Gute Noten an Hochschulen:Warum die Einser-Inflation nicht überrascht

Die Studie des Wissenschaftsrates, wonach die Hochschulen zu gute Noten vergeben, hat an den Unis heftige Diskussionen ausgelöst.Vor allem Naturwissenschaftler und Psychologen reagieren verschnupft - und haben eine ganz eigene Erklärung für die vielen Einser und Zweier.

Sebastian Krass und Martina Scherf

Deutsche Hochschulen verteilen zu gute Noten. Mit dieser Nachricht, durch eine umfangreiche Statistik unterlegt, hat der Wissenschaftsrat Professoren und Studenten aufgeschreckt. Seit Tagen wird auf den Fluren und in Sitzungen darüber debattiert. Die einen fragen sich: Bewerten wir zu lasch? Andere überlegen: Sind wir zu streng? Und vielerorts macht man sich Gedanken, wie man dafür sorgen kann, dass Bachelor-Absolventen, deren Noten nur zu einem knappen Drittel in die Studie einflossen, in Zukunft nicht schlechter gestellt werden als Studenten mit Diplom-Abschlüssen.

Martin Wirsing, Vize-Präsident Studium und Lehre an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, sagt: "Die Studie hat Diskussionen ausgelöst." Denn der Wissenschaftsrat hatte kritisiert, es würden zu viele gute Noten vergeben Der Statistik zufolge schlossen im Jahr 2011 etwa 80 Prozent aller Studenten mit "gut" oder "sehr gut" ab, elf Jahre zuvor seien es noch 70 Prozent gewesen. Eines der Fächer, über die oft getuschelt wird wegen der hervorragenden Abschlüsse, ist die Psychologie.

Die ausführlichen Daten aus dem Jahr 2010 belegen: Deutschlandweit hatten 95 Prozent der Bachelor-Absolventen die Abschlussnoten "gut" oder "sehr gut". Wie kann das sein? Felix Brodbeck, Psychologie-Professor an dieser Uni, hat dafür mehrere Erklärungen: "Unser Numerus Clausus liegt bei 1,3, weil wir etwa 3000 Bewerber für 150 Plätze haben. Deshalb sind unsere Studenten meist von Anfang an sehr gut." Und weil die Lehre in der Psychologie weitgehend "von Angesicht zu Angesicht" stattfinde, anders als in Massenfächern wie Jura, fielen die Noten automatisch besser aus.

Brodbeck erwartet aber wie andere Hochschullehrer, dass sich das Bild ändern könne, wenn auch in der Psychologie der Bachelor flächendeckend eingeführt sei. Denn dann zieht sich der Prüfungsdruck durchs ganze Studium.

Deshalb hat die Studie auch bei Studenten Unmut hervorgerufen. "Da braucht man einen Abiturschnitt von 1,3, um den Studienplatz zu kriegen, schuftet drei Jahre lang, um den Bachelor mit Bestleistung zu absolvieren, paukt nebenbei noch Englisch bis zum Muttersprachler-Niveau, weil das für den Master Voraussetzung ist, kämpft gegen hunderte Konkurrenten um die wenigen Masterplätze - und dann muss man sich sagen lassen, man sei vielleicht zu gut benotet worden", schreibt ein Student auf Facebook und fragt: "Vielleicht sind wir unter diesem Druck einfach besser als die Generation vor uns?".

Die frühe Auslese gilt auch für die Naturwissenschaften. Dort sind die Ergebnisse ebenfalls sehr gut, allerdings mit leichter Tendenz nach unten. Der bundesweite Durchschnitt im Diplom-Physik lag 2010 bei 1,6, im Bachelor-Studium nur noch bei 1,9. Jedoch gibt es hier Abbrecherquoten von bis zu 70 Prozent - wer die Mathematik in den ersten Semestern durchhält, ist einfach sehr gut, sagt Peter Gritzmann, Mathematikprofessor und ehemaliger Vize-Präsident der TU München. Er hat es durch vielfältige Lehrprogramme geschafft, die Abbrecherquoten auf ein Viertel zu senken. "In Mathematik ist es so: Wenn der Knoten einmal geplatzt ist, dann kann man es, und dann gibt es keine so großen Unterschiede mehr".

