Süddeutsche Zeitung

Internationale Grundschul-Studie:Rechnen unterm Mittelwert

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Eine internationale Studie bescheinigt deutschen Viertklässlern nur Mittelmaß. Mehr Schülerinnen und Schüler als vor zehn Jahren sind im Rechnen bedenklich schlecht. Und die Kultusminister? Loben "ein ordentliches Ergebnis".

Von Susanne Klein und Paul Munzinger, München

Die gute Nachricht: Deutschlands Viertklässlerinnen und Viertklässler halten in Mathematik ein stabiles Niveau. Die weniger gute Nachricht: Dieses Niveau ist im internationalen Vergleich nicht gerade hoch. Ihre Leistungen liegen unterhalb der Mittelwerte der EU-Länder. Das zeigen die alle vier Jahre erhobenen "Trends in International Mathematics and Science Study", kurz TIMSS, an denen Deutschland seit 2007 teilnimmt. Auch das naturwissenschaftliche Können testet die Studie. Mit ähnlichem Resultat: Die Viertklässler platzieren sich zwar knapp auf mittlerem EU-Niveau, aber unterhalb dem der OECD - und ihre Leistungen haben zuletzt nachgelassen.

"Mittelmaß", fasst Christian Luft, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium zusammen, das "kann uns nicht zufrieden stellen." Stefanie Hubig (SPD), Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) sieht es gnädiger: "Insgesamt ein ordentliches Ergebnis", sagt die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und verweist auf die immer heterogenere Schülerschaft in deutschen Klassenzimmern. Die am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie, die 2019 mit 4900 Grundschülern aus 203 Schulen durchgeführt wurde, zeige aber auch: "Deutschland kann sich nicht ausruhen." Hier die wichtigsten Ergebnisse:

Stillstand in Mathematik

521 Punkte erreichen die Schüler im Durchschnitt auf der TIMSS-Skala, dabei sind sie im Bereich "Messen und Geometrie" (531 Punkte) etwas besser als etwa in der Arithmetik (517). Im Vergleich mit OECD und EU stehen sie etwas schwächer da. Länder wie die Niederlande und die Tschechische Republik erzielen bessere Leistungen. "In Deutschland hat sich über die Jahre wenig geändert in der Mathematik, da gab es woanders mehr Bewegung", sagt Studienleiter Knut Schwippert. So habe 2007 Österreich 20 Punkte hinter Deutschland gelegen und es mit 539 Punkten inzwischen klar überholt, erklärt der Bildungsforscher von der Universität Hamburg.

Besorgniserregend ist vor allem der Anteil sehr schwacher Schüler. 25,4 Prozent - deutlich mehr als zu Beginn dieses Jahrzehnts - besitzen nur die "rudimentären" oder "niedrigen" Kenntnisse der unteren beiden von insgesamt fünf Kompetenzstufen. Auch wenn das den EU- und OECD-Mittelwerten entspricht: "Sie könnten Schwierigkeiten in der weiterführenden Schule haben oder sogar den Anschluss verlieren", sagt Schwippert. Rechenfüchse gibt es dagegen in Deutschland auffällig selten: Nur sechs von 100 Viertklässlern erreichen die höchste Kompetenzstufe der Fortgeschrittenen. Das schaffen im EU-Schnitt 9,4 und im OECD-Schnitt sogar 11,5 Prozent.

Warnung für Naturwissenschaften

518 Punkte erzielen Viertklässler, wenn es um biologische, physikalische, chemische oder geografische Themen geht. Biologie liegt ihnen dabei am ehesten, Geografie am wenigsten. Das sind 10 Punkte weniger als 2015. Studienleiter Schwippert erkennt darin "keinen großen Effekt, aber doch eine kleine Warnung". Der Unterschied sei statistisch signifikant; damit kein Abwärtstrend daraus werde, sollten Schulen auf diese Themen achten.

Sieben von 100 Viertklässlern dürfen sich zu den Fortgeschrittenen zählen. Laut Studie zeigen sie "ein grundlegendes Verständnis" für Naturwissenschaften, etwa für Landschaftsformen und Lebensvorgänge. Das ist ein Könner mehr als bei Mathe - und doch wenig. Auch schwache Schüler sind häufiger: 27,6 Prozent. Und die fünf Prozent der Allerschwächsten sind noch deutlich schwächer als in den vorherigen Studien. Auch das darf als Warnung gelten.

Mädchen und Jungen

Rechnen Jungen nach wie vor besser als Mädchen? Ja, der Abstand ist seit 2007 geblieben. 2019 sind sie in Deutschland noch immer 10 TIMSS-Punkte voraus, mehr als im EU- und OECD-Durchschnitt. Anders bei den Naturwissenschaften: Hier gibt es keine größeren Unterschiede mehr - und das, obwohl die Mädchen nach Jahren des Aufstiegs zuletzt leicht nachgelassen haben. Aber das gilt auch für Jungen, beide Geschlechter verloren seit 2015 rund 10 Punkte.

Welche Rolle spielt die Herkunft?

In fast allen TIMSS-Ländern sind Viertklässler, in deren Elternhaus mehr als 100 Bücher stehen, in Mathematik besser als Mitschüler mit weniger als 100 Büchern zu Hause. Nicht anders in Deutschland, hier beträgt der Vorsprung 41 Punkte. Das entspricht etwas mehr als einem Lernjahr. Nur in Neuseeland, Bulgarien und der Türkei hängt der Bildungserfolg noch stärker von sozialen Faktoren ab. Seit 2007 kommen deutsche Schulen hier nicht signifikant voran, zeigt die Studie - und diagnostiziert Ähnliches bei den Naturwissenschaften.

Wo die Eltern herkommen, beeinflusst ebenfalls die schulische Leistung. Beinah überall auf der Welt ist das mathematische Können von Kindern eingewanderter Eltern geringer, hierzulande liegen sie 34 Punkte zurück. Noch größer ist die Differenz im Naturwissenschaftlichen: 60 Punkte. Schüler mit nur einem im Ausland geborenen Elternteil haben aber seit 2017 deutlich aufgeholt - 17 Punkte in Mathe, 20 in Biologie & Co.

Was sollte geschehen?

Leistungsunterschiede müssten kleiner, die Chancengerechtigkeit müsste größer werden - so beschreibt die KMK-Präsidentin am Dienstag die Herausforderungen. Ob das trotz Corona bis zur nächsten Studie im Jahr 2023 gelingt? Diese Frage erfüllt Hubig mit "großer Sorge". Befunde aus der Krise lassen befürchten, dass sie längerfristig Bildungsverlierer produziert. Sehr schwache und sehr starke Schüler, egal welcher Herkunft, müssten mehr und gezielter gefördert werden, fordern die Studienautoren. Dafür müssten sich die Pädagogen stärker fortbilden lassen. Schulungen für den Einsatz digitaler Medien etwa besuchten Grundschullehrkräfte im Ausland deutlich häufiger.

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