Mehr als 100 Euro geben viele Eltern für die Schultüte ihrer Kinder aus, hat eine bundesweite Befragung vor einigen Jahren gezeigt. Süßigkeiten, Schulsachen, Spielzeug, manchmal sogar ein neues Smartphone - all das findet demnach im Geschenk zur Einschulung Platz. Was die Befragung außen vor ließ: Dass viele Eltern schon kaum genügend Geld zur Verfügung haben, um überhaupt die notwendigsten Dinge zum Schulauftakt ihrer Kinder zu bezahlen.
In Bayern (ca. 115 400) und Baden-Württemberg (ca. 94 200) starten in dieser Woche mehr als 200 000 Kinder ihre Schulkarriere. Bis sie komplett ausgestattet sind - Ranzen, Stifte, Hefte, Materialgeld und eventuell auch Kleidung für den Sportunterricht -, müssen Eltern 200 bis 300 Euro einplanen. Geld, das insbesondere Alleinerziehende, Geringverdiener oder Arbeitssuchende oft kaum aufbringen können.
Zwar steht Familien im Rahmen des Bildungspaketes vom Bund eine Unterstützung von 100 Euro pro Kind zu; 70 Euro werden zu Schuljahresbeginn, weitere 30 Euro zum Halbjahr ausbezahlt. Dennoch reicht das offenbar vielen nicht aus. Zahlreiche Sozialverbände haben deshalb Programme aufgelegt, mit denen sie Erstklässler finanziell unterstützen.
Die Länder, föderalismusbedingt für die Schulen hauptverantwortlich, tragen durch die Lernmittelfreiheit natürlich auch ihren Teil zur bezahlbaren Bildung bei. Schulbücher etwa müssen die Schüler nur in Ausnahmen selbst kaufen, gewöhnlich bekommen sie sie für die Dauer des Schuljahres geliehen. In Bayern unterstützt der Staat die Sachaufwandsträger der Schulen bei der Finanzierung dieser Lernmittel mit jährlich etwa 32 Millionen Euro und deckt damit etwa zwei Drittel der Kosten. Den Rest übernehmen die Kommunen.
Familien mit wenig Geld hilft das aber nur bedingt, wenn das Kind zur Einschulung erst mal einen ordentlichen Schulranzen braucht. Deshalb haben Sozialverbände sogar bereits gefordert, die Länder sollten die Erstausstattung aller neu eingeschulten Kinder bezahlen; zumindest aber die für Familien mit besonders geringem Einkommen. Das Argument: So könnten alle Kinder mit gleichwertiger Ausstattung in die erste Klasse starten. Ein kleiner Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit?
"Nicht Aufgabe des Landes"
Aus dem baden-württembergischen Kultusministerium heißt es zu der Idee, dass freilich alle Kinder "die gleiche Chance auf einen guten Schulanfang haben" sollten. "Die Erstausstattung der Erstklässler mit allen notwendigen Materialien ist aber nicht Aufgabe des Landes." Das zuständige Ministerium in Bayern verweist auf die Ausgaben für die Lernmittelfreiheit und Artikel 21 des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes. Demnach können zum Beispiel besonders kinderreiche Familien oder Bezieher von Arbeitslosengeld II von der Pflicht entbunden werden, etwa einen Atlas für den Erdkunde- oder Formelsammlungen für den Mathematikunterricht privat erwerben zu müssen.
Da viele Familien trotzdem größere Unterstützung zu Schulbeginn benötigen, braucht es Organisationen wie die Aktion Schultüte im Raum München. Eltern mit wenig Geld können dort gegen Vorlage der Belege gekaufter Materialien bis zu 150 Euro Zuschuss erhalten, finanziert aus Spenden. "Kinder sollen sich nicht schon bei Schulbeginn ausgegrenzt fühlen, nur weil ihre Eltern nicht genug Geld für Schulsachen haben", sagt Sabine Brügel-Fritzen vom Sozialdienst Germering, Mitbegründer der Aktion Schultüte.
Dass der Bedarf da ist, belegen die Zahlen der Organisation. Im vergangenen Jahr wurden an 85 Familien insgesamt 12 862 Euro ausgezahlt. Eine Steigerung um 38 Prozent im Vergleich zu 2016. Auch Steffi Müllner, die eigentlich anders heißt, hat durch das Projekt 100 Euro zur Einschulung ihrer Tochter bekommen. "In dem Moment war das für uns Gold wert", sagt die alleinerziehende Mutter. "Für die Kinder ist der erste Schultag so etwas besonderes, da wäre es für mich schrecklich gewesen, wenn sie ohne Schultüte oder vernünftigen Schulranzen hätte gehen müssen."