Fatale Mängel der Bologna-Reform:Master-Desaster

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Absolventen zweiter Klasse: Weil der Bachelor noch nicht voll anerkannt ist, wollen viele nach dem ersten Abschluss auch den Master machen. Doch die Plätze sind knapp. Von den 500.000 Erstsemestern, die jetzt ihr Studium starten, wird womöglich nur ein Bruchteil zugelassen werden. Vielen schlägt das auf die Psyche.

Johann Osel

Die vielen Erstsemester zwingen die Universitäten zu Einsparungen - auch bei den Masterstudiengängen wird gespart. (Foto: dapd)

Besser konnte es eigentlich kaum laufen. Deborah Wuch hatte ordentliche Noten im Studium, Betriebswirtschaft an der Universität Köln, nach drei Jahren stand auf dem Bachelor-Zeugnis eine Zwei. Sie machte Praktika, Fachgebiet Marketing. Und sie war in einem Studenten-Netzwerk, das auf dem Campus Wirtschaftskongresse mit allerlei Prominenz organisiert - zur Freude des Rektors, der sich damit geschmückt habe und stets voll des Lobes gewesen sei für die eifrigen Studenten.

Ein Masterplatz, um nach sechs Semestern Bachelor weiterzumachen - "den glaubte ich sicher zu kriegen", sagt Wuch. Es kam dann anders im August, da nämlich erfuhr sie: Ihre Hochschule will sie nicht länger haben. Endstation Bachelor.

In Deutschland beginnen an diesem Montag die Vorlesungen an den Universitäten. Die Bologna-Reform ist offiziell umgesetzt. Systematisch wurden Magister und Diplom durch den Bachelor ersetzt, auf ihn kann ein Master mit vier Semestern Dauer folgen. Studieren sollte zügiger werden, Absolventen nach drei Jahren in den Job gehen. Für Wuch kam das nicht in Frage. "Ich habe mich noch nicht genug vorbereitet gefühlt - der Bachelor war zu wenig, für mich selbst und für eine richtige Karriere." Master-Bewerbungen, aus Köln und von außerhalb, wurden mit einem Punktesystem bewertet, relevant sind etwa Bachelor-Noten, das Abitur, ein spezieller Test. Dann wurde ein Ranking erstellt - Wuch ging leer aus.

Anfangs verdrängte die 24-Jährige die Sache, schließlich hatte sie sich nicht nur an ihrer eigenen Uni beworben. Als dann aber Absage um Absage ins Haus flatterte, kam die Krise. "Ich habe alles in Frage gestellt, war am Boden zerstört." Wuch wird nun nie als Marketing-Expertin in einem Unternehmen arbeiten. Sie fängt von vorne an, versucht den Trübsinn abzustreifen, einen Schlussstrich zu ziehen unter die Unbill. Daher ist Deborah Wuch nicht ihr richtiger Name, das neue Umfeld müsse ja nicht gleich ihre Geschichte in der Zeitung lesen. Sie beginnt in diesen Tagen an einer anderen Uni in NRW ein zweites Studium, Mathe und Wirtschaft. Auf Lehramt.

Immer mehr Schmalspurakademiker

Erhielten früher alle den gleichen Abschluss, schuf Bologna Absolventen zweier Klassen: Master, deren Abschluss sich mit den alten Diplomen und Magistern messen lassen kann, und Bachelor, die oft noch den Ruf von Schmalspurakademikern genießen. Kürzlich ist die Debatte wieder hochgekocht. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hatte im Interview mit der Süddeutschen Zeitung schwere Mängel angesprochen.

Zentrale Bologna-Ziele seien verfehlt worden, sagte Horst Hippler. Der Bachelor an Universitäten sei - anders als an Fachhochschulen - als "berufsqualifizierend" gedacht, reiche aber in vielen Fächern und Branchen nicht aus. Ein Bachelor in Physik "ist nie im Leben ein Physiker". Dass Beschleunigung von Bildung nicht gut sei, habe die Wirtschaft auch erkannt. "Unternehmen brauchen Persönlichkeiten, nicht nur Absolventen."

