Erwartungen an Pädagogen:Lehrer sind keine Sozialarbeiter

Als Lehrer fernab der Heimat unterrichten

Lehrerin in der Klasse: Der Lehrerberuf gilt immer mehr als Dienstleister.

(Foto: dpa-tmn)

Eingezwängt zwischen immer neuen Reformen und übereifrigen "Helikopter-Eltern" wird der Lehrerberuf zum Höllenjob. Die Folgen haben auch die Schüler zu tragen.

Ein Kommentar von Johann Osel

Oft steckt im Scherz viel Wahrheit, und deshalb lässt sich eine Analyse des Lehrerberufs durchaus mit Jürgen von der Lippe beginnen. In einem Lied stellt der Komiker seinem Publikum Fragen, die Antwort ist stets ein nöliges "Der Lehrer, der Lehrer": Wer geht für kargen Lohn fix und fertig in Pension, und findet keinen Frieden wegen der Hämorrhoiden? Klar, der Lehrer. Da heißt es aber auch: Wer hat die Hand am Puls der Zeit, wer ist engagiert und allzeit bereit? Oder: Wer schlägt sich ständig mit Eltern rum, und wer darf nie sagen: dieses Kind ist dumm?

In dem Liedtext steckt beinahe alles drin, was mit Lehrern in Verbindung gebracht wird, die Klischees wie die Ideale. Aber wie ist er denn nun, der Lehrer? Jüngst hat eine Umfrage unter Abiturienten Wirbel ausgelöst. Schlechte Schüler werden demnach Lehrer, und diejenigen mit einer Eins oder einer guten Zwei machen einen Bogen um den Beruf.

"Es ist nichts schrecklicher als ein Lehrer, der nicht mehr weiß, als die Schüler allenfalls wissen sollen", heißt es in Goethes "Wilhelm Meisters Wanderjahre". Wissen ist allerdings höchstens ein Teil des Anforderungsprofils an Lehrer. Ein Einser-Absolvent, der vor der Klasse den Mund nicht aufbekommt, ist fehl am Platz. Die Umfrage zeigte aber auch: Die Schüler, denen es nach eigener Einschätzung Spaß macht, Neues zu lernen, die sich gerne Ziele setzen und darauf hinarbeiten - eben jene sind kaum am Lehrerberuf interessiert. Und wer dann? Die Schnarchnasen, die Ja-Sager, die Unbeweglichen?

Eigene Erfahrungen prägen Lehrernachwuchs

Bei bundesweit mehr als einer halben Million Lehrern kann eine solche Studie nur ein Schlaglicht auf den Beruf werfen. Wie in allen Branchen findet sich die ganze Bandbreite an Charakteren. Es gibt Vertreter der Zunft, die den Eifer irgendwann verloren haben; es gibt Lehrer - und hoffentlich sind sie in der Mehrzahl -, die mit Leidenschaft in der Klasse stehen; die es als Glück sehen, junge Leute dabei begleiten zu dürfen, Persönlichkeiten zu werden, Wissen und Fähigkeiten zu erlernen. Und natürlich gibt es die Lehrer, die den Eifer nie hatten, die diesen Beruf aus Mangel an Alternativen wählten.

Wenn es um den Lehrernachwuchs geht, werden potenzielle Kandidaten aber durch ihre eigenen Erfahrungen geprägt. Sie wissen, dass es nicht vergnügungssteuerpflichtig ist, Pubertierende zu begeistern. Und sie sehen, wie Lehrer in einer Zwickmühle sind: Einerseits stehen sie mitten in der Gesellschaft mit deren Ansprüchen. Andererseits arbeiten sie im Schutzraum Schule, in dem vieles haarklein geregelt ist. Für kreative Köpfe wenig erstrebenswert.

Das öffentliche Bild des Lehrerberufs hat sich zuletzt stark gewandelt. Von der schier unumstößlichen Autorität, seit im 18. Jahrhundert das Schulwesen breitere Schichten erfasste, blieb in der Bundesrepublik zunächst immer weniger übrig.

"Höllenjob Lehrer"

In den Neunzigerjahren kam gar Lehrerschelte groß in Mode. Da waren es nicht mehr nur Stammtische, die bei dem Beruf über Ferien und viele freie Nachmittage schimpften oder über abgenutzte Cord-Sakkos lachten. Lehrer seien "faule Säcke", die "lieber alle Fünfe gerade sein lassen", hat der spätere Kanzler Gerhard Schröder gesagt. Es gibt weitere Belege aus dieser Zeit.

