Grundschule:Von der Champions League in die Grundschule

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Erst Fußballprofi, nun Grundschullehrer: Knut Reinhardt (Foto: Julia Sellmann; Julia Sellmann)

Zweite Karriere: Knut Reinhardt gewann mit dem BVB die Königsklasse. Doch kein Pokal machte ihn so glücklich wie nun seine Grundschüler.

Von Meredith Haaf

Einmal, erzählt Knut Reinhardt, haben er und ein paar Kollegen einen Rodelausflug mit Dritt- und Viertklässlern ins Sauerland organisiert. Von Dortmund aus ist man in einer halben Stunde dort, einige Kinder hatten ihre Reisepässe dabei. "Die Eltern dachten, Sauerland sei so etwas wie England oder Deutschland", sagt Reinhardt. Sie bestiegen einen sanften sauerländischen Hügel, die Kinder rasteten aus vor Aufregung: "Die Berge! Die Berge!"

Als Knut Reinhardt vor zehn Jahren anfing zu unterrichten, dachte er, er müsse alle seine Grundschüler aufs Gymnasium bringen. Heute sagt er: "Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist es, meinen Kindern zu zeigen, wie groß und schön die Welt da draußen ist."

Knut Reinhardt braucht zehn Minuten zur Arbeit, von der beschaulichen Wohngegend am Westfalenpark im Dortmunder Süden hoch in die Nordstadt, bekannt als Drogenumschlagplatz, offiziell "Viertel mit besonderem Erneuerungsbedarf" - als würde man den Planeten wechseln, aber Knut Reinhardt hat ja auch schon mal das Leben gewechselt.

Bis zum Alter von 32 Jahren spielte er in der Fußballbundesliga. Dann kam eine hartnäckige Knieverletzung, sieben OPs: Die Karriere war vorbei und seine Beziehung auch. "Ich hatte ein Haus, zwei Kinder, ich brauchte einen sicheren Beruf, aber ich konnte nicht viel außer Fußball", sagt er. Ein Freund riet ihm, Lehrer zu werden, er könne doch gut mit Kindern. Also studierte er: "Da habe ich dann mit meinen Kommilitonen auf den Partys Bier für 50 Cent getrunken. Es war ein ganz anderes, freies Leben." Als er ein Praktikum an der Grundschule Kleine Kielstraße machte, wurde ihm klar, wo er arbeiten wollte.

83 Prozent der Schüler hier haben einen Migrationshintergrund, viele eine Lernschwäche, etwa drei Viertel beziehen Hilfe aus dem Teilnahme- und Bildungspaket des Sozialamts. Um diesen Kindern gerecht zu werden, hat sich die Schule ein außergewöhnliches Konzept gegeben: Die Klassen werden jahrgangsgemischt unterrichtet. Noten gibt es erst, wenn ein Kind dafür bereit ist. Versetzt wird man nicht am Ende des Schuljahrs, sondern wenn man seinen eigenen Lernplan geschafft hat.

Damit das funktioniert, sagt Reinhardt, muss er immer in Kontakt mit den Kindern bleiben. Deshalb lässt er sie manchmal am Ende der sechsten Stunde ihre Musik auf Youtube hören, damit er sieht, wo sie so unterwegs sind. Er erzieht sie dazu, sich untereinander zu helfen und bestimmte Teile des Tagesablaufs selbst zu gestalten - eine kleine Mannschaft zu werden.

Knut Reinhardt hat aus dem Fußball einiges in sein neues Leben als Lehrer mitgebracht, seine Vorliebe für auffällige Hemden vielleicht, ganz sicher aber sein Gespür für Menschen: "Auf dem Platz hatte ich immer mit Leuten zu tun, die kein Deutsch sprachen." Dass es vor der Rolle als Lehrer noch ein paar andere Rollen in seinem Leben gab, hilft ihm zu akzeptieren, dass manche Menschen die Schule anders sehen als er. "Die Arbeit mit den Eltern macht mir Spaß, sie vertrauen mir."

Reinhardt wünscht sich, dass noch mehr Menschen sich für den Lehrerberuf als zweite Karriere entscheiden, er glaubt, das täte den Schulen gut. Auch aus diesem Grund veröffentlicht er in diesem Herbst ein Buch über sein Leben und seine Arbeit an der Grundschule Kleine Kielstraße. Es trägt den Titel: "Wenn Fußball Schule macht" (Edel Books). Was er zeigen will, sagt Knut Reinhardt, sei: "Es kommt auf das Regelwerk an. Wenn das alle verstehen, funktioniert jede Gruppe. Und manchmal muss man improvisieren." Es gibt Wahrheiten, die gelten in jeder Welt.

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