G 8 oder G 9:Welches Gymnasium hätten S' denn gern?

Schüler demonstrieren gegen G8

Schüler demonstrieren im Mai 2013 vor dem Landtag in Düsseldorf gegen das G 8.

(Foto: dpa)
  • Die Kritik von Schülern, Eltern und Lehrern am achtstufigen Gymnasium reißt nicht ab. In vielen Bundesländern arbeiten die zuständigen Ministerien mittlerweile an Kompromissen.
  • Drei Beispiele - Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen - zeigen, auf welch unterschiedlichem Stand die einzelnen Länder in der Diskussion sind.

Von Matthias Kohlmaier

Es gibt verschiedene Arten, eine Fehlentwicklung zu korrigieren. Konsequent, mit einem Rückschritt zum Ausgangszustand; oder weniger konsequent, scheibchenweise, in einem für alle Beteiligten quälend langen Prozess. Oder, und auch diese Möglichkeit der Fehlerkorrektur sei erwähnt, gar nicht.

Ob die Einführung des achtstufigen Gymnasiums zwischen 2001 und 2009 (je nach Bundesland wurde das G 8 zu unterschiedlichen Zeiten eingeführt) ein schulpolitischer Fehler war, ist nach wie vor unklar. Viele Studien deuten daraufhin, dass der leistungsmäßige Unterschied zwischen G-8- und G-9-Abiturienten kaum vorhanden ist. Was dennoch klar ist: Ein großer Teil der Betroffenen, Schüler, Lehrer, Eltern, hat sich nie richtig mit der verknappten Gymnasialzeit anfreunden können. Zu wenig Freizeit, zu viel Stress hätten die Kinder, dazu sei der Lehrstoff des neunjährigen Gymnasiums vielerorts überhastet in ein achtjähriges Konzept gespresst worden.

Die Entscheidungsträger in den Landtagen erkennen mehr und mehr, dass die Kritik am G 8 durch Ignorieren nicht verschwindet. Schon seit einigen Jahren wird in mehreren Bundesländern an - teils weitreichenden - Umstrukturierungen gearbeitet. Die Debatte in drei Schlaglichtern:

Niedersachsen

G 8 ade: Als bisher einziges Bundesland kehrt Niedersachsen mit Beginn des kommenden Schuljahres zum G 9 zurück. Und auch das kommt in der deutschen Bildungslandschaft nicht häufig vor: Die für die Entscheidung zuständige Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) zeigte sich darüber im Interview mit SZ.de ebenso erfreut wie Eberhardt Brandt, der Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW in einer Stellungnahme.

Doch die Schüler wechseln nicht einfach ins alte G 9 zurück. Ab September beginnen an Niedersachsens Gymnasien die Klassen fünf bis acht nach dem neuen, auf neun Jahre angelegten Lehrplan zu lernen. Das zusätzliche Jahr soll verstärkt für Angebote zur Studien- und Berufsorientierung genutzt werden. Besonders leistungsstarke Schüler werden auch weiterhin nach acht Jahren das Abitur ablegen können, allerdings hat man sich in Hannover nicht im eigentlichen Sinn für ein Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten entschieden. Wer ein persönliches G 8 absolvieren möchte, muss künftig laut Heiligenstadt im Konstrukt des G 9 eine Klasse überspringen.

Prognose: Womöglich wird in den kommenden Jahren noch über Detailfragen diskutiert. Prinzipiell aber wird das G 9 in Niedersachsen auf lange Sicht Bestand haben.

Bayern testet die "Mittelstufe Plus"

Bayern

Wie in Niedersachsen wurde auch in Bayern das G 8 zum Schuljahr 2004/05 eingeführt. Und auch hier wird sich im kommenden Schuljahr etwas ändern, wenn auch vorerst nur ein bisschen. An 47 Modellschulen startet das zweijährige Pilotprojekt Mittelstufe Plus.

