Prüfungen:So könnte ein Zentralabitur funktionieren

Abiturprüfungen im Fach Deutsch

Abiturprüfungen in Friedrichshafen: Warum bearbeiten die Gymnasiasten nicht dieselben Aufgaben wie in Bremen, Düsseldorf oder Frankfurt?

(Foto: Felix Kästle/dpa)

Markus Söder hat die Debatte um ein einheitliches Abitur abgewürgt: Mit ihm werde es das nicht geben. Dabei ist auch im Freistaat die große Mehrheit dafür. Und es wäre sogar leicht umzusetzen.

Gastbeitrag von Ludger Wößmann

In den vergangenen Wochen ist eine erstaunliche Dynamik in die Debatte um ein deutschlandweites Zentralabitur gekommen. Über Partei- und Bundeslandgrenzen hinweg haben sich hochrangige Politiker für ein Zentralabitur ausgesprochen, darunter die baden-württembergische CDU-Kultusministerin Eisenmann, der thüringische Kultusminister Holter von den Linken, der sächsische CDU-Ministerpräsident Kretschmer, FDP-Chef Lindner, die kommissarische SPD-Chefin Schwesig, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Stumpp sowie die aktuelle und die ehemalige CDU-Bundesbildungsministerin Karliczek und Wanka. Nur der bayerische Ministerpräsident Söder hat sich gegen die Idee ausgesprochen.

Wollen die Bayern keine bundesweit einheitlichen Abiturprüfungen? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir eine Sonderauswertung des Ifo-Bildungsbarometers vorgenommen, unserer jährlichen Meinungsumfrage zu bildungspolitischen Themen. Seit 2014 haben wir in insgesamt vier Jahren repräsentative Stichproben der deutschen Bevölkerung nach ihrer Meinung zu deutschlandweit einheitlichen Abschlussprüfungen befragt. Durch die wiederholte Befragung ist so auch eine große Stichprobe von über 1000 Beobachtungen aus der bayerischen Bevölkerung zusammengekommen.

Das Ergebnis ist mehr als eindeutig: Im Durchschnitt der vier Jahre sprechen sich 89 (!) Prozent der bayerischen Bevölkerung dafür aus, deutschlandweit einheitliche Abschlussprüfungen im Abitur einzuführen. Damit liegt die Zustimmungsrate in Bayern auf dem gleichen Niveau wie in der deutschen Bevölkerung insgesamt (88 Prozent). Über 60 Prozent der Bayern sind sogar "sehr" dafür. Gerade einmal sieben Prozent sind dagegen, vier Prozent sind unentschieden. Die bayerische Zustimmungsrate ist von 85 Prozent in den Jahren 2014 und 2015 auf 92 Prozent in den Jahren 2017 und 2018 gestiegen. Solche Zustimmungsraten gibt es schlichtweg für keine andere bildungspolitische Maßnahme, und wohl auch nicht in anderen Politikbereichen.

Ludger Wößmann

Ludger Wößmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet das Ifo-Zentrum für Bildungsökonomik.

(Foto: privat)

Es scheint also tatsächlich auch für die bayerische Bildungspolitik an der Zeit, umzudenken und das umzusetzen, was die Bevölkerung will. Dabei geht es gar nicht um ein "Abitur aus Berlin". Der Bund jedenfalls hat damit nichts zu tun. Die Kultushoheit der Länder ist im Grundgesetz festgeschrieben. Aber das entbindet die Bildungspolitiker der Länder nicht von ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Sie können und müssen sich gemeinsam auf einen Staatsvertrag einigen.

