Fünf Jahre Humboldt-Professuren:Das Millionen-Paket

Seit Jahren versucht die Politik, mit den Humboldt-Professuren Spitzenforscher aus aller Welt nach Deutschland zu holen. In vielen Fällen gelingt dies - doch die Ernüchterung folgt im Alltag: im Ringen mit Hochschul-Bürokraten.

Von Roland Preuß

Manchmal vermisst Oliver Brock die USA noch. Die Reaktionen, wenn er eine neue Idee in die Runde wirft. "Lass uns das mal versuchen" - hieß es dann in den Vereinigten Staaten. In Deutschland klingt es eher so: "Haben wir noch nie gemacht - wir finden noch was, warum das nicht geht." Und dennoch hat sich Brock dafür entschieden, aus Amerika, dem Land der großen Forschungsmöglichkeiten, nach Deutschland zurückzukehren. Nach einer fulminanten Karriere, die ihn nach dem Studium an der TU Berlin über die US-Spitzenuniversität Stanford an die renommierte University of Massachusetts führte. Brock forschte an Robotern mit künstlicher Intelligenz, Maschinen also, die selbständig lernen und auch komplizierte Bewegungen beherrschen sollen.

Dann kam das Angebot aus Deutschland: Brock konnte eine Alexander-von-Humboldt-Professur annehmen. Seit fünf Jahren forscht er nun wieder an seiner alten Universität in Berlin, als Professor am Institut für Technische Informatik und Mikroelektronik. In seinem Regal steht eine alte Computerhand, vom Büro im fünften Stock blickt man auf den Campus der TU. "Es läuft hier gerade super", sagt Brock.

Fünf Millionen Euro erhält Brock, verteilt auf fünf Jahre. Das verschafft viele Freiheiten

Es wäre auch eigenartig, wenn ausgerechnet Oliver Brock jetzt anfinge zu jammern. Denn der 43-Jährige kann einen warmen Regen aus Fördergeld genießen. Die Humboldt-Professur wird als Preis verliehen, fünf Millionen Euro erhalten experimentell arbeitende Wissenschaftler wie Brock für fünf Jahre, 3,5 Millionen die Kollegen aus den theoretischen Disziplinen. Brock fing 2009 als einer der ersten Preisträger an, inzwischen lehren und forschen gut 30 Wissenschaftler mit dem komfortablen Finanzpolster im Rücken. An diesem Donnerstag werden sechs neue Humboldt-Professuren verliehen.

Die Bundesregierung hatte das Modell aus einer ernüchternden Erkenntnis heraus erschaffen: Viele begabte Wissenschaftler gehen ins Ausland und zu wenige von ihnen kehren zurück. Zu attraktiv sind die Möglichkeiten in den USA oder der Schweiz, zu lau die Angebote aus Deutschland. Mehrere Programme von Bundesländern und Stiftungen bieten Rückkehrwilligen inzwischen Zuschüsse für Ausstattung oder Einkommen an, die Exzellenzinitiative mit ihren Programmen und Eliteunis schüttete Milliarden über die Hochschulen aus.

Das attraktivste Angebot an Spitzenforscher aber ist eine Humboldt-Professur. 92 Millionen hat das Bundesforschungsministerium bisher an Steuergeld dafür ausgegeben. Das Ziel ist, die weltweit besten Wissenschaftler aus dem Ausland nach Deutschland zu locken. Doch gelingt dies? Nach fünf Jahren lässt sich da durchaus eine Bilanz ziehen.

Schon der Blick über die Lebensläufe der Preisträger ist erhellend. Die Forscher kommen von Hochschulen mit Weltruf, aus Cambridge, Boston oder von der ETH Zürich - und von attraktiven Positionen. Die Preisträger selbst erhalten aus dem Preisgeld 180 000 Euro im Jahr, die Uni kann dies weiter aufstocken. Der Rest der Summe fließt in die Forschung, etwa in Laborausstattung, Rechner oder auch empirische Studien, entscheiden kann das der Preisträger.

Es fühlt sich etwas gruselig an

Brocks Dekan in den USA sagte damals: Wir wollen dich gerne halten, aber diese Möglichkeiten könne er nicht mal entfernt bieten. Die Forschungsmöglichkeiten wohlgemerkt, Brocks Einkommen in den USA war trotz des Preisgelds höher. "Ich wusste gar nicht, wie attraktiv das ist, ich kann ganz anders forschen", sagt Brock.

Was er mit dem Geld gemacht hat? Als Antwort führt Brock den Besucher ein paar Räume weiter, alte Industrieroboter und neue Geräte auf Rollen stehen da zwischen Computertischen und erinnern an Staubsaugerroboter aus dem Baumarkt. Hier versuchen sich Studenten an den wandelnden Computern. Ein Großraumbüro weiter wird geforscht. Ein Mitarbeiter steuert die neueste Entwicklung vom Schreibtisch aus, einen Roboter, der an einen menschlichen Torso erinnert und eine aufblasbare Silikonhand hat, die Tomaten, Bananen, Bälle und vieles mehr exakt greifen kann. Wer Meka T2 begrüßt, den drückt eine kalte, weiche, Gummihand. Es fühlt sich etwas gruselig an. Die Roboterhand, das ist Brocks Leidenschaft und Forschungsschwerpunkt.

