Süddeutsche Zeitung

Hausunterricht:Seite 88 bis Dienstag, Fach unklar

Die Lernplattform wird von Hackern lahmgelegt, die Stadtbibliothek schließt mitsamt den Büchern für die Facharbeit und die Arbeitsanweisungen der Lehrer sind mitunter kryptisch: Wie Eltern das Homeschooling erleben.

Die Corona-Krise hat unzählige Lehrer von den Tafeln ins Home-Office vertrieben und sie zu Improvisateuren des Distanzunterrichts gemacht, mit Eltern als Aufsichtshelfern im Nebenjob. Und Kindern, bei denen nicht immer klar ist, ob sie der Versuchung widerstehen können, die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen.

Klar, dass das nicht immer ohne Komplikationen läuft. Mal ist es zum Verzweifeln, mal aber auch zum Lachen. Aber eine interessante Erfahung ist der Hausunterricht allemal, wie SZ-Autoren berichten.

"Neue Kontaktanfrage einer Fachlehrkraft"

Tag eins der ersten Woche Homeschooling plus Home-Office fängt motivierend an. Mebis, die millionenschwere bayerische Superlernplattform, wird von Hackern lahmgelegt. Zu Hause bricht Jubel aus ob der gut gemeinten Initiative unbekannter Kumpels, aber nur verhalten.

Denn unsere beiden Jungs sind lange genug auf ihren Schulen, um zu wissen, dass Mathe-, Latein-, Deutsch- und Englischlehrer irgendwie schon einen Weg finden werden, ihnen ihren Unterricht angedeihen zu lassen. Und tatsächlich: Der Lehrkörper schaltet auf Elternportal um. Das, muss man wissen, ist ein ganz spezielles Tool. Erst bekommt man eine E-Mail, in der steht: "Neue Kontaktanfrage einer Fachlehrkraft. Sie finden die Nachricht im Elternportal unter Meldungen: Kommunikation Eltern/Fachlehrer". Dann muss man ins Elternportal wechseln, sich anmelden, einiges anklicken, und schon hat man die Mail des Lehrers - mit meist mehr oder weniger klarer Anweisung, was die Schützlinge zu Hause zu tun hätten nebst Arbeitsaufträgen, die gesondert anzuklicken sind.

Manche Lehrer meinen es besonders gut und schicken mehrere Kontaktanfragen unmittelbar hintereinander mit jeweils einem Arbeitsauftrag. Am Ende stellt sich heraus, dass sie alle zusammengehören. Hätte man also auch zusammen schicken können. Doch das ist ohnehin das kleinere Problem. Das größere lautet: Wie leitet man die Nachricht an die Jugendlichen weiter?

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Schnell stellt man fest, dass Beantworten zwar funktioniert, wenn auch nur mit sehr begrenzter Zeichenanzahl. Aber Weiterleiten? Nee, zu kompliziert für das Tool. Die Jungs üben sich derweil an der geforderten Flexibilität. So halten sie sich, sehr selbständig, allzeit an ihren PCs bereit. Da Mebis immer mal wieder gar nicht oder nur sehr schleppend funktioniert, switchen sie eben auf den Filmstreamingdienst oder das tolle Computerspiel.

Mama und Papa dagegen drucken Arbeitsaufträge aus, ordnen sie, heften sie zusammen und freuen sich auch über die Arbeitsaufträge aus Nebenfächern wie Musik und Kunst. Und kommunizieren mit den Lehrern mit der Bitte um pragmatische Lösungen. Zum Beispiel eine E-Mail, mit der für jedes Kind alle Arbeitsaufträge aller Lehrer einer Woche gebündelt und fertig zum Ausdrucken ankommen. Das wär's. Edeltraud Rattenhuber

Die Bibliothek schließt, mitsamt der bestellten Bücher

Wenige Tage vor der Schließung aller Schulen kommt der 16-jährige Gymnasiast nach Hause und erzählt, dass er in drei Wochen ein Exposé seiner künftigen Facharbeit abliefern muss. Okay, das bedeutet ranhalten, denn er hat ja noch Mathe, Englisch, all die Nebenfächer, und obendrein will er endlich auch Fahrstunden nehmen. Wie immer ist die Zeit knapp. Wie knapp sie ist, wissen wir noch gar nicht. Am Wochenende wird intensiv in Opac - dem Online-Katalog der Universitätsbibliothek - geforscht, denn die Bücherei der lokalen Kreisstadt hat wenig zu bieten in Sachen Rhetorik, Cicero und Politik. Sechs Bücher kommen in die nähere Auswahl und werden in der städtischen Bücherei per Fernleihe bestellt. Alles gut? Von wegen.

