Schule:Sollten Elternabende verpflichtend sein?

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Das Sommerfest, der Theaterabend, die Weihnachtstombola - zu solchen Gelegenheiten kommen Eltern gern in die Schule, wie hier in Bad Tölz zur Einschulung der diesjährigen Erstklässler. (Foto: Manfred Neubauer)

Im Klassenzimmer läuft vieles besser, wenn Väter und Mütter mit Lehrern kooperieren. Die Hamburger CDU wollte vor allem muslimische Eltern dazu verpflichten.

Von Thomas Hahn

Beim jüngsten Elternabend ihrer Neunten hat die Lehrerin Stefanie Böhmann das Problem wieder an den eigenen Fingern abzählen können. Die Klasse ist ein Abbild der Vielfaltsgesellschaft wie praktisch jede Klasse an der Stadtteilschule Öjendorf im Hamburger Stadtteil Billstedt. Jugendliche unterschiedlichster Herkunft unterrichtet Stefanie Böhmann dort in den Fächern Deutsch und Religion. Sie hätte den Eltern viel zu sagen über Talente und Schwierigkeiten ihrer Kinder. Aber von den 26 Schülerinnen und Schülern waren nur vier durch ihre Eltern vertreten. Stefanie Böhmann kann die Eltern ein bisschen verstehen. Sie kennt zum Teil ihre Geschichten von Armut und Zerrissenheit. "Viele sind so in ihrem eigenen Alltag gefangen, dass sie keine Zeit für die Schule ihrer Kinder haben." Die Lehrerin klingt nachdenklich. Der schlecht besuchte Abend beschäftigt sie.

Eltern sind die Stützen der Schulen, und zwar nicht in erster Linie deshalb, weil sich manche von ihnen in Elternbeiräten oder Vereinen für schulpolitische Ziele engagieren. Sondern weil sie als Erzieher ihrer Kinder dazu beitragen, dass der Unterricht nicht ins Leere läuft. Interesse und Einsicht in die Werte des Schulwesens sind die Voraussetzungen dafür, dass Eltern die Lehrer unterstützen können. Aber gerade in Hamburg ist es kein Selbstläufer, dieses Interesse zu wecken.

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Die Hälfte der rund 200 000 Schüler im Stadtstaat hat einen sogenannten Migrationshintergrund, in den Stadtteilschulen stammen etwa 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen aus Wohngebieten mit sehr niedrigem oder niedrigem Sozialstatus. Will die Schule für Kinder aus bildungsfernen Familien eine Brücke in die Mitte der Gesellschaft sein, dann lautet die Frage: Wie baut man diese Brücke so, dass möglichst viele Eltern sie nehmen können?

Im August brachte die Hamburger CDU-Fraktion dazu einen Antrag in die Bürgerschaft ein. Titel: "Ethnisch-kulturell motivierte Aggressionen in Schulen bekämpfen". Im Text hieß es: "Kinder und Jugendliche - insbesondere muslimische Jugendliche aus dem Vorderen Orient - beleidigen einander in der Schule zunehmend aufgrund von Nationalität, Religion und Weltanschauung." Die CDU wolle die Eltern "konstruktiv eingebunden" sehen in den Kampf gegen solche Auswüchse. "Daher sollte die Teilnahme an Elternabenden - die im besonders problematischen muslimischen Milieu von Vätern so gut wie nie wahrgenommen werden - für Eltern problematischer Schüler verpflichtend sein."

Die Formulierungen führten zu der Schlagzeile, Hamburgs CDU wolle Pflichtelternabende für Muslime. Die grüne Bildungsexpertin Stefanie von Berg nennt sie "ausgrenzend". Und der Anlass für den Antrag wirkt wie konservative Kolportage. Zahlen zu der These, dass vor allem Muslime immer aggressiver im Ton werden, gibt es nicht. CDU-Bildungssprecherin Birgit Stöver sagt: "Es sind vor allem Beobachtungen und Sorgen, die an mich von Eltern herangetragen werden." Prompt unterstützte die AfD den Antrag. Die FDP enthielt sich. Linke und die Fraktionen der rot-grünen Regierung schmetterten ihn ab.