Abseits des Sichtbaren lässt sich der Erfolg Brocks und seiner Humboldt-Kollegen noch schwer messen. Sie müssen nach spätestens fünf Jahren Berichte über ihre Aktivitäten schreiben, aber es gibt keine Zielvorgaben oder Kontrollen. Der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz, hat Vertrauen in die Motivation der Ausgesuchten. "Mit Misstrauen kann keine Spitzenforschung entstehen", sagt Schwarz. Die Rückmeldungen aus den Universitäten seien positiv. Es gebe keine Beschwerden, etwa über Professoren, die dank der üppigen Ausstattung faul geworden sind.

Kritikpunkte sind erkennbar, ja offensichtlich

Eine Umfrage der Humboldt-Stiftung unter den Professoren ergab: Die große Mehrheit hat weitere Fördermittel eingeworben, sieben der 34 Professoren haben Preise erhalten wie etwa den Max-Born-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Kommendes Jahr soll eine ausführlichere Bilanz des Programms erstellt werden.

Schon jetzt sind allerdings Kritikpunkte erkennbar, ja offensichtlich. So ist die Humboldt-Professur fast ausschließlich eine männliche Veranstaltung, gerade mal eine Frau, die Biologin Ulrike Gaul, ist unter den 34 Spitzenforschern, an diesem Donnerstag kommen immerhin zwei Frauen hinzu, darunter die Infektionsforscherin Emmanuelle Charpentier.

Das läuft jedem Ziel, mehr Frauen in die Forschung zu bringen, zuwider. Von den 138 Preisnominierten seit 2009 waren nur zwölf Frauen. Allerdings hätten zwei Forscherinnen die Humboldt-Professur ausgeschlagen, sagt Schwarz. Sie entschieden sich für bessere Angebote ihres bisherigen Instituts. Schwarz spricht das Problem offen an, doch was hilft? "Eine Frauenquote würde das Leistungsprinzip beschädigen", sagt Schwarz. Er fordert die Universitäten auf, bewusst nach befähigten Frauen zu suchen. "Die Universitäten müssen sich wie Headhunter gezielt auf die Suche nach Spitzenforschern machen, darunter auch mehr Frauen", sagt Schwarz.

Er sieht die Universitäten auch bei einem anderen Thema am Zug: der Last die Hochschulbürokratie. Sie scheint ein ganz eigenes Phänomen des deutschen Hochschulsystems zu sein, eine Art zeitraubende Geisterbahn für Spitzenforscher. Sie wird von mehreren Humboldt-Professoren als zäh, wenn nicht widerspenstig wahrgenommen.

"Der größte berufliche Kulturschock"

"Das war der größte berufliche Kulturschock zu erkennen, welche Verwaltungsprozesse es überhaupt gibt", sagt Brock über seine Ankunft im deutschen Unisystem. "In den USA wurde das von mir ferngehalten." Dort liefen etwa Einstellungen von studentischen Hilfskräften schneller und unkomplizierter. "Ich ging zur Sekretärin und am nächsten Tag erhielt der Neue sein Geld. Hier gibt es eine Ausschreibung und es befassen sich die Fakultätsverwaltung, der Personalrat, die Frauen- sowie die Schwerbehindertenbeauftragte damit", sagt Brock.

Man kann sich in das System hineinwühlen wie Brock, man kann sich Hilfe organisieren wie Charpentier (siehe Interview in der SZ vom 05. Mai 2014) - oder auch aufgeben, wie der Mathematik-Professor Friedrich Eisenbrand. Er war für ein halbes Jahr Kollege Brocks an der TU Berlin.

Eisenbrand möchte selbst zwei Jahre später nicht über die Hintergründe seines überraschenden Abschieds von der Humboldt-Professur in Berlin sprechen, der Vorfall belastet ihn bis heute. Schon damals sickerte durch, dass er sich mit der Verwaltungsspitze der Universität stritt; es gab eine Verstimmung über zugesagte Räume, die auch jemand anderem versprochen waren, die Chemie zwischen Präsident und Professor soll nicht gestimmt haben. Irgendwann reichte es Eisenbrand. Er kehrte mit seiner Familie an die Hochschule Lausanne zurück.

"Servicehaltung gegenüber den Wissenschaftlern entwickeln"

Probleme mit der Uni-Verwaltung sind für viele Spitzenforscher ein Ärgernis, sagt Schwarz. "Die Univerwaltungen in Deutschland müssen flexibler werden, sie müssen endlich eine Servicehaltung gegenüber den Wissenschaftlern entwickeln."

Und da ist noch eine Auffälligkeit: Von den Preisträgern entscheidet sich jeder vierte letztlich doch gegen ein deutsches Institut. Schwarz ficht das allerdings nicht an. "Die Kandidaten erhalten oft ein attraktives Gegenangebot ihres Instituts. Das zeigt, dass wir die richtigen Spitzenleute auswählen."

Dabei geht es nicht nur um Millionen, Spitzenunis und Forschungscluster. Manchmal sind die Wünsche des Partners entscheidend, mal spielen Heimatgefühle eine Rolle, so wie bei Oliver Brock. Er stammt aus Berlin-Dahlem, immer wieder liebäugelte er damit zurückzukehren. Acht Jahre unter Präsident George W. Bush entfremdeten ihn von den USA. Da kam das Angebot gerade recht. "Meine Eltern, mein Bruder und Freunde leben hier." Da sei auch ein Stück Lokalpatriotismus dabei, sagt Brock. Da unterscheidet er sich doch sehr von seinen Robotern.

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