Schule:Wo die Toleranz endet

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Die Bildungskongregation des Vatikans bemüht sich um freundliche Worte, macht aber deutlich, wo sie die Grenze sieht: Wenn eine Theorie "den Unterschied und das natürliche Gegenüber von Mann und Frau leugnet". (Foto: Pier Paolo Cito/AP)

"Als Mann und Frau schuf er sie": Mit einem Papier über die Gendertheorie in der Bildung will der Vatikan den Dialog fördern. Er erreicht das Gegenteil.

Von Matthias Drobinski

Kardinal Giuseppe Versaldi wirkte am Mittwoch der vergangenen Woche einigermaßen bestürzt über den Shitstorm, der da über ihn und die vatikanische Bildungskongregation hereingebrochen war. Man habe doch nur den Dialog fördern wollen, sagte er der Internetpräsenz Vatican News . Und ja, auch die Kirchen müssten "vielleicht einige allzu festgefahrene Positionen korrigieren", wenn es um die Frage gehe, wie sehr das Geschlecht durch die Natur festgelegt sei und wie sehr ein Produkt kultureller Vorstellungen. "Wir respektieren die Meinung der anderen, auch wenn am Ende des Dialogs jeder bei seiner eigenen Position bleibt", fügte der Kardinal hinzu.

Anlass für den Ärger ist ein am Pfingstmontag veröffentlichtes, 31 Seiten umfassendes Papier des päpstlichen Bildungsministeriums, das seine Leserinnen und Leser auf einen "Pfad des Dialogs in der Frage der Gendertheorie im Bildungswesen" führen soll. Und tatsächlich mühen sich die Männer aus der Kongregation in dem (noch nicht auf deutsch erschienenen) Dokument um freundliche Worte.

Sie beklagen die jahrhundertelange Benachteiligung von Frauen, an der die Kirche eine Mitschuld habe. Sie betonen die "Notwendigkeit, Kinder und Jugendliche so zu erziehen, dass sie jede Person in ihrer Eigenart und Unterschiedlichkeit respektieren", sexuelle Orientierungen eingeschlossen.

Ein Gespräch führt der Vatikan nur mit sich selbst

Die Kongregation stellt aber auch klar, wo für sie die Toleranz aufhört: dann nämlich, wenn eine Gendertheorie "den Unterschied und das natürliche Gegenüber von Mann und Frau leugnet, das Bild von einer Gesellschaft ohne sexuelle Unterschiede entwirft und dadurch die anthropologische Basis der Familie auslöscht". Diese "Desorientierung" präge "das kulturelle Klima unserer Zeit" und trage dazu bei, "die Familien zu schwächen". Der kulturelle Mainstream löse willkürlich die sexuelle Orientierung vom biologischen Geschlecht; entscheidend werde die "subjektive Haltung der Person", auch ein Geschlecht zu wählen, "das nicht ihrer biologischen Sexualität entspricht".

Die "fiktive Konstruktion eines neutralen oder dritten Geschlechts" stehe aber der Bildung einer reifen Persönlichkeit entgegen, das "Oszillieren zwischen männlich und weiblich" ende "als bloße Provokation gegen die sogenannten traditionellen Vorstellungen". Dagegen müsse die Kirche klarstellen, dass kulturelle und biologische sexuelle Identität nicht zu trennen seien, dass "die sexuelle Differenz zwischen männlich und weiblich konstitutiv für die menschliche Identität" ist. "Als Mann und Frau schuf er sie" - programmatisch haben die Autoren der Stellungnahme den Satz aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel zur Überschrift gemacht.

Das Papier trägt nicht die Unterschrift von Papst Franziskus, man kann aber davon ausgehen, dass es mit seiner Zustimmung erarbeitet und veröffentlicht wurde. Mehrmals schon hat der Papst sich ähnlich geäußert. Von daher ist die Stellungnahme mehr als nur einer von vielen Texten einer vatikanischen Kongregation, sondern gibt doch die offizielle Haltung der katholischen Kirchenspitze zur Genderdebatte wieder. Und das verursacht auch den Ärger von Theologen und Betroffenen.