Birgit Stöver will den Pflichtelternabend als letztes Mittel verstanden wissen. Und ist die Teilnahme von Eltern am Schulleben nicht tatsächlich ein auszubauendes Anliegen? "Ja", sagt die Grüne Berg, "aber das kann nicht mit verpflichtenden Elternabenden gehen." Sondern?

In der Hamburger Schulbehörde des Senators Ties Rabe (SPD) macht Sprecher Peter Albrecht einen entspannten Eindruck. Missratene Anträge der Opposition sind eine schöne Vorlage, um sich als Regierung bestätigt zu fühlen. Die CDU-Thesen widerlegt Albrecht jedenfalls schnell. Dass das raue Klima an manchen Schulen vor allem durch muslimische Jugendliche angeheizt werde, kann er nicht bestätigen. Schlecht besuchte Elternabende nennt er "ein soziales Phänomen, das wir querbeet durch die ganze Stadt haben". Pflichtelternabende? "Rechtlich und praktisch unmöglich."

Hamburg ist kein einfacher Schulstandort, das leugnet Albrecht nicht. In manchen Schulen sei der Unterricht ohne Sozialpädagogen und Erzieher nicht möglich. Zu den Problemfällen gehören Schulen mit 100 Prozent Schülern aus Migrantenfamilien. Aber auch Deutsche machen es den Behörden nicht immer leicht. 2017 mussten 38 Schüler aus diversen Herkunftsländern wegen ständigen Schwänzens in die Jugendarrestanstalt. Die Probleme beginnen oft zu Hause, deshalb bemüht sich die Schulbehörde um die Mitarbeit der Eltern - und zwar mit Programmen, die freiwilliges Engagement fördern.

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Die Behörde bildet Mütter und Väter zu Mentoren aus, die zwischen Schule und Eltern vermitteln sollen. Sie sind bei Gesprächen dabei, dolmetschen, gestalten Elternarbeit mit. Viele Schulen haben mit den Mentoren Elterncafés eingerichtet, veranstalten interkulturelle Feste, halten Gesprächskreise ab. "Wir wollen eine Kontaktbasis schaffen, um die Eltern erst mal kennenzulernen", sagt Albrecht.

Stefanie Böhmann ist an der Stadtteilschule Öjendorf auch als Seelsorgerin und Elternkoordinatorin tätig. Sie glaubt ebenfalls, "dass man die Eltern mit Druck und Pflicht nicht bekommt". Einen Erfolg gab es zuletzt an einem Leseabend, der für Fünft- und Sechstklässler Pflicht war: Die Kinder sollten so spät nicht allein auf die Straße, deshalb kamen viele Eltern mit und hörten dankbar zu. Das hat Böhmann darin bestärkt, dass die Aussicht auf Freude und unaufgeregte Begegnungen die Menschen anzieht. Schulfeste sind wichtig. Manche Elternmentorin hatte mit einem Tanzabend Erfolg. Böhmann will deshalb auch das Angebot der "Oase" erweitern. Die "Oase" betreibt sie mit anderen Lehrern als eine Art Fluchtraum für Lebensfragen. An vier Wochentagen können die Schüler dort nach dem Vormittagsunterricht hinkommen, um bei Tee und Keksen über Themen zu reden, die sie bewegen. Alle paar Wochen soll aus der "Oase" künftig ein Elterncafé werden.

Freundlichkeit ist oft wichtiger als die nächste Verfügung. Um Mentoren zu werben, haben Stefanie Böhmann und ihre Kollegen schon sämtliche Elternhäuser einer Jahrgangsstufe angerufen. Anstrengend, aber so klappt dann auch was. Der jüngste Kurs widerlegt sogar die CDU-These, wonach Männer aus dem Orient die Schule ihrer Kinder meiden. Unter den Absolventen waren zwei Väter, beide Muslime.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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