Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge an den Hochschulen:Erst Umbruch, dann Ulm

Studieren statt rumsitzen: Als erstes Bundesland vergibt Baden-Württemberg Stipendien, um syrische Flüchtlinge an die Hochschulen zu bringen - meist junge Leute mit "unbändigem Willen".

Von Lisa Kreuzmann

Mohamad hat einen Starbucks-Kaffee dabei. Inzwischen hat er sich an die westliche Kultur gewöhnt, sagt er, und auch die deutschen Mädchen verstehe er nun besser - und grinst verschmitzt. Die seien nämlich ganz anders. Anfangs sei alles viel schwieriger gewesen. "Ohne Sprache, ohne die Kultur zu kennen, ohne Arbeit, ohne Geld, ohne Freunde". Nach mehr als einem Jahr in Deutschland und Sprachkursen am Goethe-Institut spricht er jetzt, ohne lange nach Worten suchen zu müssen. Das ist ihm wichtig, denn zu sagen hat er viel: "Wir sind dafür verantwortlich, etwas zu ändern." Mohamad Alyosef kommt aus einer von der Terror-Miliz Islamischer Staat besetzen syrischen Kleinstadt nahe der türkischen Grenze. Um studieren zu können, floh der 20-Jährige zunächst in den Irak, doch der Krieg holte ihn ein, er musste weg. Inzwischen lebt er in Baden-Württemberg und wird bald wieder studieren. Jeans, Turnschuhe, locker sitzendes Hemd, Kaffeebecher - optisch unterscheidet er sich wohl kaum von Kommilitonen.

Zehntausende junge Leute in dem Krisenland mussten durch den Krieg ihr Studium aufgeben. Laut deutscher Statistik kam bis Ende Mai etwa jeder fünfte Flüchtling aus Syrien. Mohamad ist einer von 50, die im Juni für ein Stipendium des Landes Baden-Württemberg ausgewählt wurden. Damit soll den Flüchtlingen ein Hochschulbesuch ermöglicht werden. Es gibt bereits ein Bundesprogramm, mit Ableger in Nordrhein-Westfalen. Es heißt "Leadership for Syria". Über den Deutschen Akademischen Austauschdienst wurden Stipendiaten in Jordanien ausgewählt, wohin viele Syrer flüchten. Ihnen wird dann die Reise nach Deutschland ermöglicht. Eben in Mohamads Fall war das anders. Er kam ohne fremde Hilfe in die Bundesrepublik. Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer erklärt: "Wir wollten Hilfe zum schnellen Durchstarten in Deutschland schaffen und bei denen ansetzten, die bereits hier leben." Damit ist dieses Stipendium das einzige hierzulande, dass sich gezielt an hiesige Flüchtlinge aus Syrien richtet. Die Gesellschaft habe ein Interesse daran, dass die Menschen nicht nur rumsitzen und warten, sagt Grünen-Politikerin Bauer. Und mitunter wisse man gar nicht, welche Persönlichkeiten und Potenziale sich hinter der Kategorie Flüchtling verbergen. Sie erkennt oft einen "unbändigen Willen".

Fast 300 syrische Flüchtlinge aus Baden-Württemberg hatten sich für das Stipendienprogramm beworben und mussten sich einer Auswahlkommission stellen, zuvor gab es Werbung dafür in Flüchtlingsunterkünften. Erste Deutschkenntnisse seien ein "Qualifikationsvorteil" gewesen, heißt es im Ministerium, aber weitere Sprachkurse decke die Förderung ab. Den Studenten stehen jetzt alle Fächer offen an den Hochschulen von Konstanz bis Stuttgart, Ulm, Mannheim oder Tübingen. 650 Euro bekommt ein Bachelorstudent. Dazu werden die Kosten für die Sozialversicherungen übernommen. Das alles bisher nur für den syrischen Studentennachwuchs.

"Auf dem Papier bin ich ein Flüchtling, aber im Herzen bin ich vor allem ich."

Der baden-württembergische Flüchtlingsrat sieht den Zuschnitt kritisch. Vorsitzende Angelika von Loeper sagt, die Politik unterscheide von Anfang an zwischen den Flüchtlingen je nach Herkunftsland und Chancen auf Asyl. Sie fordert, dass es Integrationsmaßnahmen, Hilfe bei der Ausbildung, womöglich eben auch solche Stipendien, für alle Asylsuchenden geben müsse. Ministerin Bauer sieht das pragmatisch: "Wir haben uns an die Leute gerichtet, die von diesem grausamen Bürgerkrieg und der Massenflucht betroffen sind". Schon vor Ausbruch des Krieges gab es übrigens regen akademischen Austausch zwischen Deutschland und Syrien.

"Heute gibt es im Nordosten Syriens keine Unis mehr", sagt Mohamad Alyosef, "jeden Tag sterben 100 Menschen". Er glaubt nicht, dass sich die Konflikte in den nächsten 50 Jahren lösen lassen. Mit zehn Jahren war er syrischer Juniormeister im Schach, arbeitete im Irak in einer Bibliothek, um sein Studium zu finanzieren. Auch in Mannheim zieht es Mohamad nun wieder häufig in die Uni-Bibliothek, um zu lesen und zu lernen. Er will dort BWL studieren und engagiert sich für andere Flüchtlinge in der Region, bringt Kindern das Schachspielen bei, möchte ihnen helfen, sich zu integrieren, wie er erzählt. "Auf dem Papier bin ich ein Flüchtling, aber im Herzen bin ich vor allem ich. Wenn ich arbeite, dann arbeite ich für die ganze Welt." Er spricht ohne Verbitterung, hat einen klaren Blick. "Wir verstehen die Probleme in der Region, so komplex sie sind - der IS, das Öl, das Geld", sagt er. Da müsse man ansetzten und kämpfen - nur ohne Waffen, sondern etwas mit Ideen bewegen.

Über die Türkei hat es der junge Kurde aus Syrien nach Deutschland geschafft, im Kampf gegen den IS viele Freunde verloren. "Gut, dass du noch am Leben bist", sagt Bnana Darwish, ebenfalls syrische Stipendiatin, bei einem Treffen in Stuttgart. Auch sie will etwas für ihr Heimatland bewegen. "Ich glaube nicht an das Unmögliche", sagt Bnana, die mit Hilfe der Vereinten Nationen nach Deutschland kam. Zuvor war die 25-Jährige mit Vater und Geschwistern aus der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Libanon geflohen. Bei dem Gedanken, dass ihre Mutter in Libanon zurückbleiben musste, wird die sonst quirlige Frau plötzlich ganz ruhig. Ihre Mutter habe kein gutes Leben dort, sagt sie. Und auch um ihre Moschee, in der sie früher gebetet hat, mache sie sich Sorgen.

Bnana will nachhaltige Architektur in Stuttgart studieren - und Syrien wieder aufbauen. Vorher macht sie ein Praktikum bei einem Architekten in Bayern, der und dessen Frau sie "ganz wunderbar" behandeln, wie sie sagt. Überhaupt findet Bnana in Deutschland alles "ganz wunderbar".

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SZ vom 06.07.2015
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