Gute Abiturienten machen gute Studenten

Gritzmann betont noch einen anderen Aspekt bei der Notendiskussion: Beim Bachelor wird nicht mehr zwischen Fachhochschule und Universität unterschieden. Beide konkurrieren um die Masterplätze. Wenn dann "die Universität für ihre Masterstudiengänge zu viele gute Bewerber von der benachbarten Fachhochschule erhält, muss sie diese nehmen. Soll man dann die eigenen Leute, an die man höchste Anforderungen gestellt hat, rausschmeißen?". Also kann es passieren, dass dann die eigenen Bachelors auch wieder besser benotet werden.

"Eine gewisse Inflation haben Sie ja in allen Gesellschaftsbereichen. Aber man muss den Ball schon an die Politik weiterspielen, die diese Fixierung auf Noten eingeführt hat", meint Gritzmann und zieht einen Vergleich zu den Hochschulen der USA. "Ginge es nur nach Noten, hätte dort ein Princeton-Absolvent weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt als einer, der von einem County-College kommt". Personalchefs der großen Firmen wüssten zum Glück um die Relativität der Noten und würden auch die Persönlichkeit bewerten. "Nur der Staat will einen Normstudenten, das gilt besonders fürs Lehramt, wo nur nach Note eingestellt wird."

Dennoch gibt es in unterschiedlichen Disziplinen Notentraditionen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. In Jura liegt der bundesweite Schnitt bei 3,0, in Medizin bei 2,4. "Mit einem ,befriedigend' haben Juristen aber überhaupt keine Probleme auf dem Arbeitsmarkt", betont Thorsten Kingreen, Dekan der Rechtswissenschaften an der Uni Regensburg. Lediglich in der staatlichen Justiz und in der Wissenschaft würde in der Regel mindestens ein "vollbefriedigend", also 2,5, oder besser verlangt. Ein bisschen ärgern sich die Juristen aber schon über die Notenkultur in anderen Fächern. Ihr Staatsexamen ist landesweit einheitlich, die Klausuren werden von je einem Universitätsangehörigen und einem Juristen aus der Praxis bewertet. "Das ist eine äußerst verlässliche Note", sagt Kingreen. Abweichungen gebe es nur in dem neuen Schwerpunktbereich, den jede Universität selbst gestalten kann. Dort würden wieder Studenten bewertet, die man "von Angesicht zu Angesicht" kenne - auch hier bestehe die Tendenz, besser zu benoten. "Wir haben in Regensburg aber entschieden, uns nicht an der allgemeinen Noteninflation zu beteiligen", sagt Kingreen. Die Differenz zur Staatsnote müsse begründet werden, alle Benotungen würden intern offengelegt.

Aber auch in Jura fallen 25 bis 30 Prozent der Studienanfänger im ersten Staatsexamen durch. Die harte Notenkultur, gibt Kingreen zu, produziere auf der anderen Seite "das Geschäft mit der Angst", an dem private Repetitorien gut verdienten. In Regensburg hat man deshalb ein Uni-eigenes - aus Studienbeiträgen finanziertes - Repetitorium gegründet, um die Studenten zu fördern.

Und dann gibt es noch die Überlegung, dass ein Professor bessere Noten vergibt, damit er von den Studenten nicht schlecht bewertet wird. Helmut Rieder, Lehrstuhlinhaber für Stochastik an der Uni Bayreuth - er ist der Meinung, dass generell zu gut benotet werde - hält das nicht für ausgeschlossen. Evaluation durch die Studierenden ist laut Hochschulgesetz vorgeschrieben. Es bleibt den Fakultäten überlassen, wie sie das handhaben. In der Mathematik in Bayreuth werden die Professoren jeder Lehrveranstaltung anonym bewertet - "da kann es sein, dass man die Abstimmenden durch wohlwollende Notenvergabe bei Laune halten möchte", meint Rieder. TU-Professor Gritzmann widerspricht: "Wir haben das geprüft: Es gibt Kollegen, bei denen der Schnitt um eine Note besser liegt - aber das sind nicht immer diejenigen, die bei den Studenten am beliebtesten sind".

Eine bundesweit einheitliche Bewertung, wie der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Wolfgang Marquardt, fordert, hält Gritzmann für Illusion. "Noten sind an der Universität genauso wie in der Schule immer von vielen Faktoren, von der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, von der Betreuungssituation, von den Eingangskriterien und mehr abhängig".

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