Süddeutsche Zeitung

Doktorarbeit von Franziska Giffey:"Das ist eindeutig wissenschaftliches Fehlverhalten"

Plagiatsjäger durchleuchten aktuell die Dissertation der Familienministerin. Einer von ihnen erzählt, was ihn antreibt - und warum er glaubt, dass die SPD-Politikerin ihren Doktortitel bald los sein dürfte.

Interview von Roland Preuß

Robert Schmidt untersuchte auf dem Internetforum VroniPlag Wiki federführend den Plagiatsverdacht gegen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Er war schon im Plagiatsfall der damaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan der Hauptbearbeiter. Robert Schmidt ist ein Pseudonym, der Plagiatsprüfer besteht strikt auf Anonymität. Doch man kann mit ihm per Mail kommunizieren, das Interview entstand auf diesem Weg. Dabei stellte die SZ sicher, dass es sich um den Mitarbeiter von VroniPlag handelt.

SZ: Wie kam es dazu, dass Sie sich Frau Giffeys Doktorarbeit vorgenommen haben?

Robert Schmidt: Ein Mitarbeiter von VroniPlag Wiki hatte mich im März vergangenen Jahres darauf aufmerksam gemacht, dass es im Forum des Wikis bereits im Juli 2011 einen Hinweis auf Plagiate in der Doktorarbeit gegeben hat. Hinweisgeber war damals wohl ein Student der Uni Greifswald, der beim Verfassen seiner Magisterarbeit auf die Dissertation von Frau Giffey gestoßen war und Übernahmen aus einem Artikel in einem politikwissenschaftlichen Lexikon festgestellt hatte. Damals wurde die Arbeit aber nicht systematisch untersucht - das war noch in der Gründungsphase des Wikis, und ich vermute, es gab aussichtsreichere Fälle. Ich habe mir dann nach dem erneuten Hinweis die Literatur besorgt, die am häufigsten zitiert wurde, und danach war klar, dass sie in erheblichem Umfang abgeschrieben hat.

Sie hatten bereits die Arbeiten von Annette Schavan und des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert untersucht. Prüfen Sie systematisch alle promovierten Spitzenpolitiker Deutschlands?

Das könnte so aussehen, aber in diesem Fall gab es einen konkreten Hinweis auf Plagiate. Und da ich viel Zeit in die Prüfung gesteckt habe, werde ich jetzt erst mal eine längere Pause machen. Ob ich mir danach noch eine weitere Arbeit eines Politikers ansehen werde, steht noch nicht fest.

Wie viel Zeit hat Sie die Prüfung von Giffeys Promotion bisher gekostet?

Mehr als ich ursprünglich investieren wollte, aber da Frau Giffey in der Regel eher kleinteilig abgeschrieben hat, habe ich im Laufe der Zeit immer mehr gefunden. Ich schätze ca. 500 Stunden.

Was treibt Sie an?

Mit einem akademischen Betrug sollte nach Möglichkeit niemand durchkommen, egal ob prominent oder nicht. Außerdem der Spaß an der Detektivarbeit.

Der Fall wurde bekannt, obwohl die Prüfung auf VroniPlag Wiki noch nicht abgeschlossen ist. Ärgert Sie das?

Ja. Der Spiegel hat anscheinend nur um der schnellen Schlagzeile willen die Meldung gebracht, obwohl er - wie beispielsweise die FAZ, die wohl auch Bescheid wusste - noch damit hätte warten können, da keine Dringlichkeit bestand.

Ist das schädlich für Ihre Arbeit?

Im Endeffekt wahrscheinlich nicht, weil die nachträgliche Überprüfung von Doktorarbeiten an der FU Berlin der Erfahrung nach sehr lange dauert und der Fall vermutlich vor Abschluss der hochschulseitigen Prüfung durch das Wiki "offiziell", das heißt mit Namensnennung, veröffentlicht werden wird.

Nach allem, was Sie bisher gesehen haben: Muss die FU Berlin Franziska Giffey den Doktorgrad aberkennen?

Ich halte es für wahrscheinlich, dass dies nach einer längeren Prüfung geschehen wird. Die Menge an Plagiaten für sich betrachtet würde dafür schon ausreichen, aber angesichts der zahlreichen willkürlichen Referenzierungen, die durch schludriges Arbeiten allein nicht zu erklären sind, sehe ich nicht, wie diese Arbeit zu halten wäre. Die Aussage von Frau Giffey, sie habe nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet, ist eine reine Schutzbehauptung, die schon dadurch widerlegt wird, dass sie nachweislich mindestens fünf Quellen verwendet hat, die sie nirgends erwähnt hat - obwohl sie schriftlich versichert hat, alle Hilfsmittel angegeben zu haben.

