Ghostwriting-Agentur Acad Write:Von Geisterhand

Ghostwriting-Agentur Acad Write: Den ersten Auftrag für Acad Write hat Geschäftsführer Thomas Nemet vor zehn Jahren noch selbst bearbeitet.

Den ersten Auftrag für Acad Write hat Geschäftsführer Thomas Nemet vor zehn Jahren noch selbst bearbeitet.

(Foto: Alina Simmelbauer)

Eine Masterarbeit für 7500 Euro: Akademischer Betrug hat Konjunktur, trotz aller Skandale um Plagiate und Fehlverhalten in der Wissenschaft. Zu Besuch bei einer florierenden Ghostwriting-Agentur.

Von Matthias Kohlmaier, Zürich

Thomas Nemet ist ein höflicher Mensch. Selbst in seiner eigenen Wohnung fragt er den Gast nach einstündigem Gespräch: "Stört es Sie, wenn ich rauche?" Nemet ist auch ein pragmatischer Mensch, der über das Angebot seiner vor zehn Jahren in einer Plattenbausiedlung in Halle gegründeten Firma sagt: "Wenn wir es nicht machen, macht es ein anderer." Das Unternehmen, das heute seinen Hauptsitz in Zürich hat, heißt Acad Write und bietet Kunden akademisches Ghostwriting an. Wer eine wissenschaftliche Arbeit braucht, von der Hausarbeit bis zur Dissertation, kann sie bei Nemets Firma bestellen. Ganz diskret, natürlich. "Wir verstehen uns als Profis für nachhaltige Problembehebungen. Legal, lautlos, effizient", heißt es in einer Imagebroschüre.

Man kann es aber auch so sagen: Acad Write macht mit Betrug auf Kosten der Wissenschaft Geschäfte. Wenn zum Semesterende nun Studenten Arbeiten aller Art verfassen müssen, wird die Zahl der Anfragen bei Thomas Nemet wieder deutlich steigen. Mit seinem Geschäftsmodell hat das Unternehmen eine beachtliche Entwicklung durchgemacht. Lag der Umsatz laut Nemet nach dem ersten Jahr, 2005, noch bei 280 000 Euro, so hat er sich mittlerweile auf mehr als zwei Millionen Euro vervielfacht.

Startkapital: 500 Euro

Der gebürtige Sachse unterhält Büros in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Australien, Kanada und den USA. Mehr als 300 freie Autoren schreiben für Acad Write, die meisten haben selbst promoviert. Aufgrund der hohen Nachfrage müsse man den Autorenstamm weiter aufstocken, sagt Nemet. Er lächelt, wenn er über seinen Erfolg spricht. Einen Erfolg, der auf einem Startkapital von 500 Euro begründet ist - und dem Glück, zur richtigen Zeit eine einträgliche Idee gehabt zu haben.

Denn auch wenn Nemet sagt, es sei Zufall, dass die Gründung von Acad Write zeitlich mit der Bologna-Reform und der einhergehenden Beschleunigung des Studiums zusammenfalle - der erhöhte Stress, dem Studenten seitdem ausgesetzt sind, ist dem Ghostwriting-Geschäft gewiss nicht abträglich. Dazu kommt eine Form der Werbung für Nemets Firma, die im ersten Moment nicht wie eine solche aussieht. "Uns haben die aufgedeckten Plagiatsfälle der vergangenen Jahre nur gutgetan", sagt der 44-Jährige über Betrügereien von Guttenberg bis Koch-Mehrin. Seitdem googelten nämlich die Leute den Begriff "Ghostwriting" - und landeten bei ihm.

Information im Kleingedruckten

Die Frage nach Ethik und Anstand stellt sich für Nemet nicht. "Was wir tun, ist eine Dienstleistung", sagt er. Strafbar machen sich er oder seine Autoren dabei nicht, es gibt kein Gesetz gegen Wissenschaftsbetrug. Irgendwo im Kleingedruckten ist bei Acad Write vermerkt, dass es "den diesbezüglichen Vorschriften der Hochschulen" widerspräche, die bestellten Texte als eigene Prüfungsarbeiten einzureichen. "Wir kontrollieren nicht, ob die Kunden das trotzdem tun. Offen gesagt: Es interessiert mich auch nicht", sagt Nemet. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Kunden mit den bisher mehr als 8600 abgeschlossenen Aufträgen genau so verfahren: Text bestellen, Text bezahlen, Text erhalten, unter dem eigenen Namen abgeben.

Ist das Betrug? Unbedingt. Widerspricht das dem Sinn eines Studiums? Auf jeden Fall. "Es gibt viele unmoralische Dinge in dieser Welt, die trotzdem jeder tut", sagt Nemet. Er sagt das nüchtern, er hat die Frage schon oft beantwortet.

Drei Wochen für eine Masterarbeit

Wie viele Studenten die Dienste eines Ghostwriters in Anspruch nehmen, dazu gibt es nur vage Schätzungen, keine gesicherten Zahlen. Dass Schummeleien an deutschen Hochschulen nicht selten sind, das hat der Soziologe Sebastian Sattler von der Universität Köln ermittelt. Laut seiner Studie aus dem Jahr 2012 hatten sich 79 Prozent der Befragten innerhalb der vorangegangenen sechs Monate eines Fehlverhaltens schuldig gemacht - vom Spicken in Klausuren bis zum Fälschen von Daten; fast jeder Fünfte hatte mindestens ein Plagiat abgegeben. Zum Thema Ghostwriting existieren derlei Untersuchungen nicht. Das hat laut Sattler folgenden Grund: "Das ist vermutlich eine der sichersten Formen wissenschaftlichen Betrugs."

