Süddeutsche Zeitung

Erlebnisse als Lehrerkind:"Mein Vater korrigiert sogar das TV-Programm"

Die meisten Schüler können ihren Lehrern nach Schulschluss aus dem Weg gehen. Nicht so Bastian Bielendorfer. Was man durchmacht, wenn beide Eltern Pädagogen sind, beschreibt er in seinen Büchern. Im Gespräch erzählt er, warum er trotzdem selbst ausgerechnet Lehrer werden wollte.

Von Johanna Bruckner

Kindheit prägt - manche mehr als andere. Bastian Bielendorfer, inzwischen 29 Jahre alt, arbeitet seine Jugend noch immer auf. "Lebenslänglich Klassenfahrt. Mehr vom Lehrerkind" (Piper) heißt sein zweites Buch. Darin räumt der Sohn einer Grundschullehrerin und eines Gymnasiallehrers nicht nur mit dem Klischee der Klassenfahrt als Bildungsreise auf. Ein Gespräch über planlose Studienentscheidungen, peinliche Erlebnisse im Klassenzimmer - und das Geheimnis eines guten Lehrers.

SZ.de: Herr Bielendorfer, was passiert denn nun wirklich auf Klassenfahrt?

Bastian Bielendorfer: Eine Klassenfahrt ist aus Sicht der Eltern eine feine Sache. Das Kind ist eine Woche aus dem Haus und tut noch dazu was für seine Allgemeinbildung. Doch während Mama und Papa denken, dass ihre Sprösslinge gesittet mit großen Augen durch Venedig laufen, bricht in Wahrheit eine Horde volltrunkener Pubertierender über den Markusplatz herein.

Für Ihre eigenen Eltern dürfte diese Wahrheit allerdings nicht überraschend kommen, schließlich sind sie selbst Lehrer. Ein Umstand, unter dem Sie nach eigener Aussage vor allem als Teenager gelitten haben. Trotzdem wollten Sie nach dem Abi ausgerechnet Lehrer werden. War das eher ein Akt des Aufbegehrens - oder der Kapitulation?

Beides. Auf der einen Seite wollten meine Eltern nicht, dass ich Lehrer werde. Es war sogar davon die Rede, dass ich enterbt werden sollte. Sie haben mich für bescheuert erklärt, dass ich mir das heute noch freiwillig antun will - angesichts der Problembezirke, in denen man im Raum Gelsenkirchen landen kann. Auf der anderen Seite war ich nach dem Abitur vollkommen planlos, was meine berufliche Zukunft angeht. Da lag ein Lehramtsstudium nahe.

Wieso das?

Wenn man ehrlich ist, fangen die meisten ein Lehramtsstudium nicht an, weil sie sich zum Pädagogen berufen fühlen. Sondern, weil sie nicht wissen, was sie sonst studieren sollen. So können sie einfach ihre Leistungskurse weiterbelegen. Mir kam das Studium außerdem entgegen, weil ich schon immer gut vor Leuten reden konnte. Dachte ich zumindest bis zu meinem pädagogischen Einführungspraktikum im sechsten Semester. Meine erste Probestunde an einer Gesamtschule in Dortmund-Brackel war ein Desaster. Unter anderem, weil meine Schüler entdeckt haben, dass ich bei Wikipedia abgeschrieben hatte - meine Glaubwürdigkeit war sofort dahin.

Erklären Sie einem Nicht-Lehrerkind das Leid eines Lehrerkinds.

Stellen Sie sich vor, es ist 365 Tage im Jahr Elternsprechtag. Viele meiner Mitschüler haben sich vor diesem Tag gefürchtet, weil dort ihre beiden schlimmsten Feinde zusammentrafen - Eltern und Lehrer. Mein Vater war mit vielen seiner Kollegen eng befreundet. Ich erinnere mich an einen Tag in der sechsten Klasse: Plötzlich sprang die Klassenzimmertür auf, einer meiner Lehrer stand im Türrahmen - und reichte mir meine Schweißfußeinlagen hinein. Die hatte ihm mein Vater im Lehrerzimmer mitgegeben, nachdem ich sie daheim vergessen hatte.

Aber ich könnte mir vorstellen, dass es durchaus auch Vorteile hat, wenn der eigene Vater mit den Lehrern befreundet ist?