Die US-amerikanische katholische LGBTIQ-Vereinigung New Ways Ministry nannte das Dokument "ein schädliches Instrument", das "dazu verwendet werden wird, nicht nur Transgender, sondern auch Lesben, Schwule und bisexuelle Menschen zu unterdrücken und zu schädigen". Die Osnabrücker katholische Theologin Margit Eckholt, die über Geschlechterfragen forscht, warf der Bildungskongregation Unkenntnis vor; sie bleibe hinter ihrem eigenen Anspruch zurück, in den Dialog mit Vertretern der Gendertheorie treten zu wollen; es handle sich vielmehr um ein "selbstreferenzielles Dokument".

Tatsächlich ist das die große Schwäche des Vatikan-Papiers: Es zitiert als Quellen ausschließlich andere Vatikan-Papiere - Äußerungen der Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus, Dokumente des zweiten Vatikanischen Konzils, Veröffentlichungen der Glaubens- und der Bildungskongregation, den katholischen Erwachsenen-Katechismus. Statt im Dialog übt sich das Papier im Selbstgespräch. Judith Butler, die bekannteste Gendertheoretikerin, kommt nicht vor. Es ist von medizinischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen die Rede, ohne dass Mediziner oder Neurowissenschaftler angeführt würden.

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Die Gendertheorie wird nur in ihrer radikalsten Form wahrgenommen, als Klischee und Gegenbild, als wollten nun Regierungen an die Stelle des ewigen und natürlichen Unterschieds zwischen Mann und Frau die willkürliche Wahl des Geschlechts und der sexuellen Orientierung setzen. Mit keinem Wort wird darauf eingegangen, dass gerade junge Menschen, die sich im falschen Körper fühlen, sich nicht einfach als Männer oder Frauen definieren können, oft in großer Not um ihre sexuelle Identität ringen und Hilfe, Zuwendung und Solidarität bräuchten, vielleicht sogar gerade in katholischen Schulen und Einrichtungen.

So dürfte der Dialogversuch eher zum weiteren Dialogabbruch führen. Es dürften konservative Christen sich darin bestätigt sehen, dass der "Genderwahn" weder in der pädagogischen Ausbildung von Lehrerinnen und Lehren noch im Unterricht etwas zu suchen hat. Es dürfte die in fundamentalistischen Kreisen bis zum Hass gehende Ablehnung jeder angeblich von der Norm abweichenden Sexualität nicht abnehmen; ebenso wenig die - irrationale - Angst vieler Eltern, dass Kinder homo- oder transsexuell werden, wenn man in der Schule über Homo- oder Transsexualität redet. Es dürfte sich auf der anderen Seite bei gendertheorieaffinen Menschen der Eindruck verstärken, dass von den Kirchen nichts Gutes kommen kann und, wer kritische Fragen stellt, ein Fundi sein muss, der Böses will.

Zu besprechen gäbe es genug

Dabei gäbe es genügend kritische Fragen an beide Seiten: Haben Östrogen und Testosteron nicht doch konkretere Auswirkungen auf die Identität von Menschen, als die Gendertheorie annimmt? Ist andererseits die Annahme der katholischen Lehre, dass menschengemäße Sexualität nur zwischen Mann und Frau in einer monogamen, für Kinder offenen Ehe möglich ist, nicht eine hochgradig ideologische Annahme, die ein Bild von Familie und Sexualität für ewig erklärt, das die bürgerliche Gesellschaft vor 200 Jahren entwickelte? Ist die Tatsache, dass deutlich mehr Jugendliche eine Geschlechtsumwandlung wünschen, ein Ausdruck dafür, dass sie nun zu ihren Wünschen stehen können - oder halten sie sich in ihren Pubertätsschwierigkeiten fälschlicherweise für transsexuell, weil jetzt alle darüber reden? Wie sollen Lehrer auf solche Fragen vorbereitet werden? Wie kann ein Unterricht solche Fragen offen ansprechen, ohne Jugendliche zu verstören?

Das tatsächlich Gute an dem Papier aus dem Vatikan ist: Es schreibt weder den katholischen Schulen noch den katholischen Religionslehrern an staatlichen Schulen vor, wie sie über Gendertheorie zu reden oder ob sie über das alles zu schweigen haben. Eine katholische Schule, heißt es, solle ein Ort sein, "an dem die menschliche Person sich selber ausdrücken und in ihrer Menschlichkeit wachsen kann, im gegenseitigen, konstruktiven Dialog, durch Einübung von Toleranz, im Verstehen verschiedener Ansichten und durch das Schaffen von Vertrauen in einer Atmosphäre authentischer Harmonie". Es darf dort also diskutiert werden. Auch über Gender.

© SZ vom 17.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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