Drei Tage später: Schulschließung.

Weitere drei Tage später: Alle bayerischen Bibliotheken schließen.

Und keine Nachricht zu den bestellten Büchern. Verflixt.

Dafür trifft eine Nachricht vom Lehrer ein: Er werde wegen der aktuellen Situation möglicherweise den Abgabetermin verschieben, aber eigentlich hätten ja alle schon genügend Vorbereitungszeit gehabt. Panik macht sich breit, und es bleibt nur der Klick zum größten aller großen Versandhändler, bei dem wir kurzerhand zwei Grundlagenwerke bestellen. Die machen sich auch nach der Facharbeit immer gut im Bücherschrank. Zwei Tage später treffen die 40 Euro teuren Werke per Post ein, der Schüler kann also trotz Corona-Universalschließung arbeiten. Das Geld ist egal.

Wie sind Ihre Erfahrungen?

Die langweiligen Aufgaben, die schreckliche Chefin, der überbordende Stress, die fehlenden Perspektiven: Es gibt genug Gründe, den eigenen Job nicht zu mögen. Aber was, wenn man in einer Wirtschaftskrise wie jetzt auf ihn angewiesen ist? Wenn sich alle längst gefassten Kündigungspläne zerschlagen? Kennen Sie diese Situation? Schildern Sie uns Ihre Erfahrungen in einer E-Mail mit dem Betreff "Corona-Jobfrust" an karriere-online@sz.de.

Eine Auswahl möchten wir in anonymisierter Form veröffentlichen, gegebenenfalls gekürzt. Je konkreter und anschaulicher Sie Ihre Erlebnisse und Ihre Situation schildern können, desto besser können wir mit Ihrem Erfahrungsbericht arbeiten. Wir freuen uns auf Ihre Einsendungen.

Weitere zwei Tage später: der Anruf aus der Stadtbücherei. Man könne die bestellten Bücher an der Tür abholen, bitte vorher klingeln.

Jetzt haben wir eben manches doppelt. Das ist immer noch besser als gar nichts zu haben: Zwei Mitschüler waren später dran mit der Fernleihe, und die ist mittlerweile eingestellt. Das kann teuer werden. Johanna Pfund

Kein Drucker? Dann malen wir die Arbeitsblätter eben ab

Man sagt, der Mensch wachse an seinen Herausforderungen, in Wahrheit aber sind es vor allem die Kinder, die wachsen, und ihre lebensalterspezifischen Herausforderungen ins Haus schleppen. Beim Homeschooling zum Beispiel ist das Risiko, dass ein tränenüberströmter Zwölftklässler in die Telefonkonferenz platzt, weil der abzuschreibende Satz auf dem Arbeitsblatt die vorgedruckte Lineatur sprengt, eher gering. Bei einer Zweitklässlerin, wie in unserem Fall, liegt das dagegen immer im Bereich des Möglichen. Dafür müssen wir uns nicht in die Tiefen der Vektorgeometrie einarbeiten, sondern nur ins kleine Einmaleins. Doch auch das hat seine Tücken.

Das kleine Einmaleins ist bei uns gerade die Matheaufgabe der Stunde. Sie kommt, natürlich, auf Arbeitsblättern daher, und die wiederum kommen per Mail. Das Problem ist nur: Wir haben keinen Drucker. Weil Tagesaufgaben aber nun mal Tagesaufgaben und wir gewissenhafte Leute sind, habe ich die Arbeitsblätter gemalt.

