Freiburg startet Esoterik-Studium:Gotteszeichen im Nilpferdmaul

Raus aus der Schmuddelecke, rein in die Uni: Erstmals wird Esoterik in Deutschland zum Studienfach. Die Alchemie zum Beispiel mag längst von der Chemie verdrängt worden sein - in Freiburg ist sie nun Unterrichtsgegenstand. Der Wille, seriös zu wirken, eint Lehrende und Studenten schon am ersten Tag.

Melanie Staudinger

Wenn Bernhard Uhde erklären will, was Esoterik ist, malt er ein Nilpferd. Genauer gesagt den Kopf des Tieres. Von vorne. Er zeichnet die kugeligen dunklen Augen, die kleinen Ohren und das Maul in Form eines rund geschwungenen Ws.

Die Schnauze erklärt, wie Esoteriker ticken. So sieht es zumindest der katholische Theologe. Esoteriker würden das Maul, das viele Menschen entweder als putzig oder vielleicht noch als bedrohlich wahrnehmen, als doppeltes Gotteszeichen interpretieren. Die Gestalt würde sie erinnern an den griechischen Buchstaben Omega, der mit dem Alpha ein Zeichen für den allumfassenden Gott im Christentum bildet. Oder die Schnauze würde sie an einen arabischen Buchstaben denken lassen, der im Wort Allah vorkommt.

Annahmen ohne Struktur dahinter, nennt Uhde das. Wildes Interpretieren ohne Grundlage. Die Vergleiche meint er nur scherzhaft, so wie er immer betont spaßig wird, wenn das Gespräch um die Esoterik kreist, die hier, an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, so ernst genommen werden soll wie an keiner anderen deutschen Uni.

Nein, er sei wahrlich kein Freund der Esoterik, sagt der Theologe, der hier Religionswissenschaften lehrt. In seinem knapp zehn Quadratmeter großen Büro mit den Weinkartons in der Ecke und den Büchern, die sich überall stapeln, beschäftigt er sich normalerweise mit Judentum, Islam und Mystik. Er habe keine Zeit zum Aufräumen gehabt, entschuldigt er sich. Zu viel zu tun.

In den vergangenen zwei Jahren hat er "in seinem Wohnzimmer", wie er die Arbeitsstätte nennt, das erste Studium in Deutschland entwickelt, das sich wissenschaftlich mit Phänomenen der Esoterik auseinandersetzt und gleichzeitig praktische Übung bietet. "Spiritualität und Interkulturalität" heißt es. Angegliedert ist es an der Theologischen Fakultät seiner Uni, in einem eigenen Institut mit dem Namen "West-östliche Freiheit".

Christian Butscher ist einer der 50 Studierenden, die sich jetzt für das erste Semester angemeldet haben. 45 Jahre ist er alt. Der Jurist arbeitet in leitender Position bei einer Sparkasse in Südbaden. Butscher hält nichts von Pendeleien, von übersinnlichen Erfahrungen oder Wahrsagerei am Telefon. Aber er meditiert, seit sechs Jahren bereits. Damals steckte er in einer Lebenskrise, ein Freund nahm ihn für ein Wochenende mit ins Kloster nach Münsterschwarzach. "Was da passiert ist, weiß ich nicht. Aber ich fühlte mich besser danach", sagt er. Bei Uhde will er nun die wissenschaftlichen Hintergründe seines Handelns erforschen.

Der Hype um Yoga hat sicher nicht geschadet

Meist aber ist es die zeitlose philosophische Frage nach dem Wesen des Menschen, die die vielen Studenten zum Professor nach Freiburg zieht. Der Hype um Yoga und Meditation aber hat dem Studiengang sicher auch nicht geschadet. Stiftungsmitarbeiterin Arnhild Zorr-Werner etwa ist aus Lüneburg angereist, weil sie verstehen will, warum die beiden Praktiken ihr so viel geben.

Am vergangenen Freitag steht sie mit den anderen Studenten beim Empfang im Lesesaal der Theologischen Fakultät. Uhde spricht von der Freiheit, die Spiritualität für den Menschen bedeuten kann. Die Freiheit, seinem Leben einen Sinn zu verleihen. Dass auch eine Milchkanne Vorbild sein kann, weil sie nützlich, dabei aber bescheiden sei.

Die Worte hallen durch das düstere Bibliothekszimmer, in dem es schwül und stickig ist. Freiheit ist das nicht zu nennen, die ist eher da draußen in der Freiburger Frühlingsluft. Der Blick aus dem Fenster im dritten Stock führt über die Dächer der Altstadt Freiburgs. Irgendwo da draußen sitzt eine weitere illustre Institution, mit der sich die Stadt seit 1950 schmückt: dem "Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene". Freiburg, bisher Hauptstadt der Parapsychologen, ist nun also auch Studienhort der Esoteriker.

Butscher und seine Kommilitonen werden sich vier Semester lang neben ihrem Beruf von daheim aus mit Religionsphilosophie beschäftigen. Sie werden Kant lesen, sich mit Nietzsche und Theresia von Avila vertraut machen. Und sie werden sich an ein paar Wochenenden treffen, meditieren und erfahren, wie die Hirnforschung dazu steht. "Das macht unser Studium einzigartig, die Verbindung von Theorie und Praxis", sagt Uhde.

Lehrstühle für Esoterik gibt es seit 1965, an der Sorbonne in Paris etwa. In diesen Instituten gebe es aber entweder keine praktischen Inhalte oder ein vorgeschriebenes Weltbild, sagt Uhde. Er träumt von einer umfassenden universitären Erforschung des Phänomens. Raus aus der Schmuddelecke. Im Lesesaal nimmt an diesem Tag ohnehin niemand das Wort Esoterik in den Mund - der Wille, möglichst seriös zu wirken, eint Lehrer und Schüler hier schon am ersten Tag.

Es stört keinen hier, dass die Stiftung "West-östliche Freiheit", die der umstrittene Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger gegründet hat, das Studium mitfinanziert. Dessen Glaube an eine transkonfessionelle Spiritualität, die über den Dingen schwebt, könne ja im Laufe der Forschungen genauso gut widerlegt werden, sagt Uhde. Ein wenig skeptisch gibt sich der Professor dann aber doch. "Vielleicht bewirkt unser Studium ja auch, dass einige der Teilnehmer ihre eventuell kritikarme Sicht auf die Esoterik korrigieren", sagt er. Und am Ende im Nilpferdmaul kein Zeichen Gottes sehen, sondern einfach eine große Schnauze.

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