MINT-Fächer:Fachkräftenachschub aus Berlin

  • Der viel zitierte Nachwuchsmangel in den MINT-Fächern ist einer Studie zufolge größtenteils behoben.
  • Deutschlandweit wurden viele Anstrengungen unternommen, um Jugendliche für ein Studium der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu begeistern.
  • Vor allem in Berlin und Brandenburg ist die Zahl der Absolventen von MINT-Fächern gestiegen.

Von Carsten Janke

Fachkräftemangel - das Wort gehört seit Jahren zum Repertoire von Arbeitsmarktexperten und Politikern. Und genannt wird dabei meist der Mangel in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, den MINT-Fächern. Erstaunlich ist da eine neue Studie vom Stifterverband für die Wissenschaft, sie kommt zu dem Ergebnis: Der MINT-Mangel ist im Großen und Ganzen behoben. Laut aktuellem "Länder-Check" zu den MINT-Fächern sind nur bei wenigen Berufen in nächster Zeit Engpässe zu erwarten. Die Zahl der Uni-Absolventen habe sich mancherorts verdoppelt in den besagten Fächern, von einem "strukturellen Mangel" könne keine Rede mehr sein. Auch die Bundesagentur für Arbeit sieht das so in einem "Arbeitsmarktreport MINT", sie spricht nicht mehr von einem generellen Mangel in MINT-Berufen - es käme höchstens zu regionalen Engpässen, zum Beispiel in den Bereichen Maschinenbau und Mechatronik.

Ziel längst erreicht also? "Nicht unbedingt", warnt Pascal Hetze, der für die Studie des Stifterverbands verantwortlich ist. Zwar sei bundesweit viel getan worden in den vergangenen Jahren, und für Studienanfänger erscheine es wieder attraktiv, ein MINT-Fach zu studieren. Die Universitäten engagieren sich und bieten Schüler-Labore an, es gibt unzählige Stiftungen, Projekte und Initiativen für mehr Nachwuchs. Aber zum Beispiel bei Ingenieuren in Baden-Württemberg seien die Nachwuchsprobleme immer noch offensichtlich, sagt Hetze. Die südlichen Bundesländer seien wegen ihres hohen Fachkräftebedarfs auch zum Vorreiter in der Verbesserung der MINT-Ausbildung geworden.

Unerwartete Hilfe bekommen sie dabei von einer Region im Norden: Berlin und Brandenburg bildeten über dem eigenen Bedarf MINT-Absolventen aus, zeigt der Länder-Check, und leisteten damit einen "umgekehrten Länderfinanzausgleich". In der Hauptstadt sei es gelungen, die Absolventenquote zwischen 2008 und 2013 zu verdoppeln. Brandenburg sei Spitzenreiter in der Förderung von weiblichen und ausländischen Studenten. Und das, obwohl diese Region selbst gar keine sonderlichen Fachkräfteengpässe zu erwarten hat.

"Ein künstlicher Hype"

Wie kann das sein? Berlin hat eine ausgeprägte Universitätslandschaft und gleichzeitig wenig Arbeitsplätze in der Industrie. Das Land hat bewusst in die MINT-Fächer investiert, auch um den eigenen Start-up-Bereich zu unterstützen. Die TU Berlin gibt sich besondere Mühe, ihre technischen Studiengänge gut zu vermarkten. Pionierarbeit leistet die Uni unter anderem mit einem Projekt, das für "Chancengleichheit im Fiction-Format" kämpft. Zu sehen war das in der Tatort-Folge "Auskreuzung", in der eine junge Forscherin gleichzeitig gegen Umweltaktivisten und Konkurrenten im Wissenschaftsbetrieb kämpft. Durch die Beratung von Drehbuchautoren soll das Thema MINT-Berufe in Fernsehserien untergebracht werden - und so vielleicht auch die eine oder andere Studienanfängerin angesprochen werden.

Auf den Internetseiten von arbeitgebernahen MINT-Initiativen wird allerdings immer noch mit Appellen vor dem Fachkräftemangel gewarnt: "Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist gefährdet", heißt es. Bis 2020 bestehe immer noch ein Gesamtbedarf von etwa einer Million MINT-Akademikern. "Die Diskussion schafft für die Arbeitgeber eine komfortable Situation", sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, seit Langem ein Kritiker der Fachkräftedebatte. Es sei ein "künstlicher Hype" um MINT-Kräfte gemacht worden: "Dadurch blieben einerseits die Löhne niedrig, andererseits hat man als Personalmanager eine große Auswahl an geeigneten Kandidaten."

Inzwischen drohe sogar die "Finnische Krankheit" - ein Überschuss an gut ausgebildeten Akademikern und ein Mangel an Auszubildenden im Technikbereich. "Einen eindeutigen Fachkräftemangel haben wir nur im Pflege- und Gesundheitsbereich", sagt Brenke, hier müsse man gegensteuern.

Abgesichert sei der MINT-Bereich noch lang nicht, findet hingegen Ellen Walther-Klaus, Vorsitzende der Initiative "MINT Zukunft schaffen". Sie sagt: "Es gibt keinen generellen Mangel mehr, das stimmt." Man rede nun eher von Lücken, die beherrschbar seien, wenn sich die Absolventenzahlen weiter so entwickelten. Aber vor allem im Bereich der Förderung von Frauen und älteren Arbeitnehmern gebe es noch viel zu tun. "Uns fehlt immer noch die Zündung, der Hype."

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