Erzieherinnen:Lästiger Kostenfaktor auf der Krabbelstufe 1

Kleinkindererziehung, das ist noch immer Gedöns - den Eindruck bekommt, wer die Diskussion um die arbeitslosen Schlecker-Frauen verfolgt. Erzieherinnen verdienen zu wenig, haben kaum Ansehen und landen fast sicher in der Altersarmut. Die Politik verfällt in Aktionismus - und schafft wenig.

Alex Rühle

Erzieherinnen. In den Sonntagsreden der Politik sind die ja mittlerweile so etwas wie die Mütter Teresas der Nation. Gütige Wesen und Marathonempathikerinnen in einem. Wichtig. Nimmermüd. Aufopferungsvoll. Schade nur, dass sie an den anderen sechs Tagen der Woche so ziemlich der letzte Dreck sind.

Kostenfaktor Erzieherinnen

Erzieherinnen haben eine äußerst stressigen Beruf - und laufen trotzdem Gefahr, in der Altersarmut zu enden.

(Foto: dpa)

Noch mal zum Mitschreiben, was zuletzt über den Beruf der Erzieherin zu hören war. Und vorab: Ja, es gibt auch männliche Erzieher, aber die sind noch immer so rar, dass über jeden Zweiten von ihnen schon ein staunend raunendes Porträt in irgendeiner Zeitung zu lesen war.

Also, was konnten Erzieherinnen zuletzt über ihren Beruf lesen? Erst schlug die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen vor, Hartz-IV-Empfängerinnen in großem Maßstab zu Erzieherinnen umzuschulen. Dann kam ihre Idee mit den Schlecker-Kassiererinnen. Am selben Tag meldete die Arbeitsagentur, man werde versuchen, möglichst viele der arbeitslosen Kassiererinnen bei McDonald's, Amazon und dem Dänischen Bettenlager unterzubringen.

Auf der einen Seite standen Kindergärten in einer Reihe mit Fastfood-Restaurants, auf der anderen Seite fanden sich Erzieherinnen mit Hartz-IV-Empfängerinnen und arbeitslosen Kassiererinnen in einem Topf. Wie soll da nicht das Gefühl entstehen, dass dieser Beruf gelinde gesagt verdammt gering geachtet wird?

Es soll hier nicht um die pädagogische Kompetenz der Schlecker-Kassiererinnen gehen, wahrscheinlich hat von der Leyens Kollegin Kristina Schröder (wann wird die eigentlich endlich mal zu einer kompetenten Ministerin umgeschult?) recht, dass unter "diesen lebenserfahrenen Frauen" sicher viele seien, die sich "mit Freude einer solchen Aufgabe widmen wollen".

Und warum sollen lebenserfahrene Mütter nach entsprechender Umschulung den Job nicht genauso gut machen wie 19-jährige Berufsanfängerinnen? Es geht schon eher darum, dass es in Deutschland zu wenig Kita-Plätze und zu wenig Erzieherinnen gibt. Und darum, dass der Regierung plötzlich klar wird, was für ein Problem sie sich selbst angerührt hat:

Ein eigenproduziertes Problem

Erst wurde der eklatante Fachkräftemangel jahrelang ignoriert. Dann wurde plötzlich ein Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz versprochen. Der tritt im August 2013 in Kraft. Und einen Monat später sind Wahlen. Klar, dass jetzt panischer Aktionismus waltet. Aus diesem Aktionismus aber ist eine Wahrheit herauszuhören, die de facto ohnehin gilt: Kleinkindererziehung, das ist noch immer Gedöns.

Kostenfaktor Erzieherinnen

Spielen, tanzen, toben, singen, turnen, füttern, trösten und erziehen - es ist nie langweilig in der Krippe und im Kindergarten.

(Foto: dpa)

Nun ist es ja fast tragisch, dass der Vorschlag, Hartz-IV-Empfängerinnen zu Erzieherinnen umzuschulen, von Ursula von der Leyen kommt. War die nicht als Familienministerin angetreten mit dem Versprechen, den Beruf der Erzieherin aufzuwerten? Das war 2006, kurz nachdem die OECD den Zustand der frühkindlichen Pädagogik in Deutschland als katastrophal gebrandmarkt hatte. Die Gutachter staunten damals, sie hätten hierzulande kaum eigenständige Forschung auf dem Gebiet der Frühkindlichen Pädagogik ausmachen können, es gebe weniger Professorenstellen für Elementarpädagogik als für japanische Sprache.

