Forschungsprojekt auf Rügen:Inklusion funktioniert - vielleicht

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Unter idealen Bedingungen kann Inklusion gelingen, besagt die Rügener Studie. (Foto: dpa)
  • Eine vierjährige Untersuchung an Grundschulen auf der Insel Rügen besagt: Inklusive Beschulung hat positive Effekte.
  • Pädagogen monieren jedoch, die Inklusion sei überstürzt eingeführt worden.
  • Viele an der Rügener Studie beteiligte Lehrer bezweifeln, dass förderbedürftige Kinder an Regelschulen ideal betreut werden können.

Von Matthias Kohlmaier

"Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert", feixt John "Hannibal" Smith, Anführer des A-Team, wenn wieder ein paar Superschurken dingfest gemacht worden sind. Nun ist Mathias Brodkorb nicht eben als Superschurkenjäger bekannt. Wie alle Amtskollegen des Kultusministers von Mecklenburg-Vorpommern kämpft aber auch der SPD-Politiker gegen einen starken Gegner: die Ungleichheit im deutschen Bildungssystem. Folglich dürfte Brodkorb bei der Lektüre des Abschlussberichts zum Forschungsprojekt "Rügener Inklusionsmodell" (RIM) das ein oder andere Lächeln übers Gesicht gehuscht sein.

Im Rahmen des RIM hat ein Forscherteam um Bodo Hartke, Lehrstuhlinhaber am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation der Universität Rostock, vier Jahre lang - bis Juli 2014 - Grundschulklassen auf der Ostseeinsel Rügen begleitet, die konsequent nach einem Inklusionskonzept unterrichtet wurden. Die Leistungen der etwa 440 Schüler wurden später mit denen von Kontrollgruppen in Stralsund und Rostock verglichen. Zentrales Ergebnis: Kinder mit besonderem Förderbedarf profitieren von inklusiver Beschulung, bei den anderen Schülern konnten keine negativen Effekte festgestellt werden.

Für den zuständigen Schulminister Brodkorb sind das hervorragende Nachrichten. "Das Rügener Modellvorhaben ergibt ein positives Gesamtbild, das sich bereits in den Ergebnissen zu den Schulleistungen und den Entwicklungsständen der Rügener Schülerinnen und Schüler des Vorjahres abgezeichnet hat", sagte Brodkorb. Die Daten seien zudem "ein Beleg dafür, dass wir den Prozess der Inklusion behutsam und sorgsam vorbereiten müssen, um dabei Schüler, Lehrer und Eltern mitzunehmen".

Die zentralen Ergebnisse

Die auf Rügen gewonnenen Daten klingen tatsächlich wie ein Manifest für inklusive Beschulung. In ihrem mehr als 240 Seiten starken Abschlussbericht tragen die Wissenschaftler unter anderem folgende Ergebnisse zusammen:

  • In der Gruppe der Kinder mit hohem Förderbedarf sind positive Effekte im Bereich Lernen, tendenziell positive Effekte im Bereich emotional-soziale Entwicklung und im Bereich Sprache gleichwertige Fördererfolge wie in bisherigen Beschulungsformen zu verzeichnen. So erreichten laut Studie lernschwache Kinder auf Rügen bereits nach drei Schuljahren Leistungen, die vergleichbare Kinder in anderen Regionen erst nach vier Jahren erzielen.
  • Die Häufigkeit von sonderpädagogischem Förderbedarf ist auf Rügen deutlich geringer als in der Kontrollgruppe (3,7 Prozent auf Rügen versus 11,4 in der Kontrollgruppe). Die Forscher schließen daraus, dass das inklusive Rügener Konzept sonderpädagogischem Förderbedarf vorbeugt.
  • Negative Effekte von Inklusion auf die Schulleistungen und Entwicklungsstände der Gruppe der Mitschüler traten nicht auf, wogegen positive Effekte im Bereich emotional-soziale Entwicklung für die Gesamtgruppe aller Schüler vorliegen.
  • Die Akzeptanz von Inklusion ist bei den beteiligten Pädagogen sowie Eltern hoch, wobei sie bei Grundschullehrkräften etwas geringer ausgeprägt ist als bei Schulleitern und Sonderpädagogen. Letztere sind zu 100 Prozent Befürworter von Inklusion.

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Also alles wunderbar, das Rügener Modell ein Vorbild für ganz Deutschland? Nicht unbedingt. Wie so häufig bei Studien zu schulischen Themen sind auch bei dieser nicht alle begeistert. Rügener Lehrer haben sich an die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewandt und von umfassenden Problemen bei der Inklusion berichtet. Die Pädagogen fühlen sich demnach überlastet und fürchten um ihre eigene Gesundheit. Sie sind im Ungewissen, wie es nach der Beendigung des Modells weitergehen soll. Bereits seit 2010 werde in Mecklenburg-Vorpommern an allen Grund- und mittlerweile auch allen weiterführenden Schulen inklusiv beschult, das Konzept sei überstürzt eingeführt worden.

"Die Akzeptanz für inklusive Beschulung geht fünf Jahre nach ihrer Einführung bei LehrerInnen sowie Eltern und SchülerInnen gegen null", stellt Annett Lindner, Landesvorsitzende der hiesigen GEW, ernüchtert fest. Das ist drastisch formuliert - hat aber einen belegbaren Kern. Laut RIM-Abschlussbericht bezweifelt mehr als die Hälfte der beteiligten Grundschullehrer auf Rügen, dass Kinder mit besonderem Förderbedarf in einer integrativen Schule ideal betreut werden könnten. 29 Prozent der Lehrer wollen eine solche Aufgabe gar nicht übernehmen.

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Die offensichtlichen Zweifel unter Lehrern waren bereits kürzlich in einer anderen Studie dokumentiert worden. Eine repräsentative Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) unter Deutschlands Pädagogen hatte ergeben: 41 Prozent der Lehrer halten es selbst unter idealen Rahmenbedingungen (verkleinerte Klassen, bessere finanzielle Ausstattung etc.) für besser, wenn Kinder mit speziellem Förderbedarf in passenden Förderschulen unterrichtet werden. Fast alle befragten Lehrer (98 Prozent) lehnten die Forderung vieler Inklusionsbefürworter nach Schließung sämtlicher Förderschulen ab.

Viel Theorie, wenig Praxis

Letztlich scheint die Rügener Erhebung also zweierlei zu belegen: Erstens ist erfolgreiche Inklusion an Grundschulen möglich - wenn die Bedingungen nahezu perfekt sind. Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Schweriner Landtag, Simone Oldenburg, sagte dazu, die Auswertung des Modellprojektes belege, dass Inklusion mit zusätzlichen Unterrichtsstunden und einer engen Begleitung durch die Universität Rostock gelingen könne. Alle betroffenen Lehrkräfte seien fortgebildet worden. "Dies ist im übrigen Land bisher nicht der Fall", sagte sie. Letzteres hat nicht nur für Mecklenburg-Vorpommern, sondern im ganzen Bundesgebiet Gültigkeit.

Und zweitens: Die Lehrer, die die Inklusion schultern sollen, werden bei den politischen Bemühungen um integrative Schulen oftmals übergangen. Dabei bedeutet die Inklusion für die Pädagogen einen massiven Mehraufwand, dessen Sinnhaftigkeit offenbar erst einmal schlüssig dargelegt werden muss. Darum wäre es wohl sinnvoll, wenn über die Weiterentwickung der Inklusion künftig weniger in Landtagen und mehr im Dialog politischer Entscheidungsträger und mit der Umsetzung betrauter Lehrer entschieden würde.

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