Förderung für begabte Schüler:Ein Hoch auf die Hochbekloppten

  • In den vergangenen Jahren wurde an Schulen bei individueller Förderung der Fokus auf leistungsschwache Schüler gelegt. Die Kultusministerkonferenz will nun eine Strategie für Begabte beschließen.
  • "Eine gute Schule fördert sowohl die benachteiligten Kinder, lässt aber auch Talente nicht verkümmern", sagt die KMK-Chefin, Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth.
  • In einigen Bundesländern gibt es bereits spezielle Schulen und Förderzentren für Hochbegabte.

Von Johann Osel

Zu einem "Tag der Talente" lädt jedes Jahr die Bundesbildungsministerin ein, und die jungen Leute, die dann nach Berlin kommen, rechtfertigen diesen Titel. Zuletzt hatte Johanna Wanka zu Gast: zwei Mädchen, die bei der internationalen Chemie-Olympiade mit ihren Experimenten vorne dabei waren; den Sieger des Bundesumweltwettbewerbs, der erst zwölf Jahre alte Erfinder einer wärmedämmenden Tapete; Fremdsprachen-Genies, Jugend-forscht-Gewinner, famose junge Komponisten, Firmengründer im Teenageralter. Die CDU-Politikerin lobte Neugierde, Ausdauer und Kreativität der Jugend. "Mit ihren Ideen bereichern diese Talente unser Land."

Was sie nicht sagte, aber hätte erwähnen können: Schülerwettbewerbe und Leistungsolympiaden sind ein guter Weg zur Förderung besonders begabter Kinder, "Hochbegabter" zumindest in einem Metier. Experten sorgen sich, dass bei individueller Förderung meist nur an die Schüler gedacht wird, die mit ihrer Leistung hinterherhinken. Angebote für diejenigen, die mehr können, sind an Schulen eher rar.

Die neue Strategie der KMK ist ein Novum

Das soll sich jetzt ändern. Die Kultusministerkonferenz (KMK) will am Donnerstag eine Strategie für Begabte beschließen. Wie aus KMK-Kreisen verlautet, soll es frühere und bessere Förderung der Kinder geben. Schon die Diagnose sowie die Beratung der Eltern sollen ausgebaut werden - damit auch das Migrantenmädchen oder der Straßenfegersohn profitieren, deren Eltern nicht auf die Idee der Hochbegabung verfallen. Neben Überspringen von Klassen oder früher Einschulung empfiehlt die KMK unter anderem zusätzliche Projekte und Freiräume im Unterricht, Extra-Aufgaben für Begabte. Zudem: Spezialklassen für Hochbegabte oder gar eigene Schulen.

Es ist ein Werkzeugkasten, der teils schon in der Praxis funktioniert; aber die Bündelung aller Möglichkeiten als "Strategie" ist ein Novum. "Erstmals wird die Begabtenförderung dahin gepackt, wo sie hingehört: in den Großauftrag des Bildungssystems zur optimalen individuellen Förderung aller Kinder auf Grundlage ihrer Potenziale", sagt Ingmar Ahl. Der Bildungshistoriker ist Vorstand der gemeinnützigen Karg-Stiftung, die das Thema vorantreibt. "Besonderes Potenzial wird damit zur Normalität des pädagogischen Alltags erklärt, eine selbstverständliche Aufgabe der Bildungspraxis." Frühere Papiere der KMK zum Thema waren kurz und eher lieblos.

Eine Frage der Bildungsgerechtigkeit

Die neue Strategie geht auf die KMK-Chefin zurück, Sachsens Ministerin Brunhild Kurth (CDU). Bei Amtsbeginn kündigte sie schon an: "Eine gute Schule fördert sowohl die benachteiligten Kinder, lässt aber auch Talente nicht verkümmern. Auch das ist eine Frage von Bildungsgerechtigkeit." Zuletzt habe man viel getan, um die Schwächeren zu fördern. "Wir brauchen auch die Leistungsträger für unsere Wirtschaft und wissenschaftliche Entwicklung." Nach dem Pisa-Schock rückten tatsächlich die Problemschüler in den Fokus, und sachte geht es aufwärts. Bei der jüngsten Pisa-Studie sank etwa der Anteil der sehr schwachen Mathe-Schüler deutlich.

Kurth sagt, man habe sich hierzulande lange Zeit mit Eliten schwergetan. "Es war ja geradezu verpönt, das Wort in den Mund zu nehmen." Doch auch leistungsstarke Schüler hätten Anspruch auf gezielte Förderung. Mancherorts hat man damit angefangen: Bayern baut mit der Karg-Stiftung acht Gymnasien mit Hochbegabten-Klassen zu Kompetenzzentren aus. Sachsen betreibt bereits seit den 1990er-Jahren ein Internat als Landesgymnasium für Hochbegabte, vor einem Jahrzehnt richtete auch Baden-Württemberg eine solche Schule ein. Angeblich arbeitet auch der Bund, der Schulen nicht finanzieren darf, an einer Initiative, es geht wohl um Begleitforschung.

Generell scheint das Thema in Mode zu sein. Hochbegabung sei "salonfähig geworden" und passe in die "Beschleunigungsgesellschaft", heißt es in einem Fachband, für den die Karlsruher Professorin Gabriele Weigand mit Kollegen hochbegabte Kinder interviewt hat. Deren Ehrgeiz rühre auch daher, dass sie "von ihren Eltern mehr oder weniger bewusst den Auftrag erhalten, Statusmängel in Konkurrenz mit anderen Familien auszugleichen oder triumphale Statusgewinne zu erzielen". Also dürfte wachsendes Bildungsbewusstsein eine Rolle spielen; Abitur und Studium gelten vielen als einziges Ziel. Lehrer berichten, dass Eltern nach Aspekten suchten, die ihr Kind hervorstechen ließen.

Mehr Beratung soll helfen, "dass nicht jeder gleich sein Kind für einen heimlichen Einstein hält", wie ein KMK-Insider sagt. Außer den klassischen Intelligenztests (Hochbegabung ab einem IQ von 130) sollten Schulen über Probeunterricht eine Auswahl treffen. Es gibt aber auch Beobachter, die am Sinn separater Klassen zweifeln; der Trend gehe mit der Inklusion behinderter Kinder in die andere Richtung. Und schnell entsteht Neid. Der Fachband zitiert ein Mädchen, das sich in einer solchen Klasse wohlfühlt: "Manche sagen über uns, da sind die Hochbekloppten."

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