Ganztagsbetreuung für Schulkinder:Warum berufstätige Eltern es in Bayern schwer haben

Nur etwa fünf Prozent der bayerischen Schulkinder besuchen eine Ganztagsschule. Damit ist der Freistaat mit Abstand deutschlandweites Schlusslicht. Ein schlüssiges Konzept für eine Ganztagsbetreuung fehlt bislang - was berufstätige Eltern vor große Probleme stellt.

Tina Baier

Berufstätige Mütter müssen gut organisiert sein. Besonders kurz vor Weihnachten erfordert der Blick auf einen einzigen Tag im Terminkalender gute Nerven. 16 Uhr: Weihnachtsbasteln Kinderkrippe. 16.30 Uhr: Teamsitzung. 17 Uhr Weihnachtsfeier Kindergarten. 17.30 Uhr: Weihnachtsfeier Büro. Außerdem: Projekt XY vor den Feiertagen abschließen und Ritterburg von Lego besorgen. Das alles lässt sich mit Hilfe von Organisationstalent, Oma und Mut zur Lücke irgendwie regeln. Doch auf der To-Do-Liste vieler Mütter, deren Kinder nächstes Jahr in die Schule kommen, gibt es einen Punkt, der viele wirklich verzweifeln lässt: "Nachmittagsbetreuung für nächstes Jahr organisieren."

Ganztagsbetreuung für Schulkinder: Wer soll auf die Kinder aufpassen, wenn die Schule aus ist? Eltern in Bayern haben es besonders schwer, Nachmittagsbetreuung für ihren Nachwuchs zu organisieren.

Wer soll auf die Kinder aufpassen, wenn die Schule aus ist? Eltern in Bayern haben es besonders schwer, Nachmittagsbetreuung für ihren Nachwuchs zu organisieren.

(Foto: FFB)

Wenn die Schuleinschreibung näher rückt, haben berufstätige Eltern ein ernsthaftes Problem. Während Kindergärten selbstverständlich bis zum späten Nachmittag geöffnet haben, endet der Unterricht in der ersten Klasse oft schon vor zwölf Uhr Mittags. Das lässt sich nicht einmal mit einem Halbtagsjob vereinbaren. In München ist es mancherorts so gut wie aussichtslos, einen Platz in einem Hort, einem Tagesheim, einer Ganztagsklasse oder einer Mittagsbetreuung zu ergattern. Dabei kann man der Stadt keinen allzu großen Vorwurf machen. Seit Jahren wird keine neue Grundschule ohne Tagesheim gebaut, wo die Kinder nach dem Unterricht essen, spielen und Hausaufgaben machen. Und Stadtschulrat Rainer Schweppe (SPD) versucht mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, mehr Ganztagsklassen zu schaffen. Doch der Bedarf wächst ständig, und daran wird sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern: Entgegen dem bundesweiten Trend gibt es in München seit fünf Jahren einen Babyboom.

Bayernweit ist der Bedarf zwar nicht ganz so hoch wie in der Landeshauptstadt. Doch auch auf dem Land hat sich die gesellschaftliche Situation verändert. "Der Ausbau der Ganztagsangebote hat höchste Priorität", sagt Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) denn auch pflichtschuldig. Doch man wünscht sich, er würde in diesen Satz nur halb soviel Elan legen, wie wenn er sich über die Gemeinschaftsschule echauffiert oder für den Erfolg der Mittelschule kämpft.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nach einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts in München, die auf Daten aus dem Jahr 2010 beruht, besuchen in Bayern nur etwa fünf Prozent aller Schüler eine Ganztagsschule. Das ist mit Abstand der geringste Prozentsatz in ganz Deutschland. Selbst in Baden-Württemberg gibt es mit 24,4 Prozent mehr Ganztagsschüler. In Sachsen sind es sogar 69,4 Prozent. Grundsätzlich gibt es in Deutschland bei der Nachmittagsbetreuung von Grundschulkindern ein starkes Gefälle von Ost nach West.