Sie meinen, weil ein Freund der Familie eher geneigt ist, aus einer Fünf noch eine Vier zu machen? Bei mir war das Gegenteil der Fall. Ich war zum Beispiel in Sport sehr schlecht, ein typischer Teilnehmerurkunden-Abonnent. Mein Sportlehrer hat mir mehrfach bescheinigt, meine Turnfähigkeiten lägen außerhalb des wahrnehmbaren Bereichs. Ausgerechnet mit diesem Kollegen kam mein Vater nun überhaupt nicht klar - was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Allein wegen meiner Unsportlichkeit hätte ich wohl ganz unten auf der Beliebtheitsskala meines Sportlehrers rangiert. Weil ich aber der Sohn meines Vaters war, hasste er mich. Aus einer Fünf wurde also eher noch eine Sechs.

Die meisten Lehrer bleiben wegen Ihrer Macken in Erinnerung: Was fällt bei Ihren Eltern auf?

Mein Vater, seines Zeichens Deutschlehrer und bekennender Liebhaber des Rotstifts, hat einen absoluten Korrektur-Zwang. Neben Klausuren in der Schule korrigiert er leidenschaftliche gerne bei uns zuhause das TV-Programm und andere Zeitschriften. Seine Verbesserungen - grammatikalisch wie inhaltlich - schickt er dann an die Redaktionen. Neulich habe ich mich mit einer Journalistin unterhalten, die tatsächlich schon Briefe von meinem Vater bekommen hat, weil ihre Artikel fehlerhaft waren. Meine Mutter steht meinem Vater im Übrigen in Nichts nach: Das Manuskript meines Buches, das ich ihr zum Korrekturlesen gegeben hatte, kam mit zusätzlichen 60 Seiten zurück.

Sie fühlte sich falsch dargestellt?

Die Schilderung meiner Experimentalkindheit störte sie nicht mal - wohl aber, dass ich unser Wohnzimmer falsch beschrieben hatte. Ansonsten haben meine Eltern aber ein entspannt-indifferentes Verhältnis zu meiner Autorentätigkeit. Als ich meinen Vater am Telefon darüber informiert habe, dass ich das meistverkaufte Buch des Jahres geschrieben habe, war seine Antwort: "Ich kann jetzt nicht - der Hund hat Durchfall!" Meine Eltern sind vor allem stolz darauf, dass ihr Sohn jetzt selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann.

Pisa, G8, Zentral-Abi - das Bildungssystem steht oft in der öffentlichen Diskussion. Kommt das Thema Schule auch bei Ihnen zuhause auf den Tisch?

Wir reden zwar nicht ständig darüber, aber meine Eltern interessieren sich natürlich für aktuelle Entwicklungen. Obwohl sie inzwischen pensioniert sind. Den Trend zur Ganztagsschule finden sie zum Beispiel furchtbar: Nachmittagsschule war schon schlimm genug - und jetzt bekommt man die Schüler sogar bis zum Abend aufs Auge gedrückt? Eine Frechheit! Schule ist das latent omnipräsente Thema in unserer Familie. Ich komme aus einer ganzen Lehrer-Dynastie: Nicht nur meine Eltern sind Lehrer, auch meine Onkels und Tanten, Cousins und Cousinen - ich bin der Einzige, der sich aus dieser Ahnenreihe der Irren ausgeklinkt hat.

Was macht für Sie einen guten Lehrer aus?

Ich erinnere mich vor allem an die Lehrer, die mich für Dinge begeistern konnten, von denen ich bis dahin nichts wissen wollte. Ich hatte einen Deutschlehrer, der war eine Urgewalt. Der konnte selbst Schüler, die ein Buch für etwas hielten, das man unter den Tisch schiebt, wenn er wackelt, dazu bringen, zuhause zu lesen. Allein durch die Kraft seiner Art und seiner Worte. Leider geht diese Begeisterungsfähigkeit vielen Lehrern schon nach kurzer Zeit verloren.

Woran liegt das?

Der Druck auf Lehrer ist heute unheimlich hoch. Sie sollen Kinder nicht mehr nur unterrichten, sondern auch erziehen. Viele Eltern stehlen sich aus ihrer eigenen Bildungsverantwortung. Mein Vater hatte mal eine Mutter bei sich sitzen, die sich beschwerte: "Wie kommt das mit die schlechte Deutsch von die Justin?" Darauf hat er nur geantwortet: "Das liegt wohl an die Mutter." Angesichts solcher Erlebnisse ist es irgendwie verständlich, wenn Resignation an die Stelle von Esprit tritt.

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