Studium als exklusive Veranstaltung

Politiker und auch einige Rektoren widersprachen Hippler; doch viele Studenten denken ähnlich. Nur ein Fünftel aller Uni-Bachelor wollen laut Studien mit dem ersten Abschluss vorliebnehmen. Wegen der konjunkturellen Lage ist die Arbeitslosigkeit unter den ersten Bachelor auf dem Arbeitsmarkt zwar gering; Personalchefs klagen aber oft über deren fachliche und persönliche Eignung. Laut einer Analyse von Stellenmärkten durch Forscher der Universität des Saarlandes sehen Job-Angebote kaum den Direkteinstieg für Bachelor vor, oft nur Praktika. Die Nachfrage von Studenten nach Bologna-Stufe zwei bleibt daher ungebrochen.

Mit voller Kraft widmen sich die Hochschulen den derzeitigen Horden von Studienanfängern. Beim Master müssen sie dann eher die Tür zu machen. "Es macht ja den Hochschulen keine Freude, wenn sie eine Auswahl treffen müssen", hat es Thomas Kathöfer, Generalsekretär der HRK, einmal treffend formuliert. Man müsse sich im Master-Bereich "vor zu hohen Studierendenzahlen schützen", damit den immatrikulierten Studierenden ein gutes Studium geboten werden könne.

Massenfächer wie Politik oder Wirtschaft sind so mancherorts im Master schon zu exklusiven Veranstaltungen geworden. Auf die Fläche und Breite gesehen ist das Problem noch überschaubar. Derzeit sind laut Kultusministerkonferenz (KMK) ein Viertel der Masterprogramme mit einem Numerus Clausus belegt. Das Angebot sei "zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausreichend".

Jedoch: 480.000 Studienanfänger gibt es 2012 an den Hochschulen. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es noch 200.000 weniger. Gründe sind die doppelten Abiturjahrgänge in mehreren Ländern und der allgemeine Trend zum Studium. Es wird eng in den Hörsälen; und kritisch für die Haushalte der Hochschulen.

Viele Bachelor der vergangenen Jahrgänge pochen auf Masterplätze, der Hochschulpakt von Bund und Ländern ist in erster Linie für die Finanzierung der Studienanfänger konzipiert. Und in ein paar Jahren wollen wohl viele jetzige Erstsemester weitermachen - dann liegt laut KMK-Prognose die Anfängerzahl weiterhin über 450 000. Das Master-Problem, das jetzt Frust auslöst, droht ein Master-Desaster zu werden.

Die Humboldt-Universität Berlin musste 2010 aus Kostengründen manchen Studenten den Zugang zum Master im Lehramt Geschichte verwehren - eine Katastrophe, da der Bachelor-Lehrer im Schulsystem nicht vorgesehen ist. "Die Zulassung darf nicht auf Kosten der Studienqualität gehen, sonst ramponieren wir den Ruf der Universität", sagte Präsident Jan-Hendrik Olbertz damals.

In Heidelberg sollte aktuell nur jeder dritte Biotechnologie-Bachelor ein Master werden. Man sei nach sechs Semestern zwar "halbwegs mit Fakten gefüttert", in der Praxis aber sicher überfordert, sagt eine Betroffene. Zwischenzeitlich hatten die Abgelehnten gar vorgeschlagen, dass jeder 1000 Euro für die Uni-Kasse beisteuert. Nach Debatten mit dem Rektor wurde ein "Notfalltopf" bemüht, damit 20 Master übergangsweise für ein Jahr studieren können. Dann freilich, so heißt es, müsse unbedingt Geld vom Staat fließen.

