Wissenschaftspakte:Pokern um die Zukunft von Bildung und Forschung

Wissenschaftspakte: Kaum vorstellbares Verhandlungsgut: Bei den Paktverhandlungen geht es um über mehr als 100 Milliarden Euro.

Kaum vorstellbares Verhandlungsgut: Bei den Paktverhandlungen geht es um über mehr als 100 Milliarden Euro.

(Foto: Nathan Dumlao/Unsplash)

Wer muss sie zahlen? Wer darf sie kontrollieren? Wie misst man ihren Erfolg? Bund und Länder handeln derzeit die Machtfragen der Wissenschaft aus - und stehen unter Zeitdruck.

Von Jan-Martin Wiarda

Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern ist ein erstaunliches Gremium. Erstaunlich sind die Summen, die sie verteilt. Erstaunlich ist, dass trotzdem kaum jemand im Land die GWK kennt. Dabei spielt sich hinter ihren Kulissen ein Machtpoker ab, der in den kommenden Wochen besonders heftig zu werden droht.

Bis zum 3. Mai ist nur noch Zeit. Dann trifft Wissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) im Bundesratsgebäude auf ihre Länderkollegen. Dann müssen auf den Sitzungstischen der GWK Vertragsentwürfe liegen, die Karliczeks Ministerialbeamte in monatelanger Kleinarbeit ausgehandelt haben. Es geht um die "Großen Wissenschaftspakte", die über die Zukunft der deutschen Wissenschaft entscheiden - zumindest über die ersten sieben Jahre dieser Zukunft. Mehr als 100 Milliarden Euro sollen fließen. Eine Zahl mit elf Nullen.

Die Länder wollen hohe Summen, der Bund will Kontrolle, die Parlamentarier wollen mitreden

Drei Pakte, die alle Ende 2020 verfallen (siehe Infokasten), müssen erneuert werden. Jeder weiß, dass es ohne sie nicht geht, die Groko hat versprochen, sie fortzusetzen. Selbstläufer sind sie aber nicht, die Verhandlungen über die letzte Verlängerung wären 2014 fast gescheitert. Und erneut sind die Erwartungen riesig. Gewerkschaften und Verbände starteten im März die Kampagne "Frist ist Frust", mit der sie mehr Dauerstellen fordern. Rund 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen sind befristet tätig. Zukunftsplanung und Familiengründung fallen da schwer. Gut möglich, dass Karliczek und ihre Kollegen, wenn sie am 3. Mai in Berlin-Mitte aus dem Fenster schauen, Demonstranten auf der Straße sehen.

Wenn Bund und Länder über hohe Summen reden, ist die Konfrontation programmiert. Die Wissenschaftsminister der Länder wollen beim Bund möglichst viel rausschlagen, und obendrein sollen dessen Zuschüsse stetig wachsen. Die Forschungsorganisationen kriegen auch jährlich mehr, warum also nicht die Hochschulen? Karliczek hat das mehrmals abgelehnt. Ihr Ministerium wiederum will festklopfen, dass es kontrollieren kann, was die Hochschulen mit dem schönen Geld vom Bund eigentlich machen. In den GWK-Verhandlungen, bei denen offiziell auch die Finanzminister mitmischen, wird deshalb nicht nur um Zahlen gerungen, sondern auch um Verteilungskriterien und Bonussysteme. Und möglicherweise sogar um eine neue Organisation, die für die Qualität in der Hochschullehre so wichtig werden könnte wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Qualität in der Forschung.

Noch komplexer ist das Gezerre auf der Ebene der Parlamentarier. Karliczek sitzen nämlich auch ihre eigenen Leute im Nacken. Eckhardt Rehberg zum Beispiel. Den Chefhaushälter der Union ärgert es, dass der Bundestag bei Paktentscheidungen nur eine Art "Notarfunktion" hat. Rehbergs SPD-Kollege im Haushaltsausschuss, Swen Schulz, spricht sogar von einem "untragbaren Zustand". Milliardenbeschlüsse in der Wissenschaftspolitik, ohne dass die Parlamente dabei praktisch mitreden? Geht gar nicht. Formal sind die Pakte nämlich nur Verwaltungsvereinbarungen zwischen den Regierungen, also reine Exekutivarbeit. Die Parlamente können sie nur abnicken, es sei denn, sie lehnen einen Bundes- oder Länderhaushalt komplett ab. "Ganz oder gar nicht, das bedeutet, dass wir inhaltlich keinerlei Einfluss nehmen können", sagt Schulz. Aber genau das würden die Parlamentarier gern.