Mittlerweile gibt es zwar 67 Bachelor- und 17 Masterstudiengänge im Bereich der frühkindlichen Pädagogik. Die aber können zum einen nicht aus dem Stand hoch qualifiziertes Personal ausspucken. Und sie ändern nichts an der Tatsache, dass Deutschland nur 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts für frühkindliche Bildung und Betreuung ausgibt. In den skandinavischen Ländern ist es zwei- bis viermal so viel. Die Darmstädter Kindheitsforscherin Claudia Maier-Höfer spricht von genereller "Mangelverwaltung" in deutschen Kitas, viele Einrichtungen könnten aufgrund des schlechten Betreuungsschlüssels auch nicht ansatzweise das umsetzen, was die Bildungspläne der Länder eigentlich vorgeben.

Bräuchte man das Geld nicht dringend für den Bau von Kindergärten, man sollte eine Imagekampagne für den Beruf des Erziehers und der Erzieherin ins Leben rufen: Sie müssen infernalischen Lärm ertragen und ein unerschöpfliches Geduldsreservoir haben, Katastrophenmanager und Seelenstreichler in einem sein. Sie müssen morgens mit den Kindern durch deren Höhlen krabbeln und nachmittags auf Augenhöhe mit deren Eltern diskutieren, ob denn Höhlenbauen in Zeiten des globalen Wettbewerbs noch eine adäquate kindliche Beschäftigung ist. Der Beruf fordert eine Art emotionale Musikalität, die - okay, schon gut, man braucht Politikern nicht mit solcher Pädagogikpoesie zu kommen.

Je früher die Investition, umso besser

Kostenfaktor Erzieherinnen

Schlecker-Frauen sollen Erzieherinnen werden. Ein großartiger Vorschlag. Oder?

(Foto: dpa)

Probieren wir's also mit Zahlen. Mit Zahlen und Begriffen wie Bildungsrendite. Die Bertelsmann-Stiftung schreibt, dass sich für Kinder aus bildungsfernen Schichten die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, um 60 Prozent erhöht, wenn sie eine Krippe besucht haben. Schließlich geht die Schere nicht, wie so oft behauptet, in der vierten Klasse auf, in der die deutschen Kinder nach Schularten selektiert werden.

Nein, viele Kinder haben, wenn sie in die erste Klasse kommen, derart rudimentäre Deutschkenntnisse, dass ihre Grundschullehrer diese Defizite beim besten Willen nicht mehr ausgleichen können. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln rechnete das in Bargeld um: Eine bessere frühkindliche Betreuungsinfrastruktur würde bis 2050 Mehreinnahmen von 14 Milliarden bringen. Pro Jahr. Um im Wirtschaftsjargon zu bleiben: Bildungsinvestitionen in späteren Lebenszyklen werfen viel geringere Rendite ab als solche Fördermaßnahmen in den ersten Jahren.

Das Geld wird aber genau umgekehrt verteilt: Je älter ein Kind, desto mehr Geld wird vom Staat für seine Ausbildung bezahlt. Und je älter die Kinder oder Jugendlichen, die man zu unterrichten hat, desto mehr verdient man als Pädagoge: Grundschullehrer bekommen bis zu 51.400 Euro im Jahr, in der Mittelstufe verdienen sie bis zu 57.900 Euro, in der Oberstufe bis zu 64.000 Euro.

Eine Erzieherin erhält in München als Einstiegsgehalt 2400 Euro brutto im Monat; darin enthalten ist die München-Zulage von 107 Euro. Kein Wunder, dass ein Drittel aller Erzieherinnen den Job irgendwann an den Nagel hängt. Zumal der Beruf fast schon ein Garant für Altersarmut ist: Aufgrund der hohen körperlichen und seelischen Belastung halten die wenigsten bis zum 65. Lebensjahr durch. Die GEW rechnet vor, dass eine Frau, die 38 Jahre lang Vollzeit als Erzieherin gearbeitet hat und mit 59 in Rente geht, auf 876 Euro Rente kommt.

An dem Tag, an dem dieser Text entstand, schneite übrigens eine neue OECD-Studie ins Haus. In der wird Deutschland für das Betreuungsgeld gerügt. "Es gibt Belege dafür, dass die Teilnahme an kindlicher Bildung für ab Dreijährige starken Einfluss auf den Bildungswerdegang von Kindern aus sozial schwachen Zuwandererfamilien hat." Das Betreuungsgeld soll dafür gezahlt werden, dass Eltern ihre Kinder nicht in die Kita geben. Es ist zum Heulen.

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