Mehrere Bundesländer hatten zuletzt angekündigt, sich des Problems anzunehmen. "Aber nicht, weil wir glauben, dass ein gutes Studium in jedem Fall mit einem Master enden muss", sagt Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Der Master dürfe "nicht als Korrektur für ein vermeintlich defizitäres Bachelor-Studium herhalten". Die Opposition im Bundestag fordert einen "Hochschulpakt für Master-Plätze". Im Bundesbildungsministerium zeigt man sich grundsätzlich offen. Es sei denkbar, dass in der nächsten Phase des Hochschulpakts, die vom Jahr 2015 an läuft, die Finanzierung von Masterplätzen konkret berücksichtigt wird, heißt es. Das ist freilich Zukunftsmusik. Und es nützt jetzigen Bachelor ohne Masterplatz wenig. Sie stehen im Wettbewerb um knappe Kapazitäten.

Jeder Schnitzer rächt sich

Mein Kommilitone, der Konkurrent: Ist das also der neue Leitspruch in den Hörsälen? Für die Seminare bietet Bologna auf den ersten Blick Impulse. Ein junger Geschichtsdozent im Südwesten, dessen eigener Magister im alten System noch nicht lange her ist, sagt: "Wenn ich zu Beginn des Semesters sage, dass die Mitarbeit ein Drittel der Note ausmacht, sind permanent alle Finger oben." Früher sei das anders gewesen, es zählte weder die Mitarbeit für die Seminarnote, noch das Seminar für den Abschluss. Im Bologna-Studium fließt alles ins Zeugnis ein, jeder Schnitzer rächt sich.

Daher, so der Historiker, gebe es mehr Mitarbeit - und neidische Blicke, wenn ein Kommilitone sich mit klugen Gedanken profiliert. Auch von "unkollegialen Vorkommnissen" höre man zuweilen: dass Mitschriften nicht getauscht würden, dass sich Leute aus Lerngruppen ausklinkten, um sich einen vermeintlichen Vorsprung zu verschaffen, oder dass gar arglistig Bücher in der Bibliothek versteckt würden.

"Vielfach wurden bei der Reform die alten Studiengänge mit einem großen Schuss Konkurrenzdenken und einer kräftigen Prise Ellenbogenmentalität gewürzt und dann als innovative Lehrkonzepte verkauft", sagt Erik Marquardt vom Vorstand des studentischen Dachverbands fzs. Und ein Online-Portal hat in einer Umfrage zur Solidarität unter Studenten festgestellt: Die Kollegialität scheint zwar insgesamt intakt zu sein; die M-Frage bedrückt aber viele.

Nachfrage nach psychologischer Beratung steigt

Im Forum der Seite schreibt einer: "Manche demotivieren gezielt andere, um sich selbst besser zu fühlen." Das kann auf die Seele drücken. Psychologische Beratung bei Studentenwerken hat steigende Nachfrage. "Manche haben das Gefühl, sie schaffen es nicht. Das steht häufig in Zusammenhang mit dem eigenen, überzogenen Leistungsideal", sagt eine Münchner Beraterin. Krisen gehörten zum Leben, man könne sie meistern - doch die Bedingungen ließen dafür immer weniger Raum.

Deborah Wuch hat ihre Krise überstanden. Wenn schon nicht genug Plätze, dann wenigstens Transparenz bei der Vergabe, fordert sie. Beinahe jede Uni hatte ein anderes Verfahren oder verlangte andere Tests von ihr - deren Kosten selbst zu tragen seien. Sie hatte sich längst für den Wechsel ins Lehramt entschieden, als noch ein Brief kam. Über ein Nachrückverfahren gäbe es einen Masterplatz, 400 Kilometer von Köln entfernt. Wuch wollte nicht mehr, sie bleibt beim neuen Wunschberuf. Manche Leistungen kann sie anrechnen lassen, dennoch hat sie ein paar Jahre, rein zeitlich, verloren. "Egal", sagt sie, "die neue Perspektive fühlt sich richtig gut an."

© SZ vom 12.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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