Dass dieses professionelle Untergraben des Leistungsgedankens und der Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb so erfolgreich funktioniert, dafür sind Autoren wie Herbert Jost-Hof zuständig. Der promovierte Ethnologe, 54, arbeitet seit neun Jahren für Nemet. Fünf Seiten schreibt er mindestens pro Tag, eine Masterarbeit ohne empirischen Teil hat er im Idealfall in drei Wochen fertig. Als Honorar bleiben dafür "zwischen 2000 und 2500 Euro" bei ihm; ein Drittel des Preises, der dem Kunden berechnet wird. Während der Entstehung einer Arbeit sei er ständig in Kontakt mit dem Auftraggeber, arbeite Änderungswünsche ein, schicke Kapitel. Rundumservice.

Weiche Regeln

Es ist einiges passiert seit 2011, vor allem auf dem Papier. Im Februar vor vier Jahren begann der Skandal um die plagiatorische Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), in dessen Folge eine Reihe weiterer Plagiatsfälle ans Licht kam. Die großen Wissenschaftsorganisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft legten Empfehlungskataloge vor, Universitäten änderten die Promotionsordnungen. Häufiger als früher wird nun zur Abgabe eine eidesstattliche Versicherung verlangt, dass man die Arbeit ohne fremde Hilfe angefertigt habe; darunter fällt auch der Betrug durch Ghostwriter. Wer sie nutzt, macht sich strafbar. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verpflichten Doktoranden und Betreuer dazu, Betreuungsvereinbarungen zu schließen, in denen Zeitpläne und Betreuungsgespräche festgehalten werden sollen. Das Problem: die Empfehlungen sind nicht verbindlich. Und selbst die Regeln in den Landeshochschulgesetzen stoßen schnell an verfassungsrechtliche Grenzen. Hochschulrechtler wie Manfred Löwisch und Thomas Württenberger (Freiburg) etwa halten die Pflicht zur Betreuungsvereinbarung für unzulässig, weil es den grundgesetzlich geschützten Freiraum des Betreuers verletze. Dieser darf demnach die Doktoranden weiterhin so behandeln, wie er sich das vorstellt - egal wie viele Richtlinien und Regeln ersonnen wurden. Es ist ein Freiraum, der in der Vergangenheit leider allzu oft zu Fehlverhalten führte. Roland Preuß

Die Gründe, weshalb Menschen einen Ghostwriter engagieren, sind laut Jost-Hof und Nemet vielfältig. Manche seien erkrankt oder könnten ihr Studium aus anderen Gründen nicht zu Ende bringen. Viele seien verunsichert, hätten an der Universität wissenschaftliches Arbeiten nicht gelernt und nun Angst, versehentlich ein Plagiat anzufertigen. "Wir schließen Lücken des Bildungssystems. Vielleicht nicht in dem Sinne, in dem das Bildungssystem das verlangt, aber dennoch", sagt Jost-Hof. Würde die deutsche Hochschullandschaft auf Qualität statt Quantität setzen, gäbe es Acad Write überhaupt nicht, meint er.

Professoren betreuen gerade in den niedrigen Semestern populärer Studiengänge wie BWL Hunderte Studenten, eine Beziehung zwischen Lehrer und Hochschüler existiert kaum. So fällt die ausnehmend gute - weil vom Ghostwriter angefertigte - Hausarbeit des ansonsten mittelmäßigen Studenten dem Korrektor nicht auf. "Dafür müsste man die Studenten und ihr Leistungsniveau sehr gut kennen", sagt Betrugsexperte Sattler von der Uni Köln. Bei den gängigen Betreuungsquoten in vielen Fächern sei das völlig unrealistisch.

Abschluss für den Lebenslauf

Die geringe Gefahr, entdeckt zu werden, ist für Thomas Nemet aber nicht der Hauptgrund für den Erfolg seiner Unternehmung. Der liege im System. "Heute muss ja quasi jeder studieren, der in der freien Wirtschaft irgendwas erreichen will", sagt er. Nicht zufällig machen Menschen jenseits der 40 fast ein Drittel von Nemets Kunden aus. Es sind diejenigen, die einen akademischen Abschluss brauchen, um den nächsten Schritt in der Karriere machen zu können. Das Studium an sich und die Erkenntnis daraus sei diesen Kunden völlig egal, sagt Nemet, der Abschluss müsse eben im Lebenslauf stehen.

All das hat Thomas Nemet binnen zehn Jahren vom Plattenbau in Halle in seine geräumige Wohnung über einer Zürcher Prachtstraße gebracht. Wenn der Gewinn weiter so wächst, will er sich in zehn Jahren weitgehend aus dem operativen Geschäft verabschiedet haben. Schon heute hat er nur noch selten Kundenkontakt. "Da muss das Auftragsvolumen schon bei mindestens 10 000 Euro liegen", sagt er und drückt seine Zigarette aus.

Vielleicht hat Nemet dann, wenn er genügend anderen Leuten zum akademischen Grad verholfen hat, auch wieder Muße, sich mit Jean-Paul Sartre zu beschäftigen. Über das Hauptwerk des französischen Existenzialisten hat er selbst promoviert. Die Dissertation hat er nach eigenen Angaben ohne fremde Hilfe verfasst.

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