Wie schwer ist das Fehlverhalten im Vergleich zu anderen bekannten Fällen wie Schavan oder dem niedersächsischen CDU-Politiker Bernd Althusmann?

Mit dem Fall Althusmann habe ich mich nie näher befasst. Rein vom Umfang der Plagiate her ist der Fall Giffey mit dem Fall Schavan vergleichbar. Aufgrund der willkürlichen Referenzierungen wiegt das Fehlverhalten aber schwerer als bei Frau Schavan, die "nur" abgeschrieben hat. Frau Giffey führt die Leser jedoch nicht nur in Bezug auf die Urheberschaft des Textes selbst in die Irre, sondern an vielen Stellen auch darüber, welcher Autor was gesagt hat. Griffig könnte man Teile der Arbeit als "fake science" bezeichnen.

Was ist für Sie das Besondere im Fall Giffey?

Die zahlreichen willkürlichen Referenzierungen, die ich so noch in keiner anderen Arbeit gesehen habe. Vereinfacht kann man sich das so vorstellen: Frau Giffey schreibt zwei Sätze aus einem Text von Meier ab, gibt dann aber nicht Meier als Quelle an, sondern Müller. Oder sie gibt zwar Meier an, aber zusätzlich auch noch Müller und Schulze, durch deren Nennung die Aussage jedoch nicht belegt wird. Und da sie das nach meinen Recherchen in einer zumindest im mittleren zweistelligen Bereich anzusiedelnden Anzahl von Fällen macht, ist hierbei von Absicht auszugehen.

Oft sind die Literaturnachweise "Müller" und "Schulze" auch noch aus anderen Arbeiten abgeschrieben, wobei sie in etlichen Fällen auch Fehler in der Schreibweise von Autor oder Titel oder bei der Jahreszahl übernimmt. Das ist eindeutig wissenschaftliches Fehlverhalten, da Frau Giffey die Leser ihrer Arbeit auf diese Weise bewusst hinters Licht führt. Ich kann nur jeden ermuntern, sich die Fragmente in der speziell hierfür angelegten Kategorie "Verdacht auf willkürliche Referenzierung" auf der "Befunde"-Seite bei VroniPlag Wiki einmal anzusehen und die Stellen bei Interesse auch gerne selbst nachzuprüfen. Als Einstieg schlage ich Fragment 085 29 vor.

Arbeiten Sie selbst als Wissenschaftler?

Die Frage möchte ich nicht beantworten.

Sie prüfen nun schon seit Jahren erfolgreich die Dissertationen von prominenten Persönlichkeiten. Warum geben Sie Ihre Identität nicht preis?

Ich ziehe es vor, meine Ruhe zu haben. Wenn mein Name bekannt würde, wäre es damit für längere Zeit vorbei.

Inwiefern verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit ein politisches Ziel?

Auch wenn Politiker keine besseren Menschen sein müssen, kann es nicht schaden, ab und zu darauf aufmerksam zu machen, dass es - unabhängig von der Parteizugehörigkeit - in der ersten und zweiten Reihe der Politik doch ein paar Leute gibt, die mir suspekt erscheinen. Einer von ihnen hat massiv in seiner Doktorarbeit abgeschrieben, bekleidet heute das höchste Staatsamt und mimt gerne den Moralisten. Zuvor hatte seine Universität dem, wie es hieß, "hochangesehenen Alumnus" nach einem Prüfverfahren im Rekordtempo einen Persilschein ausgestellt. Der Präsident der Uni ist übrigens zufälligerweise Parteifreund dieses Alumnus.

Sie meinen die Vorwürfe gegen Frank-Walter Steinmeier, welche die Universität Gießen 2013 zurückgewiesen hat.

Ja, derselbe Mann hat dann als Außenminister daran mitgewirkt, dass auf Wunsch der Regierungschefin einer mit ihr befreundeten ehemaligen Bildungsministerin, der sogar gerichtlich bescheinigt wurde, dass ihr der Doktorgrad zurecht aberkannt worden ist, außer der Reihe ein lukrativer Posten als Botschafterin in einem Kirchenstaat zugeschanzt wurde.

... den Annette Schavan bis vergangenes Jahr innehatte.

Und diese Regierungschefin hatte einst erklärt, sie habe ihren plagiierenden Verteidigungsminister nicht als wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt. Da kann man fast schon froh sein, dass der inzwischen zu höheren Weihen gelangte ehemalige Finanzminister nur einen Koffer voller Schwarzgeld angenommen hat.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4323667
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jael
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.