"Du kannst aber schön Hunde malen", sagt meine Tochter, um sich dann zu beschweren, ich hätte nur einen Hund gemalt statt der gebotenen acht. "Symbolbild", murmele ich und male weiter.

Nächstes Blatt. Ich male Stühle. Nächstes Blatt. Ich male ein Rechen-Buchstabenrätsel. Ich male die 8er-Reihe im Einmaleins. Alles klar, nächstes Blatt. "Markiere die Ergebnisse deiner Rechnung in der Hundertertafel", heißt es da.

Was? Okay, jetzt reicht's. Auf keinen Fall schreibe ich die Zahlen von 1 bis 100 in hundert kleine Kästchen.

"Du kannst doch abpausen", schlägt meine Tochter vor.

Ich klingele stattdessen bei der Nachbarin. "Habt ihr einen Drucker?" ist bei uns das neue "Mir ist der Zucker ausgegangen". Henrike Roßbach

Das Problem ist die Beschilderung

Wenn man sich den digitalen Unterricht wie eine Schule im großen virtuellen Dorf vorstellt, dann ist das größte Problem mit dieser Schule: ihre Beschilderung. Die Schule selbst ist genauso gut wie sie auch im Leben außerhalb des virtuellen Dorfes ist. Die freundlichen Lehrerinnen sind hier auch freundlich und diejenigen, die recht häufig einen schlechten Tag haben, haben auch online einen schlechten Tag. Das ist kein Problem.

Ein richtig großes Problem ist allerdings: Wir finden die virtuelle Schule so schlecht. Das liegt einerseits daran, dass sich am ersten Tag vor dem Mebis genannten Haupteingang eine sehr, sehr lange Schlange gebildet hatte. Die war so lang, dass wir die Info bekamen, wir müssten uns dort erst mal gar nicht anstellen, weil für unsere Gruppe die Aufgaben in einem Nebengebäude namens "Klassenrundmail" ausgeteilt werden sollen. Also stellten wir uns am Nebengebäude an und warteten dort auf die Aufgaben, also auf Mails. Dort kam erst mal auch nichts, aber wir hatten ja wenigstens die Info, an der richtigen Stelle zu warten. Dachten wir.

Denn nach ein paar Tagen kam eine andere Mutter und fragte, ob wir Lust hätten, die Gruppenarbeit zusammen zu erledigen. Wir waren einigermaßen erstaunt. Denn wir hatten weder die Info über die konkrete Arbeit erhalten, noch die Spezifikation, dass diese in der Gruppe zu erledigen sei. Denn quasi in unserem Rücken wurde doch wieder das Hauptgebäude geöffnet und dort standen die Lehrerinnen und Lehrer und verteilten die Aufgaben - in Mebis.

In Mebis selbst sind die Wege recht eindeutig beschildert. Fast so wie in der Schule außerhalb des Internet, wo die Lehrenden sich über den Weg zum Inhalt auch wenig Gedanken machen müssen. Sie können sich voll und ganz auf den Inhalt konzentrieren. Wer auf diese Weise auch in der virtuellen Schule unterrichtet, landet schnell bei einem per Rundmail verschickten Word-Dokument namens "Hausaufgabe_Corona", in dem notiert ist, dass "Seite 88" zu erledigen sei "bis Dienstag". Fach, Datum und Name des Buches rauszufinden, wird damit zum Teil der Hausaufgabe, der aber nicht benotet wird.

Wir konnten über das Ausschlussverfahren das Fach ermitteln und in den Dokument-Informationen der Datei den Namen des Erstellers verifizieren. Auch hier keine böse Absicht, sondern ein Problem der Beschilderung, also der Metadaten, die nicht den Inhalt selbst, sondern den Rahmen beschreiben. Um diese Metadaten besser zu verstehen, müsste man die erledigten Aufgaben auf gleichem Weg zurückgeben, wie die Schülerinnen und Schüler die Aufgaben zugeteilt bekamen. Spätestens dann merkt die Schule im virtuellen Dorf: An der Beschilderung könnte noch gearbeitet werden. Dirk von Gehlen

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