Süddeutsche Zeitung

Geschichtsunterricht in Japan:Massaker als "Zwischenfall"

  • In einer neuen Auflage der Geschichtsbücher in Japan werden die Taten von japanischen Soldaten vor und während des Zweiten Weltkriegs verharmlost.
  • Premier Shinzo Abe fordert, dass die Schulen den Kindern Nationalstolz einimpfen, statt das Land zu kritisieren.
  • Schulbücher werden in Japan von privaten Verlagen herausgegeben - das Erziehungsministerium macht jedoch genaue Vorgaben, was in den Büchern stehen muss.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Japans Regierungschef Shinzo Abe kämpft seit zwanzig Jahren gegen das, was er "Selbstquälerei der Geschichtsdarstellung" in Japans Schulbüchern nennt. Gemeint ist eine faktentreue Darstellung des Zweiten Weltkriegs. Er findet, die Schulen müssen den Kindern Nationalstolz einimpfen, statt Japan zu kritisieren. Diese Woche errang der Premier den nächsten Etappensieg seines Feldzugs.

Die am Montag publizierten Neuauflagen der schon bisher verharmlosenden Lehrbücher über den Zweiten Weltkrieg für die Mittelschule erwähnen die koreanischen Sexsklavinnen der japanischen Armee fast gar nicht mehr. Das Massaker von Nanking 1937, bei dem japanische Soldaten bis zu 300 000 Chinesen ermordeten, die meisten von ihnen Zivilisten, wird nur noch als "Zwischenfall" bezeichnet. Der "Aggressionskrieg" war demnach nur ein "Vordringen". Selbst die Kapital über die japanisch-koreanischen Beziehungen im frühen Mittelalter wurden korrigiert. Zu Japans Inselkonflikten, die in den Lehrbüchern bisher gar nicht vorkamen, sollen die Zwölf- bis 15-Jährigen künftig die Position der Regierung lernen.

Seoul, Peking und Taipeh reagierten empört. Südkoreas Außenminister bestellte den japanischen Botschafter ein, sein Premier Lee Wan Koo warnte Tokio am Donnerstag, die Geschichtsklitterung müsse aufhören. Während die Diplomatie versucht, die Beziehungen zwischen den verkrachten Regierungen zu kitten, zerschlägt die Abe-Regierung mit diesen Publikationen erneut Geschirr.

Japanische Schulbücher müssen "die offizielle Position der Regierung widerspiegeln", besonders in Geschichte und Sozialkunde, heißt es in den Richtlinien des Erziehungsministeriums. Kurz vor seiner Wahl zum Premier empörte sich Abe gegenüber Beamten des Erziehungsministeriums über ein Schulbuch, das die Sexsklavinnen der Armee erwähnte. Er habe doch, als er 2007 schon einmal Premier war, im Parlament gesagt, das habe es nicht gegeben.

Schulbücher werden in Japan von privaten Verlagen herausgegeben. Vom Ministerium erhalten sie dazu genaue Angaben, was in den Büchern stehen muss. Das Ministerium korrigiert die Texte Zeile um Zeile, um schließlich zu entscheiden, welche von den Schulen verwendet werden dürfen. Die Autoren und Verlage passen sich diesem Prozedere an. Japans Buchmarkt schrumpft, und jeder Titel, der vom Ministerium akzeptiert wird, verspricht ein gutes Geschäft zu werden.

Japans Erziehungsministerium sieht es seit der Gründung 1871 als seine Aufgabe an, Kinder nicht nur auszubilden, sondern für den Staat zu formen. Einst sollten sie Soldaten werden, später Industriearbeiter. In der Zwischenkriegszeit beauftragte das Ministerium bekannte Lyriker, nationalistische Kinderlieder zu schreiben. Im Laufe der 1930er-Jahre mussten sie ihre Verse anpassen, sie wurden immer militaristischer.

Immer weiter vom internationalen Konsens entfernt

Der heutige Erziehungsminister Hakubun Shimomura, ein Vertrauter Abes und wie dieser Mitglied von Nippon Kaigi, einer rechtsnationalistischen Nostalgie-Organisation, will die "Moral-Erziehung" von damals wieder einführen. Der Geschichtsbücher-Streit ist seit 60 Jahren immer wieder aufgeflammt. Bis in die 1970er-Jahre war er ein innenpolitischer Konflikt. Peking und Seoul protestieren erst seit 1982 gegen das Geschichtsbild, das Japans Schulen vermitteln. Zuvor waren sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Allerdings manipulieren die beiden Länder ihren Geschichtsunterricht ebenso.

Durch die ersten japanischen Lehrbücher nach Kriegsende wehte noch ein Geist der Aufklärung. Doch schon 1955 ritten die erstarkten Nationalisten erste Attacken, die Schulbücher seien kommunistisch unterwandert. Seither versucht die Rechte nach jeder Schwäche-Phase, ihre Kontrolle über den angeblich links unterwanderten Geschichtsunterricht zu verschärfen. Dabei rückt das vermittelte Geschichtsbild immer weiter vom internationalen Konsens über Japans Rolle im Zweiten Weltkrieg ab.

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SZ vom 10.04.2015/mkoh
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