Hochschulreform:Alle Macht dem Rektor

June 13 2018 Krakow Poland Two female students seen holding a placard during the demonstration

Philosphiestudenten der Jagiellonen-Universität in Krakau protestieren gegen das Gesetz von Bildungsminister Jaroslaw Gowin.

(Foto: Omar Marques/imago)

Polnische Wissenschaftler befürchten, dass die Regierung die Universitäten ähnlich kontrollieren will wie die Justiz.

Von florian hassel

Dass er nach Jahrzehnten als Professor noch einmal für die akademische Freiheit auf die Barriakden steigen würde, hätte Jarosław Płucienik noch vor Kurzem nicht gedacht. Schließlich haben es Polens Hochschulen seit dem Fall des Kommunismus weit gebracht. Plucieniks akademische Heimat etwa, die philosophische Fakultät der Universität Łodz, ist in einem grau-rot-schwarzem, neuen Gebäude zu Hause, das manch deutschen Dekan vor Neid erblassen lassen dürfte. Auch inhaltlich machten die Hochschulen Fortschritte.

Doch im Frühjahr legte Wissenschaftsminister Jarosław Gowin eine Hochschulreform vor. Mit der will die von der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) geführte Regierung, so fürchten Kritiker, nach dem Staatsapparat, der Beamtenschaft und der Justiz nun auch die Universitäten unter ihre Kontrolle bringen. Jarosław Płucienik, in Łodz Professor für Literaturwissenschaft, nahm an einer Besetzung teil und organisierte Proteste. Auch in Warschau, Krakau, Breslau oder Posen fanden Demonstrationen statt.

Bisher geht Staatsgeld für die Hochschulen zum größten Teil direkt an die Fakultäten. Die befinden auch etwa darüber, wer Doktor wird und wer sich per Habilitation zum Professor emporschwingen darf. Die Reform kehrt Polens Hochschulen von unten nach oben: Nicht mehr die Fakultäten vergeben die wissenschaftliche Grade, diese Entscheidungen werden jetzt zentral gefällt. Die Fakultäten verlieren ebenso wie der Senat - das Hochschulparlament aus Professoren, Studenten und anderen Uniangehörigen - an Macht und Kompetenz. Künftig soll ein neuer Beirat mitbestimmen, mindestens jede zweite Mitglied soll von außerhalb der Universität kommen.

Gowin preist die in zwei Jahren entstandene Reform wegen der "beispiellosen Beteiligung" von 10 000 Hochschulmitgliedern und Studenten. Jarosław Płucienik erlebte das anders: "Die Beteiligung war in der Realität eine Farce. Das Ministerium redete vor allem mit den Rektoren der Universitäten. Wenn auf Kongressen Ministeriumsvertreter ihre Pläne vorstellten, kam es nie zu einem echten Dialog. Unsere Empfehlungen wurden alle ignoriert. Und etliche bedenkliche Neuerungen wurden erst in den letzten Tagen in den Gesetzentwurf aufgenommen."

Ein zentraler Hebel der Reform: Statt an die Fakultäten geht das Staatsgeld an den Rektor der Universität - der entscheidet künftig über die Geldverteilung. "Das Gesetz gibt alle Macht dem Rektor", kritisiert Płucienik. Der Professor kennt auch die von Minister Gowin wegen der umfassenden Vollmachten des Vize-Rektors als Vorbild gepriesene Universität Cambridge von mehreren Forschungsaufenthalten - und hält nichts von der Übernahme des englischen Modells.

Schon vor der Reform sahen polnische Forscher die akademische Freiheit in Gefahr

In Łodz war Płucienik selbst fünf Jahre Vize-Rektor. "Gewiss, es ist oft mühsam, eine neue Idee durchzusetzen oder eine alte Regel abzuschaffen. Dafür muss man erst Dutzende Gespräche mit Kollegen und Dekanen der verschiedenen Fakultäten führen. Aber das Modell des allmächtigen Rektors, der sich nur noch mit der Partei absprechen muss, haben wir, anders als die Engländer, unter den Kommunisten schon einmal in abschreckender Form genossen. Soziale Kontrolle, Kollegialität und demokratische Formen sind gerade bei uns auch Garantie für die Autonomie und Freiheit, die die Wissenschaft braucht. Die Reform zerstört all dies."

