Entwicklung der deutschen Sprache:"Alle fühlen sich kollektiv geil"

Jugendsprachen gelten im Bildungsbürgertum immer noch als verpönt. Neuerdings gibt es aber auch Sprachforscher, die auf die intellektuelle Leistung zum Beispiel beim Vermischen von Deutsch und Türkisch hinweisen. Wie sehen Sie das?

Ist es eine intellektuelle Leistung, im Zweifelsfall in zwei Sprachen grammatikalisch falsche Konstrukte zu fabrizieren? Für mich hat das vor allem etwas mit Faulheit zu tun. Auf der anderen Seite sind Jugendsprachen an sich nichts Schlimmes, das Deutsche wird es sicher verkraften, wenn sich Begriffe wie "Babo" etablieren. Was mir Sorgen macht, ist, dass Kinder und Jugendliche einen korrekten Satzbau verlernen: Subjekt, Prädikat, Objekt. Auch, dass vor ein Substantiv ein Artikel gehört, haben heute nicht mehr alle Kinder und Jugendliche verinnerlicht. Wie sollen die irgendwann ihren eigenen Kindern richtiges Deutsch beibringen?

Apropos korrektes Deutsch: Auch die Sprache der Beamten kommt bei Ihnen nicht gut weg. Können Sie Ihre Kritik an einer konkreten Wortschöpfung festmachen?

Abstand(s)einhaltungserfassungsvorrichtung (Querstreifen auf der Autobahn beim Blitzen; Anm. d. Red.) ist so ein Beispiel aus der bürokratischen Sprache. Sie stellt, wenn man so will, das Gegenstück zum aktuellen Abkürzungstrend dar: Aus einfachen Begriffen werden Wortungetüme, die im konkreten Fall nur ein Polizist mit zwanzig Dienstjahren auf Anhieb versteht.

Das für Sie schlimmste deutsche Wort haben wir bisher umschifft ...

Das schlimmste deutsche Wort?

Geil.

Ach so. Geil ist ein sehr altes deutsches Wort, das in den vergangenen 30 Jahren einfach zu inflationär verwendet wurde. Das fing 1986 an, als ein gleichnamiges Lied des Duos Bruce & Bongo an die Spitze der Charts stürmte, zuletzt hat die Werbung dem Begriff noch einen neuen Popularitätsschub verschafft. Für mich ist "geil" ein Synonym für eine Vereinfachung der deutschen Sprache, die mit einer Verdrängung von Wörtern einhergeht. Wer verwendet heute noch schöne Gemütsbeschreibungen wie "beschwingt" oder "glückselig"? Alle fühlen sich kollektiv geil.

Sprechen die Entwicklungen und Sprachtrends, die Sie in Ihrem Buch schildern, nicht eigentlich für die Lebendigkeit der deutschen Sprache?

Natürlich verändert sich eine Sprache, und das ist auch gut so. Aber ich finde doch, dass es Entwicklungen gibt, die uns Sorgen machen sollten. Dazu gehört eben, dass immer mehr junge Menschen nicht mal mehr die Grundgrammatik beherrschen, einen immer geringeren Wortschatz haben und nicht in der Lage sind, sich schriftlich korrekt auszudrücken. Wenn das alles verloren geht, befindet sich eine Sprache auf dem Rückzug. In Frankreich sorgt der Staat für den Schutz der Sprache. Wir überlassen unsere sich selbst.

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