Gap Year:Jetzt aber mal raus hier

Es gilt, Zeit zwischen Abi und Studium zu überbrücken? Oder eine Pause zwischen Bachelor und Master? Sechs Ideen für eine Auszeit zwischen den Ausbildungsphasen - und warum "Lücken" im Lebenslauf sinnvoll sein können.

Von Dorothea Grass und Christina Waechter

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Studium generale

Grafik Bücher

Quelle: Yinfinity

Agrarwissenschaften, Arabistik, molekulare Medizin oder doch lieber "was mit Medien"? Direkt nach dem Abitur eröffnet sich eine schier unendliche Welt an Studienmöglichkeiten - und lässt den einen oder anderen ratlos zurück. Wer unsicher ist, ob er lieber mittelalterliche Schriften entschlüsselt, philosophische Erkenntnisse abwägt oder doch lieber quantenphysikalische Experimente im Labor durchführt, dürfte mit dem Einsteigermodell Studium generale gut beraten sein. Zwei Varianten existieren: für die Allgemeinheit offene Vorlesungsreihen und spezielle Orientierungsprogramme für Abiturienten. Letztere bieten beispielsweise das Leibniz Kolleg in Tübingen, für naturwissenschaftliche Disziplinen die Technische Universität München (Studium naturale) oder in etwas abgewandelter Form das Leuphana-College in Lüneburg an.

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Jobben

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Quelle: Illustration: Yinfinity

Vielleicht macht sich das Jahr als Kellner in der Studentenkneipe im Lebenslauf nicht ganz so gut wie ein Praktikum bei einer Consulting-Firma. Fürs Leben lernst du in der Kneipe aber möglicherweise mehr. Wie man auf Menschen zugeht, zum Beispiel. Wie man in Stress-Situationen die Ruhe bewahrt oder die Fähigkeit entwickelt, im Angesicht eines kleines Schälmessers und eines riesigen Kartoffelbergs nicht zu verzweifeln. Dazu übst du dich im Kopfrechnen, entwickelst Respekt für die Arbeit von Service-Mitarbeitern und lernst, was Alkohol so alles mit Menschen anstellen kann. Das sind nicht zu unterschätzende Social Skills, die sich die Consulting-Heinis später mühsam in teuren Führungskräfte-Seminaren antrainieren müssen.

Dasselbe gilt übrigens auch für Jobs als Promoter, Babysitter oder im Call Center. All diese Nebenjobs mögen unglamourös klingen (und sein). Doch sind sie wichtig und können sehr viel Spaß machen. Und selbst wenn nicht, wirst du am Ende wichtige Lektionen gelernt haben. Nirgendwo sonst lernt man so schnell, was Arbeit bedeutet und was daran Spaß macht. Und natürlich auch, was man nicht will. Nach einem halben Jahr im Call Center könntest du dich davon überzeugt haben, dass du zwar mit Menschen arbeiten willst, aber nie wieder am Telefon.

All diese Fähigkeiten wirst du voraussichtlich nicht ins Zentrum deiner nächsten Job-Bewerbung stellen können. Aber das ruhige Selbstvertrauen einer Person, die schon einmal eine Herde Kleinkinder einen ganzen Nachmittag ohne Schaden betreut hat, das nimmt auch der Personaler im nächsten Vorstellungsgespräch wahr.

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Praktikum

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Praktika können schrecklich sein: Niemand redet mit einem, man sitzt einsam in einem kleinen Kabuff, wird nicht in die Kantine mitgenommen und muss sich jeden noch so blöden Auftrag von mürrischen Vorgesetzten abtrotzen. Und man geht irgendwann so weit, sich glücklich schätzen, einen ganzen Tag lang Etiketten mit Adressen zu bedrucken. Alles besser, als zum hundertsten Mal auf Facebook nach dem Rechten zu schauen. Nicht in jedem Studium sind Praktika und Hospitanzen fester Bestandteil. Für viele Branchen sind sie aber Standard. Im Journalismus zum Beispiel, in der PR oder im Bereich der Kunst und Kultur - um nur ein paar zu nennen.

Selbst wenn das Praktikantendasein nicht viele Privilegien bietet, eines gibt es nur hier: sich einfach mal ausprobieren dürfen. Nichts wissen müssen, sondern einfach nur fragen dürfen. Die Nase in Branchen halten, die man schon immer kennenlernen wollte.

Wenn man Glück hat und wirklich etwas zu tun bekommt, kann ein Praktikum großartig sein. Dann nämlich, wenn man selbständig arbeiten und dabei erspüren darf, ob diese Arbeit die Richtige ist. Und dann am Ende vielleicht ein Zeugnis in der Hand hält, das die nächsten Türen auf dem Weg zum Traumjob öffnen wird. - Wenn nicht sogar gleich ein Job dabei herausspringt.

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Weiterbildung

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Quelle: Illustration: Yinfinity

Abgesehen davon, dass ein Gap Year immer in irgendeiner Weise der Weiterbildung dienen sollte, damit es nicht zum Gammel-Jahr wird, lässt sich die Zeit auch gut für spezifische Fortbildungen nutzen. Zum Beispiel, um all jenes Wissen und die Fertigkeiten zu erwerben, die in der Schule und im Studium zu kurz gekommen sind. Oder in denen schlichtweg persönlicher Nachholbedarf besteht.