Wochenlanger Protest blieb erfolglos: Im Juli beschloss das Parlament die Hochschulreform, am 1. Oktober tritt sie in Kraft. Dass Gowin versichert, die Hochschulautonomie sei nicht gefährdet, überzeugt Płucienik nicht. "Die Regierung wird diese Reform nutzen, um loyale Rektor durchzusetzen und die Universitäten unter Kontrolle zu bringen. Gewiss, die Verfassung garantiert die Autonomie der Hochschulen. Aber was diese Regierung von der Verfassung und von Garantien der Unabhängigkeit anderer Staatsorgane hält, haben wir ja bei ihrem verfassungswidrigen Vorgehen gegen das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht gesehen."

Płucienik erlebte bereits eine Kostprobe des neuen Stils. Eigentlich sollte er als Mitglied des Rates für die Entwicklung der Geisteswissenschaften beim Wissenschaftsministerium vier Jahre lang über Projekte und Forschungsgelder mitentscheiden. Doch zwei Jahre vor Ablauf des Mandats entließ Gowin im April 2016 kurzerhand alle zwölf Ratsmitglieder und besetzte den Rat neu. Die Begründung - angebliche Klagen über "Intransparenz und tendenziöse Mittelvergabe" - nennt das ehemalige Ratsmitglied "absurd". In den zwei Jahren "unserer Arbeit gab es keine belegten Vorwürfe. Und intransparent arbeitet der Rat vor allem seit der Neubesetzung 2016", sagt Płucienik.

Auch Adam Krzywoń von der Universität Warschau fürchtet den wachsenden Einfluss der Regierung. "Künftig ist keine Habilitation mehr nötig, um Professor zu werden. Selbst jemand, der nie geforscht, sondern etwa nur unterrichtet hat, kann Professor werden. In Polens Wirklichkeit bedeutet das, dass jeder Doktor mit den richtigen Verbindungen zur Regierung an der Universität angestellt werden kann - oder angestellt werden muss."

Ende Juni machte Patryk Jaki Schlagzeilen. Der 33 Jahre alte PiS-Politiker ist als Vize-Justizminister ein Hauptakteur beim Abbau des Rechtsstaates. Jaki hat nur einen Magisterabschluss, darf jedoch an der Universität Opole nun Seminare zum Thema "Staatssicherheit" halten. Noch besser geht es Dutzenden von Juristen, die sich von der Regierung in rechtswidrigen Verfahren als Richter ans regierungskontrollierte Verfassungsgericht oder ans ebenfalls nicht mehr unabhängige Oberste Gericht berufen ließen. Die Regierung bedankte sich bei den willigen Juristen mit einer Jobgarantie auf Lebenszeit, die im krassen Widerspruch zur Autonomie der Hochschulen steht. Doch das Gesetz zur Hochschulreform verbietet den Hochschulen ab sofort, Arbeitsverträge mit Dozenten aufzulösen oder auch nur abzuändern, die als Richter an das Verfassungsgericht, das Oberste Gericht oder das Oberste Verwaltungsgericht berufen sind.

Schon vor der Hochschulreform sahen Wissenschaftler "die akademische Freiheit unter dieser Regierung in Gefahr". So verabschiedete Polen Anfang Februar 2018 ein Gesetz, das jeden polnischen oder ausländischen Forscher mit Strafe bedrohte, der eine Beteiligung von Polen an deutschen Massenmorden oder eigene polnische Verbrechen im Zweiten Weltkrieg und darüber hinaus behauptet. So wurde Wissenschaftlern ganz direkt ein Maulkorb verpasst.

Zwar wurde das Gesetz nach Protesten aus Israel und den USA leicht entschärft. Doch als die Warschauer Soziologin Barbara Engelking im Frühjahr mit dem Historiker Jan Grabowski neue Forschungsergebnisse zur Beteiligung von Polen am deutschen Massenmord an Juden im besetzten Polen vorlegte, folgte die Quittung postwendend. Ende Mai löste die Regierung Engelking als Vorsitzende des Internationalen Beirats des Museums Auschwitz-Birkenau ab. Als Leitkriterium bei der Neubesetzung der Position führte Gowin die "polnische Empfindlichkeit" auf.

