Hohe Belastung an Hochschulen:"Die Studenten leiden alle unter BSE"

Bologna-Reform, Studiengebühren, Exzellenzinitiativen: Studierende haben keine Zeit mehr, sich Dingen zu widmen, die nichts mit dem Studium zu tun haben. Die Erwartungen sind sehr hoch, meint der scheidende Münchner Hochschulpfarrer Markus Hepp.

Ines Alwardt

Wissenschaft und Kirche haben wenig gemeinsam - und ihre Theorien über die Entstehung der Erde lassen sich nur schwer miteinander vereinen. Markus Hepp, 40, hat in den vergangenen drei Jahren als Hochschulpfarrer der evangelischen Hochschulgemeinde am TU-Campus Garching gearbeitet. Sein Ziel war es, "Brücken zu bauen" - zwischen Stadt und Campus, Wissenschaft und Kirche. Am 31. Januar gibt Hepp sein Amt auf. Er wird Referent der Oberkirchenrätin und Regionalbischöfin für München und Oberbayern Susanne Breit-Keßler. Mit der SZ sprach Hepp über Leistungsdruck an der Uni, Astrophysiker, die sich für Gott interessieren, und die Probleme, als Pfarrer an einer Exzellenzuniversität zu arbeiten.

Süddeutsche Zeitung: Herr Hepp, haben Sie in Ihrer Amtszeit einen Naturwissenschaftler zum Glauben bekehrt?

Markus Hepp: Ich hoffe nicht. Wenn es so etwas wie Bekehrung gibt, dann nur, wenn Menschen sich selbst bekehren. Meine Aufgabe war es, die Leute zum Gespräch einzuladen und zu helfen, wenn sie es brauchten. Das hat mal mehr, mal weniger gut funktioniert. Es ist zum Beispiel schön zu sehen, wenn ein Astrophysiker erkennt, dass es auch in der Wissenschaft Grenzen gibt - und dass ihm die Religion vielleicht eher weiterhelfen kann als sein Fachgebiet.

Süddeutsche Zeitung: Sind Naturwissenschaftler unzugänglicher als der Rest der Menschheit, wenn es um das Thema Glauben geht?

Markus Hepp: In der technischen Welt geht es nüchtern zu. Es zählen Daten und Fakten. Insofern haben Wissenschaftler eine hohe Hemmschwelle, über persönliche oder religiöse Dinge zu sprechen. Andererseits sehnen sich manche auch nach einem Ausgleich. Und danach, manchmal auch Schwäche zeigen zu dürfen - ohne dafür gleich Spott oder Kritik zu bekommen.

Süddeutsche Zeitung: Als Hochschulpfarrer haben Sie auf dem Campus Seelsorge angeboten. Haben die Studenten das Angebot genutzt?

Markus Hepp: Es ist eher selten vorgekommen, dass Leute von sich aus bei mir angeklopft haben - wenn, dann haben sie mich per E-Mail kontaktiert. Viele Angebote haben die Studenten gar nicht angenommen, wie den Mensastammtisch. Dafür haben sie aber eigenständig eine Morgenandacht für sich organisiert. Am besten kam ich am Rande von Veranstaltungen mit ihnen ins Gespräch. Generell haben die Leute an der Universität aber einfach wenig Zeit. Sie leiden alle unter BSE.

Süddeutsche Zeitung: Bitte was?

Markus Hepp: Meine Abkürzung für die Hauptprobleme des Uni-Systems heute: Bologna-Reform, Studiengebühren, Exzellenzinitiativen. Das Studium ist so anspruchsvoll, dass die Studenten keine Zeit mehr haben, andere Sachen zu machen. Der Leistungsdruck und die Angst zu scheitern sind enorm, gerade an der TU. Es gibt nur wenig Angebote seitens der Uni, die den Studenten in solchen Situationen helfen können. Am Campus muss erstmal eine Kultur geschaffen werden, in der es in Ordnung ist, Schwäche zu zeigen.

"Die Anforderungen sind sehr hoch"

Süddeutsche Zeitung: Wollen Sie sagen, die Eliteuniversität sei unmenschlich?

Markus Hepp: Die Erwartungen sind sehr hoch. Am besten soll jeder Student neben dem Studium noch lernen, zwei Musikinstrumente zu spielen, sich sozial engagieren und soziale kommunikative Kompetenzen erwerben. Das überfordert oft gerade sensible Menschen. Die Forscher wiederum klagen darüber, wie viel zusätzliche Verwaltungsarbeit sie leisten müssen, um "Spitze" zu bleiben. Sie stehen ständig unter Druck.

Süddeutsche Zeitung: Wenn das so ist, müssten Sie in Ihren Sprechstunden regen Zulauf haben. Warum nutzen so wenige die Möglichkeit für ein Gespräch mit dem Pfarrer?

Markus Hepp: Dafür gibt es mehrere Gründe. Viele wissen von unseren Angeboten gar nichts, oder sie meinen, Religion sei nur was für "Weicheier". Dazu kommt, dass auf dem Campus der nötige Raum für das Soziale fehlt. Es gibt nur reine Zweckgebäude, das ist ein Geburtsfehler des Campus-Geländes. Man bräuchte viel mehr Gelegenheiten, wo man sich in Ruhe treffen und reden kann. Aber das wird hoffentlich mit der Neuen Mitte besser.

Süddeutsche Zeitung: Waren die drei Jahre an der Uni für Sie als Pfarrer ernüchternd?

Markus Hepp: Nein, wir müssen damit leben, dass es viele Leute nicht interessiert, was wir machen. Aber es gab auch Momente, in denen eine Gemeinschaft zustande kam und sich Kirche und Wissenschaft angenähert haben. An der Uni gibt es nun mal niemanden, der nach einem ruft. Man muss selbst auf die Leute zugehen. Und man muss einen sehr langen Atem haben.

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