Du hast etwa einen geisteswissenschaftlichen Bachelor of Arts und würdest dir gerne noch kaufmännische Grundlagen aneignen, bevor du die Ausbildung fortsetzt beziehungsweise ins Berufsleben startest? Du möchtest Modeblogger werden hast aber a) zu wenig Fachkenntnis über das Nähen und bist b) in Computerdingen komplett ahnungslos? Die englischprachige Fachliteratur in deinem naturwissenschafltichen Studium überfordert dich? Du hast während deines Radiopraktikums festgestellt, dass deine Stimme wackelt und du ein Sprechtraining brauchst?

Es gibt eine breite Palette an Möglichkeiten: Einzel- oder Gruppenkurse bei Profis, private Fortbildungseinrichtungen oder auch ganz klassisch die nächstgelegenen Volkshochschulen und Bildungszentren der Industrie - und Handelskammer (IHK). Oft lässt sich Weiterbildung auch mit einem Nebenjob, Praktikum oder mit sozialem Engagement kombinieren.

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Auslandsaufenthalt

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Quelle: Illustration: Yinfinity

Jeden Morgen die gleichen Wege. Und auf den Wegen die gleichen Gesichter. Keine Frage: Du musst mal raus - und zwar für länger. Was dich erwartet, ist nicht weniger als die große weite Welt. Orte, an denen du niemanden kennst, an denen du dich in einer fremden Sprache um ein WG-Zimmer kümmern musst und die Annäherung an den Begriff "kulturelle Unterschiede" zur Selbsterfahrung wird. Fernab der Heimat wirst du besser verstehen, wo deine Wurzeln sind und warum du bei Witzen an Stellen lachst, bei denen dein ausländisches Gegenüber noch nicht einmal eine Augenbraue nach oben zieht.

Ganz gleich, ob du dich für ein Work & Travel- Konzept entscheidest, du als Erntehelfer in Olivenhainen oder Sprachassistent an einer Schule arbeitest, ein Erasmus- oder Freiwilliges Soziales Jahr machst oder vielleicht doch die altbewährte Au-Pair-Option wählst: So wie du weggefahren bist, wirst du nicht mehr wiederkommen.

Du wirst einiges mit zurücknehmen. Zum Beispiel das Wissen darum, dass es andere Lebenskonzepte gibt, von denen du zwar vorher keine Ahnung hattest, die aber trotzdem Sinn stiften. Die Erfahrung, sich als Fremder in einer neuen Umgebung einen Lebensalltag zu organisieren. Oder die Fähigkeit, jetzt eine Fremdsprache mehr beziehungsweise besser sprechen zu können. Oder auch ein neues Stück Heimat fernab der alten gefunden zu haben - inklusive neuen Freunden, denen du gerne einmal zeigst, wo du eigentlich herkommst.

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Soziales Engagement

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Quelle: Illustration: Yinfinity

Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr, Ehrenamt im Sportverein oder bei der Caritas, Entwicklungshilfe oder Umweltschutz: Möglichkeiten für Soziales Engagement gibt es sowohl im Inland als auch im Ausland zuhauf. Ob die Tätigkeit unbezahlt oder zumindest symbolisch bezahlt wird, ist für die meisten "Volunteers" zweitrangig. Wichtig ist ihnen eine Tätigkeit mit Sinn. Eine, um sich jenseits des Profitstrebens für Dinge, Menschen oder Tiere einzusetzen, denen eine Lobby fehlt. Idealismus und Selbstlosigkeit sollten allerdings nie so weit gehen, dass man dabei selbst auf der Strecke bleibt. Oder monatliche Spendengelder im vierstelligen Bereich für dubiose Vereine einsammeln muss.

Wichtig ist es, auf seriöse Anbieter von Freiwilligendiensten zu achten (zum Beispiel Deutsches Rotes Kreuz, Caritas, Internationaler Jugendfreiwilligendienst IJFD oder Europäischer Freiwilligendienst EFD), wenn man sich nicht privat ein Projekt suchen möchte.

Wer sich auf ungewohntes Terrain begibt, um Behinderte zu pflegen, Meeresschildkröten zu retten, Kleidermärkte für Bedürftige zu betreuen oder Bäume zu pflanzen, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lernen, eigene Vorstellungen und Ideale zu hinterfragen. Er wird sie vielleicht revidieren, manchmal auch bestärken oder ändern. Eines wird er aber auf jeden Fall: Daran als Mensch wachsen. Der Personaler beschreibt diesen Punkt gerne mit den Worten "Persönlichkeitsentwicklung". Wichtig ist, dass du selbst weißt, warum du dich engagieren möchtest. Und du später im Vorstellungsgepräch benennen kannst, was genau du dabei gelernt hast.

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Gapyear allgemein

Quelle: Illustration: Yinfinity

讀萬卷書,不如行萬里路,行萬里路,不如閱人無數。ist eine chinesische Weisheit. Sie besagt: "Besser als zehntausend Bücher zu lesen ist es, zehntausend Meilen zu gehen. Besser als zehntausend Meilen zu gehen ist es, zehntausend verschiedene Menschen zu treffen."

SZ-Illustratorin Yi Luo (Yinfinity) kam dieser Spruch aus ihrer Heimat in den Sinn, als sie die Bilder zum Thema "Gap Year" zeichnete.

© Süddeutsche.de/jobr
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