Mitte Mai hielt die Universität Stettin die Konferenz "Karl Marx 1818 - 2018" ab und bekam auf Befehl des Staatsanwalts Besuch der Polizei: Die Organisatoren standen angeblich unter dem Verdacht, mit der "öffentlichen Propagierung eines totalitären Staatsaufbaus" ein Verbrechen zu begehen. "Seit Ende des Kommunismus hat in Polen keine Regierung so dreist in eine wissenschaftliche Konferenz eingegriffen", sagt Krzywoń. "Manche Kollegen werden zögern, noch eine Konferenz zu kontroversen Themen anzusetzen."

Wojciech Brzozowski hat ein Buch über das Verfassungsgericht geschrieben. Es wurde zensiert

Selbst offene Zensur ist wieder möglich. Dabei dachte der Verfassungsrechtler Wojciech Brzozowski, als er 2013 das Thema für seine Habilitation aussuchte, er habe ein unverfängliches Thema gewählt: "Unabhängigkeit und Schutz des polnischen Verfassungsgerichtes und anderer Verfassungsorgane". Beim Material konnte er auch praktische Erfahrungen verarbeiten: Neben seiner Lehrtätigkeit an der Warschauer Universität arbeitete Brzozowski im Expertendienst des polnischen Parlaments und entwarf für den Sejm-Präsidenten Stellungnahmen für Verhandlungen vor dem Verfassungsgericht.

Doch im November 2015 übernahm die PiS die Regierung und mit absoluter Mehrheit auch die Kontrolle im Parlament. Das wichtigste Vorhaben: mit rechtswidrigen Initiativen Polens Verfassungsgericht erst lahmzulegen, dann mit der gleichfalls rechtswidrigen Ernennung einer parteinahen Gerichtspräsidentin die Kontrolle zu übernehmen. "Bis es soweit war, boykottierte der von der PiS gestellte Parlamentspräsident das Verfassungsgericht - unsere Verfassungsexpertisen blieben alle in der Schublade", erinnert sich Brzozowski.

Kurz vor der Regierungsübernahme der PiS hatte der Verfassungsrechtler seine Habilitation beendet. Sie sollte im angesehenen parlamentseigenen Buchverlag erscheinen. Ende September 2016 wurden die ersten Exemplare des Buches wie alle hauseigenen Neuerscheinungen Führungskräften des Parlaments übergeben. Die Erkenntnisse der Studie - ein umfassendes Verbot für Staatsorgane, die Unabhängigkeit aller Verfassungsorgane zu verletzen oder sie der gerade regierenden Mehrheit zu unterstellen - las sich wie eine schallende Ohrfeige für die gesamte Regierungspolitik unter der PiS. "Kaum waren die ersten Exemplare verteilt, erging Anweisung, die verteilten Bücher wieder einzusammeln", berichtet Brzozowski. Noch am gleichen Tag verschwand jede Erwähnung des Buches von der Webseite des Verlages. "Es war klassische Zensur", sagt Brzozowski.

Noch bevor der Befehl, die gesamte Auflage einzuziehen, den Verlag erreichte, hatte sich der Autor Belegexemplare gesichert und 40 weitere Exemplare gekauft. Einige Bücher waren zudem bereits an Polens führende Bibliotheken verschickt worden. "Ob sie dort im Giftschrank landen, weiß ich natürlich nicht", witzelt Brzozowski in Anspielung auf das kommunistische Polen, als kritische Werke nur mit Sondergenehmigung oder überhaupt nicht einzusehen waren. Seinen Job beim Forschungsdienst des Parlaments hat Brozowski längst gekündigt. An der Universität Warschau wurde er im April 2017 habilitiert. Aber ob er unter der neuen Macht jemals Professor wird, ist offen. "Gewiss, um unsere akademische Freiheit steht es noch um Längen besser als in Ungarn oder gar in der Türkei", räumt Brzozowski ein. "Aber eins ist sicher: Es geht bergab. Schon jetzt haben viele polnische Wissenschaftler Angst, noch ein Thema zu erforschen, das dieser Regierung nicht gefällt."

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