Als zu Beginn des Jahrtausends aber der Pisa-Schock eintrat, änderte sich der Blick wieder, ins Positive. Gute Leistungen kommen durch gute Lehrer, stellt man fest. Studien zeigten, dass Klassengrößen weniger wichtig für guten Unterricht sind als das Personal am Pult. Die Politik wechselte das Vokabular. Studien zum Beruf zielen nun oft auf das Leid der Lehrer ab. "Höllenjob Lehrer", titelte ein Magazin neulich.

Mit der Pisa-Studie hat sich aber auch vieles zum Schlechteren gewandelt - die neue Bildungsbegeisterung schwappte in die Schulen hinein. Leistungen wurden exakt messbar, werden regelmäßig überprüft, Schulen entwickeln Profile, es gibt neue Konzepte, Reformen. So sehr Schulpolitik moderner geworden ist, so sehr zwingt sie Lehrer dadurch in Korsette. An vielen Schulen herrscht die blanke Angst, ja nichts falsch zu machen.

"Helikopter-Eltern" sind jederzeit zum Landeanflug bereit

Und mit normalen Eltern, die der Institution Schule generell vertrauen, hat es ein Lehrer immer seltener zu tun. Es wachsen dagegen die Extreme: Eltern, die ihre Kinder fast vernachlässigen, und Eltern, die sich derart fordernd einbringen, als säßen sie selbst auf der Schulbank. Für beides sind Lehrer nicht richtig ausgebildet, für beides sind die Abläufe eines Schultags nicht gemacht. Lehrer sind keine Sozialarbeiter, wenn sie Glück haben, bekommen sie einen an die Seite gestellt.

Die zweite Gruppe von Vätern und Müttern werden oft "Helikopter-Eltern" genannt, jederzeit zum Landeanflug bereit. Das ist heute Alltag: Da klagen Eltern vor Gericht wegen schlechter Noten; da ist die Telefonnummer der Schulleitung in der Kurzwahl gespeichert; da wird viel von "wir" gesprochen: Wir schreiben morgen eine Mathearbeit, wir müssen ein Referat machen. Wobei Letzteres teils stimmt, viele Lehrer können daheim vorbereitete Dinge gar nicht mehr fair benoten.

Unabhängig von Exzessen setzt sich der Gedanke durch: Lehrer gelten als Dienstleister, bei der Pflege der Bildungsbiografie. Dass zur Reifung eines jungen Menschen Rückschläge gehören, ein Suchen, ein Ausprobieren - kaum noch gestattet. Es herrscht "Bildungspanik", wie es der Soziologe Heinz Bude definiert hat. Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs macht Abitur. Mithalten muss man da, der Dienstleister hat zu liefern.

Zugleich wird Schule mit Ansprüchen überfrachtet: Die Wahlbeteiligung von Erstwählern ist zu niedrig - haben die Lehrer versagt? Minderjährige knallen sich mit Wodka voll - gab es dazu nichts im Unterricht? Jugendliche geraten in die Handy-Schuldenfalle - warum tun die Lehrer nichts?

Das starre Beamtensystem kann träge machen

Wie nun lässt sich der Beruf aufwerten? Maßnahmen per Knopfdruck gibt es da nicht. Seit jüngster Zeit wird an einigen Unis die Ausbildung der Pädagogen überdacht, mehr Praxisnähe, teils mehr Geld. Flächendeckend ist die Lehrerausbildung aber von gestern.

Das Zaudern der Hochschulchefs ist verständlich, mit der Ausbildung von Lehrern lässt sich nicht angeben in der Welt der Wissenschaft, keine Mittel aus der Industrie, keine Nobelpreise. Lehramt gilt an Unis als lästige Pflichtaufgabe.

An den Schulen fehlen zudem Anreize für mehr Engagement. Es ist gut, dass Lehrer nicht dem Prinzip des Marktes ausgesetzt sind, es geht ja nicht um die Produktion von Fahrrädern. Aber das starre Beamtensystem mit den Gehaltsstufen kann bremsen, träge machen.

Bliebe die Öffentlichkeit: Es wird zu viel über schlechte Pädagogen geredet, aber kaum über gute. Eltern müssen wieder hinter den Lehrern stehen. Die Pädagogen selbst sollten mehr Mut zeigen, die Larmoyanz gerade der vergangenen Jahre schadet. Einem meckernden Lehrer will kein Abiturient in den Beruf folgen.

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