Grundschule:Mit viereinhalb zum Sprachtest

Grundschule: Mancherorts bekommen Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen zusätzliche Förderkurse, wie hier in Fürstenwalde, Brandenburg.

Mancherorts bekommen Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen zusätzliche Förderkurse, wie hier in Fürstenwalde, Brandenburg.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Viele Bundesländer überprüfen vor der Einschulung die Deutschkenntnisse der Kinder. Und dann? Eine Übersicht.

Von Bernd Kramer

Zumindest das hat Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann geschafft: Die Verwirrung ist groß. Zu Wochenbeginn hatte der CDU-Politiker in markigen Worten eine Deutschpflicht für Grundschulkinder angemahnt; eingeschult werden solle nur, wer die Sprache ausreichend beherrscht. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sprang ihm bei und forderte Sprachuntersuchungen vor der ersten Klasse. "Damit alle Kinder in der Schule mitsprechen und gleichberechtigt teilhaben können, brauchen wir gezielte Sprachförderung im Kindergarten, überall verbindliche Sprachtests vor der Einschulung", twitterte er. Teilweise fordern die Unionspolitiker dabei Dinge, die es in ähnlicher Form schon gibt. Fest steht aber wie so oft in der Schulpolitik: Jedes Bundesland verfährt ein bisschen anders.

So führen mittlerweile viele Länder bereits vor Schulbeginn Sprachtests durch. Unterschiede gibt es allerdings darin, wie früh sie die Deutschkenntnisse der künftigen Grundschüler erheben. In Sachsen-Anhalt und Brandenburg zum Beispiel werden Kinder eineinhalb Jahre vor der Einschulung überprüft, in Berlin bis zu zwei Jahre vor der Einschulung. In Hamburg müssen sich seit dem Jahr 2006 alle Kinder bereits im Alter von viereinhalb Jahren bei der künftigen Grundschule vorstellen. Dort wird ihr Sprachniveau ermittelt. Die Tests sind in Hamburg, anders als in vielen anderen Ländern, verpflichtend. In Rheinland-Pfalz gibt es dagegen für Kinder, die einen Kindergarten besuchen, keinen Sprachtest vor der Einschulung. Das Land setzt darauf, dass die Erzieherinnen und Erzieher Defizite erkennen. Nur die sehr wenigen Kinder, die nicht in den Kindergarten gehen, müssen ein Jahr vor der Einschulung zu einem gesonderten Sprachtest.

In die erste Klasse soll nur gehen dürfen, wer ausreichend Deutsch spricht - mit dieser Idee hatte CDU-Politiker Linnemann für den größten Wirbel gesorgt. Sollen Kinder bei mangelnden Sprachkenntnissen zurückgestellt werden? Es gibt einige Bundesländer, die dies explizit ausschließen. In Rheinland-Pfalz dürfen Kinder nur dann später eingeschult werden, wenn es dafür körperliche oder medizinische Gründe gibt. Fehlende Deutschkenntnisse genügen nicht. Ebenso ist es in Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Brandenburg und Berlin.

In Hamburg, wo Kinder vergleichsweise früh getestet werden, wird die Schulpflicht sogar um ein Jahr vorgezogen: Die Kinder müssen noch vor der regulären Einschulung in die Vorschulklassen gehen und bekommen dort Sprachförderung. Das entspräche einer Vorschulpflicht, wie sie Linnemann ins Gespräch gebracht hat. 60 Prozent eines Jahrgangs gehen in Hamburg in eine solche Vorschulklasse - damit erfasst das Angebot sehr viele Kinder. Der Großteil der Vorschüler, heißt es aus dem Senat, komme freiwillig. Nur 15 Prozent der Teilnehmer seien verpflichtet gewesen.

Auch in Berlin gibt es die Möglichkeit, die Schulpflicht vorzuziehen. Die Kinder müssen dann vor der Einschulung 18 Monate lang einen Kindergarten mit Sprachförderung besuchen. Berlin hatte die Vorschulpflicht 2015 ausgeweitet. Zuvor war bei mangelnden Deutschkenntnissen nur ein Kindergartenjahr verpflichtend. Bayern erlaubt es, dass ein Kind wegen mangelnder Deutschkenntnisse zurückgestellt wird. Dann muss es allerdings - ähnlich wie in Berlin - eine Kindertageseinrichtung besuchen, in der es eine Deutschförderung erhält. Ähnlich ist es in Hessen, wo zurückgestellte Kinder dann verpflichtend sogenannte Vorlaufkurse besuchen müssen. Diese Lernkurse sind an den Kindergärten oder an den Schulen angedockt.

Das zeigt bereits: Die Länder verfolgen ganz unterschiedliche Philosophien, wie Kinder unterstützt werden sollten - ob verpflichtend oder freiwillig, vor allem im Kindergarten oder auch in der Schule, mit Extraklassen oder beiläufig zum regulären Unterricht. Gerade an diesem Punkt wird die Debatte mitunter kontrovers geführt. Mona Massumi etwa, die am Mercator-Institut für Sprachförderung an der Uni Köln die verschiedenen Wege analysiert hat, sieht eigene Deutschlernklassen kritisch. "Wir würden damit schon in der Grundschule selektieren, zu einem Zeitpunkt also, zu dem wir eigentlich bewusst darauf verzichten." Kinder könnten so stigmatisiert werden, warnte sie. Den Vorschlag von Linnemann lehnt sie daher ab.

Rheinland-Pfalz setzt darauf, dass Kinder ab der Grundschule den Regelunterricht besuchen und nicht mehr in eigenen Klassen lernen. Bei Bedarf bekommen sie aber parallel dazu 20 Stunden Intensivunterricht.

Ebenso verfährt Sachsen-Anhalt. In Baden-Württemberg können Grundschulen seit 2005 sogenannte Vorbereitungsklassen zum Deutschlernen einrichten. Ob sie das machen, ist ihnen freigestellt. Vor allem, wenn es relativ viele Kinder mit Sprachdefiziten gibt, griffen die Schulen zu diesem Mittel, sagt ein Sprecher des Kultusministeriums. Wenn es wenige Kinder mit Förderbedarf gibt, würden die Sprachkenntnisse eher zusätzlich zum Unterricht aufgeholt. Nordrhein-Westfalen stellt den Grundschulen seit kurzem ebenfalls frei, wie sie Kinder mit Defiziten unterrichten wollen. Sie können spezielle Lerngruppen bilden oder die Kinder teilweise oder vollständig im normalen Unterricht mitlaufen lassen. Zusätzlich gibt es Deutschkurse in den Ferien, aktuell besuchen in NRW 4500 Schülerinnen und Schüler ein solches Programm.

In Schleswig-Holstein gibt es dagegen feste Basisklassen, in denen die Schüler abseits vom regulären Unterricht Deutsch lernen sollen. Nicht jede Schule hat solche Klassen, sie sind landesweit an 236 Schulen angedockt. Wenn die Teilnehmer die Sprache gut genug beherrschen, können sie nach und nach in den Unterricht mit ihren Altersgenossen wechseln.

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