Probleme gibt es auch mit den Öffnungszeiten. Deutschlandweit betreuen nach einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages nur sechs Prozent der Horte die Kinder auch nach 17 Uhr. Jede fünfte Schule mache vor oder um 15 Uhr zu. Ein Riesenproblem für berufstätige Eltern, die im Schnitt nur sechs Wochen Urlaub haben, seien die doppelt so langen Schulferien.

Kaum mit einem Vollzeitjob zu vereinbaren

Auch in Bayern sind die Öffnungszeiten oft kaum mit einem normalen Vollzeitjob zu vereinbaren. Es fängt damit an, dass die meisten Kinder, die in den Statistiken sowohl des Freistaats als auch der Stadt München als "ganztägig betreut" geführt werden, eine sogenannte Mittagsbetreuung besuchen. Diese wird meist von Eltern organisiert und endet oft schon um zwei oder drei Uhr nachmittags. Es geht damit weiter, dass man im Kultusministerium unter "Ganztag" rätselhafterweise eine Nachmittagsbetreuung von Montag bis Donnerstag versteht. Und was ist mit Freitag? Arbeiten die Beamten in der Münchner Salvatorstraße etwa nur vier Tage? Anderswo hat die Arbeitswoche jedenfalls fünf Tage, und irgendwann fällt es auch dem gutmütigsten Chef auf, wenn Mitarbeiter mit schulpflichtigen Kindern jeden Freitagmittag üble Zahnschmerzen oder Migräne bekommen.

Dass man sich im Kultusministerium irgendwie schwer tut mit der Ganztagsidee ist sicher eine Frage des Geldes - aber nur zum Teil. Möglicherweise hat es auch damit zu tun, dass es in der Erfahrungswelt der meisten Menschen in dieser Behörde kaum vorkommt, dass Mutter und Vater den ganzen Tag nicht zu Hause sind. Einer der Gründe dafür könnte sein, dass die meisten Beamten im Kultusministerium in ihrem früheren Leben Lehrer waren (natürlich an einer Halbtagsschule, denn es ist noch gar nicht so lange her, dass die CSU die Ganztagsschule ähnlich vehement abgelehnt hat wie heute die Gemeinschaftsschule). Sie kamen also mittags nach Hause und haben wahrscheinlich nie erlebt, wie es ist, in der Arbeit unter dem vorwurfsvollen Blick des Chefs meistens als Erster zu gehen, um dann die Kinder unter dem vorwurfsvollen Blick einer Erzieherin meistens als Letzter abzuholen.

Dabei ist es ein Fortschritt, dass die Ganztagsbetreuung von Schulkindern sowohl bei der Stadt als auch im Freistaat ein wichtiges Thema geworden ist. Zeitweise hatte es nämlich den Anschein, als ob man über der Diskussion um mehr Krippenplätze für Kleinkinder unter drei Jahren, auf die es schon ab dem Jahr 2013 einen Rechtsanspruch geben soll, die älteren Kinder vergessen hätte. Dabei hätte es doch eigentlich von Anfang an klar sein müssen, dass man Kinder nicht von heute auf morgen, nur weil sie in die Schule kommen, am Nachmittag stundenlang sich selbst überlassen kann.

Was in Bayern fehlt, ist auch ein Konzept, wie eine gute Ganztagsbetreuung aussehen soll. Derzeit gibt es von der Mittagsbetreuung über den Hort bis hin zur offenen oder gebundenen Ganztagsklasse ein wildes Durcheinander verschiedenster Angebote, das die meisten Eltern gar nicht mehr durchschauen. Müssen sie aber auch gar nicht. Denn bis auf Weiteres stehen die wenigsten Mütter und Väter vor dem Luxus-Problem, sich zwischen Mittagsbetreuung und gebundener Ganztagsklasse entscheiden zu müssen. Die meisten können froh sein, überhaupt irgendwo einen Platz zu ergattern.

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