Die Unterschiede zwischen den Aufgaben und Bewertungen sind erheblich

Ein "Zentralabitur" muss auch gar nicht so zentral sein, wie es Kritiker an die Wand malen. Schon vor mehreren Jahren haben wir im Aktionsrat Bildung das Konzept eines "Gemeinsamen Kernabiturs" vorgeschlagen. Dies würde in den Kernfächern Mathematik, Deutsch und Englisch gemeinsame Prüfungsbestandteile durchführen, die 30 Prozent der Abiturprüfung ausmachen. Da zusätzlich noch die Kursnoten der letzten beiden Jahrgänge in die Abiturnote einfließen, würde die länderübergreifende Abiturkomponente nur zehn Prozent der Abschlussnote ausmachen. Insofern würde dieses Konzept den Ländern ein hohes Maß an Flexibilität in der Ausgestaltung verschiedener Aspekte des Abiturs bewahren. Damit ließe es sich auch leicht in das bestehende System der Abiturprüfungen einbinden. Weitere Schritte wie eine bessere Vergleichbarkeit der Regelungen, was insgesamt in das Abitur eingebracht werden kann, der Lehrpläne und Stundentafeln könnten dann gegebenenfalls schrittweise folgen.

Die deutschlandweit einheitlichen Prüfungsbestandteile würden einen transparenten Vergleichsmaßstab zur Angleichung der Anforderungen in ganz Deutschland liefern. So könnten sie dazu beitragen, dass die zwischen den Bundesländern längst vereinbarten nationalen Bildungsstandards endlich auch umgesetzt werden, damit wirklich alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland die notwendigen Kompetenzen erwerben. Nur wenn einheitliche Prüfungen das Erlernte deutschlandweit überprüfen, wird aus der Unverbindlichkeit von Standards ein unausweichliches Ziel, auf das sich Lehrkräfte und Schülerschaft in allen Bundesländern vorbereiten müssen. Es gibt zahlreiche Belege in der Forschung etwa anhand der Pisa-Tests, dass zentrale Abschlussprüfungen insgesamt zu deutlich besseren Schülerleistungen führen.

Zugleich könnte ein "Gemeinsames Kernabitur" bundesweit hinreichende Studierfähigkeit sichern. Das Abitur hat in Deutschland eine lange Tradition als Reifeprüfung, die die Studierfähigkeit attestieren und damit den Zugang zum Hochschulsystem eröffnen soll. Aber wenn die Prüfungen zwischen den Bundesländern wie derzeit gar nicht vergleichbar sind, ist der Hochschulzugang über die Abschlussnote unfair geregelt. Seit Jahrzehnten werden zwischen den Ländern beträchtliche qualitative Unterschiede hinsichtlich der Aufgabenstellungen und Bewertungsniveaus nachgewiesen. Aus diesem Grund hat nun sogar das Bundesverfassungsgericht das derzeitige Zulassungsverfahren zum Medizinstudium als verfassungswidrig eingestuft. Nur mit einer besseren Vergleichbarkeit der Abiturnoten über Landesgrenzen hinweg wäre die grundgesetzlich verbriefte Chance auf gleiche Teilhabe und damit ein fairer Hochschulzugang für Absolventen aus verschiedenen Bundesländern sichergestellt.

Noch vor wenigen Jahren haben Bildungspolitiker die Idee von deutschlandweiten Abiturprüfungen lächerlich gemacht, weil es unmöglich sei, gemeinsame Termine für alle Bundesländer zu finden. Dass dies ein offensichtlich vorgeschobenes Argument war, hat mittlerweile die Realität bewiesen: Die Mathematik-Abiturprüfungen werden deutschlandweit am selben Tag geschrieben, mit Aufgaben aus einem "gemeinsamen Aufgabenpool". Statt solcher unbefriedigenden Halblösungen sollte die Bildungspolitik endlich Ernst machen.

Der bayerische Ministerpräsident sollte wie in der Umweltpolitik auch in der Bildungspolitik den Hebel umlegen und für eine moderne christsoziale Bildungspolitik stehen, die den Schritt in die Zukunft macht. Dabei muss er sich nur darauf besinnen, dass es Bayern war, das die Speerspitze der wenigen willigen Bundesländer geformt hat, die als erste gemeinsame Prüfungsaufgaben eingeführt haben. Auf der Basis der gewonnenen Erfahrungen sollten die Bundesländer einen Staatsvertrag schließen, damit in den Kernfächern in ganz Deutschland an einem Tag dieselben Abiturprüfungen auf dem Niveau der führenden Länder geschrieben werden. Das wäre auch im Interesse der Bayern.

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Abitur, Illustration: Stefan Dimitrov

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