Zum Beispiel bei der Definition dessen, was Forschungsorganisationen für den Geldsegen leisten sollen. Albert Rupprecht, Unionsfraktionssprecher für Forschung und Bildung, sagt, besonders beim Transfer müsse mehr kommen. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Forscher ihre Ergebnisse der Gesellschaft besser erklären. Oder dass die Wirtschaft mehr davon profitieren kann, etwa bei der Entwicklung neuer Produkte. Ein Maß dabei ist, wie viele neue Firmen aus den Forschungsinstituten heraus gegründet werden. Im Bundestag sagte Rupprecht: "Wenn uns der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft im Ausschuss sagt, es sei ein großer Erfolg, dass die Zahl der Ausgründungen inzwischen auf 17 pro Jahr angestiegen ist - 17 bei einer Organisation mit 38 000 Mitarbeitern -, ist das, mit Verlaub gesagt, viel, viel zu wenig."

Drei für die Wissenschaft

Der Hochschulpakt: Er hat den historischen Run von Studienanfängern überhaupt erst ermöglicht: Heute sind 900 000 Studenten mehr an Deutschlands Hochschulen immatrikuliert als 2007. Dafür haben Bund und Länder bis heute rund 35 Milliarden zusätzlich an die Hochschulen überwiesen. Der Pakt für Forschung und Innovation: Er hat die großen Forschungsorganisationen von Max Planck bis Helmholtz um Tausende international renommierte Wissenschaftler wachsen lassen. Seit 2006 sind mehr als neun Milliarden Euro geflossen. Die Jahresetats steigen um jeweils drei Prozent. Der Qualitätspakt Lehre: Er hat Hochschulen und Dozenten dabei geholfen, angesichts von Digitalisierung und einer immer bunteren Studierendenschaft neue Lehrformate zu entwickeln. Dotiert mit vergleichsweise schmalen 200 Millionen Euro pro Jahr, erzielte er seit 2011 doch große Wirkung.

Eckhardt Rehberg ärgert noch etwas anderes. "Die Länder wollen immer mehr Geld vom Bund, und dabei greifen sie selbst längst zu Buchungstricks, damit ihre Überschüsse nicht zu hoch ausfallen." Ein jährliches Plus beim Hochschulpakt lehnt Rehberg deshalb ab. Sein SPD-Kollege Schulz pflichtet ihm teilweise bei:"Das Bild von den armen Ländern und dem reichen Bund stimmt nicht mehr." Ein jährliches Plus komme nur infrage, wenn auch die Länder mehr Geld in die Pakte geben und die Hochschulen insgesamt besser grundfinanzieren. "Die können das, wenn sie nur wollen."

Anja Karliczek darf es sich mit den Ländern nicht verscherzen. Sonst wäre alles umsonst

SPD und Union haben jetzt für die nächste Haushaltsausschuss-Sitzung an diesem Mittwoch eine "Unterrichtung durch die Bundesregierung" über den Stand der Verhandlungen beantragt. Ein bisschen die Zähne zeigen, darum geht es. Und wenn die Pakte in sieben Jahren erneut verhandelt werden, dann möglichst nicht mehr über Verwaltungsvereinbarungen, fordern die Parlamentarier. Dann wollen sie in ihren Parlamenten darüber debattieren können, und zwar während der Verhandlungen. Geheim blieben die dann wohl nicht mehr, aber womöglich bekämen die Pakte dann die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie verdienen.

Mitten im Poker um die Zahl mit elf Nullen sitzt Anja Karliczek. Sie muss die wissenschaftspolitischen Ziele hochhalten: höhere Studienqualität, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Transfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Sie muss die Parlamentarier einbinden. Sie muss verhüten, dass Bundesmittel verschwendet werden. Sie muss der Wissenschaft die nötige Freiheit lassen. Und bei all dem darf sie es sich nicht mit den Ländern verscherzen. Ohne deren Unterschrift wäre alles Pokern um Verträge umsonst gewesen.

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