Süddeutsche Zeitung

Fremdsprachen in der Grundschule:Deutsche Spätzünder

  • Zahlen der Statistikbehörde Eurostat zeigen: Grundschüler in anderen EU-Ländern beginnen früher damit, eine Fremdsprache zu lernen.
  • in Deutschland ist der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule seit zehn Jahren verpflichtend - meist wird damit aber erst in der dritten Klasse begonnen.

Von Johann Osel und Matthias Kohlmaier

Grundschüler in Deutschland lernen seltener eine Fremdsprache als ihre Altersgenossen in vielen EU-Ländern. Gut zwei Drittel (68 Prozent) der Kinder hierzulande erhalten innerhalb der ersten Schuljahre schon Sprachunterricht, die meisten davon Englisch. Damit liegt die Bundesrepublik unter dem EU-Schnitt von 82 Prozent, wie die europäische Statistikbehörde Eurostat am Donnerstag mitteilte. In Österreich, Malta, Zypern und Luxemburg lernen demnach alle Grundschüler eine neue Sprache. Französisch ist in der EU nach Englisch die am häufigsten gelehrte Sprache, auf dem dritten Platz liegt Deutsch. In der Mitteilung - anlässlich des Europäischen Tags der Sprachen an diesem Samstag - beruft sich Eurostat auf die jüngsten verfügbaren Daten aus dem Jahr 2013.

Dass Deutschland im Vergleich abfällt, dürfte an der Zahl der Schüler liegen, die erst in höheren Grundschulklassen mit der Fremdsprache beginnen. Seit zehn Jahren ist dieser Unterricht an Grundschulen verpflichtend. Vielerorts wurden Kinder schon seit der Jahrtausendwende an Sprachen herangeführt. In grenznahen Gebieten wird teils die Sprache des Nachbarlandes gelehrt, Französisch im Saarland etwa. In den meisten Ländern geht es in der dritten Klasse mit Englisch los, sechs beginnen in der ersten, etwa Baden-Württemberg. Das Konzept ist meist spielerisch, es wird viel gesungen, weniger geschrieben, es soll Freude an der Sprache entstehen. Der Unterricht legt "die Grundlage für den Erwerb von Mehrsprachigkeit und für lebenslanges Fremdsprachenlernen", heißt es dazu von der Kultusministerkonferenz.

Fremdsprachenlernen für die Kleinen war und ist mitunter von Skepsis begleitet. Kritiker führen auf, dass sich Grundschulen auf ihr "Kerngeschäft" - Lesen, Schreiben und Rechnen - konzentrieren und Lehrpläne nicht überfrachten sollen. Etwa der Philologenverband, in dem vor allem Gymnasiallehrer vereint sind, hat in einer Umfrage unter Mitgliedern große Bedenken ermittelt. Nur ein "intensives Sprachbad" - täglicher, fundierter Fremdsprachenunterricht - garantiere nennenswerte Fortschritte. Außerdem seien die Grundschullehrer oft nicht qualifiziert.

"Wir sind in einer Zwischenphase, bereits in wenigen Jahren werden wir einen ganz neuen Standard haben", sagt Heiner Böttger, Professor für Englisch-Didaktik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Einerseits habe inzwischen gut die Hälfte der aktuellen Englischlehrer an Grundschulen das Fach tatsächlich studiert - in den Anfangsjahren war meist nur ein Zusatzkurs üblich. Andererseits zeigten Studien, dass die Schüler am Ende der vierten Klasse zum Beispiel einfache Texte, schriftlich und über Gehör, gut erfassen können. Dass die Kinder durch die frühe Fremdsprache überfordert sein könnten, schließt Böttger aus. Für seine Studie wurden Schüler nicht nur getestet, sondern auch befragt - zur Motivation. Selbst in der Gruppe der Leistungsschwachen wollte der Großteil gern mehr Englisch lernen.

Beim Philologenverband sieht man aber auch ein neues Phänomen: Abstumpfung. "Noch vor zehn Jahren kamen die Kleinen von der Grundschule mit großen Augen und Neugier in den Englischunterricht gestürmt, begeistert, nun endlich mit Englisch anfangen zu dürfen", sagt eine Lehrerin. Heute gebe es teils Langeweile und Frust - manche sagten, dass sie "Englisch schon in der Grundschule gehasst haben".

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SZ vom 25.09.2015
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