Es sieht vor, dass Schüler die Mittelstufe in drei - wie im G 8 vorgesehen - oder in vier Jahren absolvieren können. Dafür werden die Schüler nach ihrem Wunsch nach der siebten Klasse in einen Regelzug und einen Mittelstufe-Plus-Zug eingeteilt. In der Mittelstufe Plus stehen in den Klassen acht, neun und neun Plus jeweils 30 Wochenstunden Unterricht an. Zum Vergleich: Im G 8 müssen die Kinder in den Klassen acht bis zehn jeweils 34 Stunden wöchentlich lernen. Im Pilotprojekt folgt auf die Klasse neun Plus die Jahrgangstufe zehn mit 32 Wochenstunden. Durch das eingeschobene Jahr wird Nachmittagsunterricht vermieden, im Gegensatz zum kaum wahrgenommenen "Flexijahr" können die Schüler außerdem in ihrem Klassenverband bleiben. An den Pilotschulen haben sich - sehr zur Überraschung der CSU, die von einer deutlich niedrigeren Quote ausgegangen war - etwa 60 Prozent der Schüler für die Mittelstufe Plus und damit gegen das G 8 entschieden.

Auch wenn die regierende CSU damit einen Schritt auf die G-8-Kritiker zugegangen ist, gibt es Ärger. Denn für das Pilotprojekt beworben hatten sich 71 Schulen, das Kultusministerium begründet die 24 Ablehnungen mit organisatorischen Gründen. "Völlig unverständlich, dass die Chance, die Mittelstufe Plus zu testen, nicht allen Bewerbern eingeräumt wird", sagt der Rektor einer Schule, die den Zuschlag bekam. Im oberfränkischen Kronach etwa kämpft ein Gymnasium nach wie vor mit allen Mitteln darum, an der Pilotphase teilnehmen zu dürfen.

Prognose: Eine Kehrtwende zum G 9 wird es mit der CSU nicht geben. Eine gesichtswahrende Lösung wäre, die Mittelstufe Plus als Kompromisslösung zu etablieren und spätestens zum Schuljahr 2017/18 flächendeckend einzuführen.

Nordrhein-Westfalen

"Die Rückkehr zu G 9 ist nicht die Patentlösung", sagte Ende Juni ein Mitglied des NRW-Landtages. Das Erstaunliche daran: In NRW regiert Rot-Grün, die Wortmeldung aber stammt vom CDU-Schulexperten Klaus Kaiser. Dass in der Diskussion um die Gymnasien in Nordrhein-Westfalen Opposition und Regierung das bestehende G 8 gemeinsam gegen das Wählervolk verteidigen, zeigt, wie komplex die Lage im Land ist.

Dort hat eine Volksinitiative gegen das 2005 gestartete G 8 100 000 Unterschriften für eine Rückkehr zum G 9 gesammelt, allerdings scheiterten die G-8-Gegner bei einer Abstimmung im Landtag. SPD, Grüne sowie die oppositionelle FDP stimmten dagegen, die CDU enthielt sich. Einzig die Piratenpartei sprach sich für den Vorschlag der Volksinitiative "G 9 jetzt in NRW" aus. Nun gibt es noch die Möglichkeit, ein Volksbegehren zu starten, etwa 1,1 Millionen Unterschriften wären dafür nötig. Lehnt der Landtag eine Rückkehr zum G 9 dann weiter ab, käme es zu einem Volksentscheid.

Derweil untersucht das Schulministerium mit dem Schulversuch "Abitur an Gymnasien nach 12 oder 13 Jahren" seit 2011, welchen Einfluss die unterschiedlichen Bildungsgänge auf den Erfolg der Schüler haben. 13 der insgesamt 630 Gymnasien in NRW bieten dafür bis 2024 das G 9 an. Um das G 8 stressfreier zu gestalten, hat die zuständige Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) zusätzlich alle Beteiligten an einen Runden Tisch gebeten. Dort wurde Ende 2014 mehrheitlich das Festhalten am achtjährigen Gymnasium beschlossen, allerdings mit verschiedenen Erleichterungen für die Schüler. Zum Beispiel soll laut dem Papier die "höchst zulässige Hausaufgabenmenge" reduziert werden.

Prognose: Mit Ausnahme von Eltern- und Schülerverbänden will in Nordrhein-Westfalen kaum jemand - auch keine Majorität der Lehrer - zum G 9 zurückkehren. Daher wird das G 8, sollte es nicht zum Volksentscheid kommen, mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens bis zum Ende des laufenden Schulversuchs bestehen bleiben.

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