetermine fest und es gibt sogar Unterricht, bei dem alle Schüler einer Klasse im Classroom sind und der Lehrer per Chat mitmischt. Die Kinder machen zusätzlich Partneraufgaben über einen Messengerdienst oder per Telefon.

Das Wlan läuft heiß, aber ich habe den Eindruck: Es läuft. Auf einmal wird morgens am Frühstück ein Zeitplan erstellt, wann was zu tun ist, Pausen miteingebaut. Unser Sohn sitzt bestimmt täglich sechs Stunden an den Aufgaben. Seine Entwicklung ist enorm. Das Kind war noch nie so entspannt. Ohne Druck zu lernen hat etwas. Und ich behaupte, dass nicht weniger gelernt wird. Claudia E.

Und dann kam eine Mail wegen der Klassenarbeit

Homeschooling mit meinen beiden Jungs - 13 Jahre, Realschule, und 15 Jahre, Gymnasium - ist ein großes Experiment. Ich lasse den Drucker auf Hochtouren laufen, bestelle Toner nach, mime den Motivator, kommuniziere mit den Lehrern und arbeite nebenher Vollzeit.

Am meisten beschäftigt mich, dass insbesondere bei meinem jüngeren Sohn in den Hauptfächern ausschließlich neuer Stoff von mir "unterrichtet" wird. Seinen Aufsatz in Deutsch sollte mein Sohn anhand einer Musterlösung selbst korrigieren. Besonderen Druck hat dann die Nachricht einer Lehrerin aufgebaut, die die Übersicht für den Stoff einer Klassenarbeit am 28. April mitschickte. Die Hälfte davon müsste von mir im Homeschooling eher mäßig an den jungen Mann gebracht werden. Aber sie versuchte Mut zu machen: In der ersten Schulwoche nach den Osterferien seien ja noch fünf Schulstunden Zeit, um den Stoff aus dem Homeschooling zu wiederholen. Da mache ich mir dann Mut, indem ich auf längere Schulschließungen auch nach den Osterferien hoffe, die den Zeitplan dieser Lehrkraft hoffentlich durcheinander bringen.

Im Ernst, ich hoffe, dass wir diese Krise alle gemeinsam bestmöglich überwinden. Trotzdem würde ich mir von einigen Lehrern gerade jetzt etwas mehr Einfühlungsvermögen wünschen. Sabine F.

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