Süddeutsche Zeitung

Elternmitwirkung in der Schule:"Das Gejammer ist nur eine Marotte"

Eltern mit höherem Bildungsgrad haben häufiger den Anspruch, im Schulalltag mitzureden, sagt ein engagierter Vater.

Interview von Larissa Holzki

Korhan Ekinci ist so etwas wie ein Musterpapa: Aus dem Arbeitersohn mit Hauptschulempfehlung wurde ein diplomierter Wirtschaftsinformatiker und der Vorsitzende des Landeselternbeirats in Hessen. Er sagt, Bildung darf nicht vom Elternhaus abhängen. Aber dürfen sich Eltern deshalb ganz aus der Schule raushalten? Oder müssen sie es sogar?

SZ: Herr Ekinci, Ihre Tochter geht auf eine integrierte Gesamtschule. Wie viele Eltern kommen zum Elternabend?

Korhan Ekinci: In der zweiten Klasse fast alle. Wenn die Kinder älter und selbständiger werden, wird das erfahrungsgemäß weniger. Aber das Gejammer, och nee, schon wieder Elternabend, ist doch auch nur so eine Marotte. Die meisten gehen da ganz gerne hin.

Gilt das auch für Eltern mit Migrationsgeschichte?

Die Nationalität spielt beim Elternengagement keine Rolle. Es ist allerdings auffällig, dass Eltern aus einem bildungsfernen Umfeld sich weniger beteiligen. Andersrum gesagt: Eltern mit höherem Bildungsgrad haben häufiger den Anspruch, im Schulalltag mitzureden.

Für Elternarbeit haben Lehrer eigentlich keine Zeit

Wenn Eltern dringend mit der Klassenlehrerin sprechen wollen, muss sie die Zeit dafür meist von ihrer Freizeit abknapsen. Elternarbeit leisten Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland weitgehend freiwillig. Zwar müssen sie jede Woche eine bestimmte, je nach Bundesland unterschiedlich hohe Zahl von Unterrichtsstunden ableisten, wie sie sich ihre übrigen Aufgaben einteilen, ist aber ihre Sache - mit Ausnahme von Pflichtterminen wie Konferenzen und wenigen Elternsprechtagen im Jahr.

Niemand kontrolliert, wie viel Zeit Lehrer dafür aufwenden, ihren Unterricht vorzubereiten, Hausaufgaben zu korrigieren, Klassenarbeiten zu konzipieren und zu bewerten oder Gespräche mit Eltern und Schülern zu führen. Faulenzen können sie aber eher nicht. Wie knapp die Zeit bemessen ist, zeigt das Beispiel Hamburg. Dort hat das Kultusministerium eine Beispielrechnung für die Zeitkontingente der Lehrer aufgestellt. Demnach hat ein Englischlehrer für die Hausaufgabenkontrolle in einer siebten Klasse jede Woche eine halbe Stunde Zeit: pro Schüler eine Minute, um Fehler zu finden, zu verbessern und zu protokollieren - und im besten Fall auch noch zu erkennen, ob sie der Flüchtigkeit geschuldet sind oder die Grammatik noch nicht sitzt. Nur wenn ihm das gelingt, er zudem Unterrichtsstunden in nur 15 und Klassenarbeiten in nur 60 Minuten vorbereitet, bleibt ihm noch eine halbe Stunde übrig, um mit Eltern und Schülern über ihre Anliegen und Sorgen zu sprechen - in einer 46,57-Stundenwoche wohlgemerkt, weil sie trotz der Schulferien genauso viel arbeiten müssen wie andere Beamte.

In fast allen Bundesländern haben Gymnasiallehrer weniger Pflichtstunden als ihre Kollegen an Grund-, Haupt- oder Realschulen. Zwar fallen an diesen Schulen womöglich die Aufsätze kürzer aus, der Gesprächsbedarf dürfte jedoch nicht kleiner sein. In Mecklenburg-Vorpommern bekommen Klassenleiter an Grundschulen pro Woche 30 Minuten für Elterngespräche auf ihre Pflichtstunden angerechnet. Leiten sie die ganze Schule, kommt noch eine Stunde dazu. Larissa Holzki

Wie viel Engagement ist denn notwendig?

Solange wir engagierte Eltern brauchen, damit unsere Kinder gut betreut werden und gute Bildung bekommen, werden wir die Schere zwischen denen mit einem bildungsfernen und denen mit einem akademischen Hintergrund niemals schließen. Das geht nur, wenn allein das Kind mit seinen Fähigkeiten für seinen Bildungserfolg verantwortlich ist.

Heißt das: Ganztagsschule bis fünf - und nie wieder Bruchrechnen mit Papa?

Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem unsere Kinder fern von äußeren Einflüssen - und dazu zähle ich auch die Familie - ihr Potenzial entfalten können. Qualifizierte Lehrkräfte und Sozialpädagogen müssen von morgens bis nachmittags ein ordentliches Bildungsangebot geben, sodass die Kinder zu Hause nichts mehr für ihre Bildung tun müssen. Zu Hause ist Freizeit, Familienzeit, Quality time.

Sie erwarten viel. Lehrer klagen, sie müssten mittlerweile auch noch Erzieher sein.

Aus Kindern Erwachsene zu machen, die sich benehmen können, ist ganz klar Aufgabe des Elternhauses. Die Schule kann ihnen nicht beibringen, dass sie mit geschlossenem Mund essen und Menschen respektieren sollen, egal welchen Geschlechts. Das ist eine Grundlage, auf der Bildung erst stattfinden kann.

Also doch Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule?

Ich würde es Choreografie nennen. Der Leiter eines nordhessischen Gymnasiums hat mir erzählt, seine Lehrer hätten im letzten Schuljahr kein einziges Elterngespräch führen müssen, weil ein Kind sich nicht benehmen konnte. Wie geht das? Die Schule macht den Eltern ab der fünften Klasse klar, dass sie die Ursachen für falsches Benehmen bei ihnen suchen wird. Wenn die Kinder auf der Schule bleiben wollen, müssen die Eltern etwas dafür tun.

In Taunusstein machen die Schulen schon den Kindergärten konkrete Vorgaben, was Erstklässler können müssen.

Ja, das ist das Taunussteiner Modell: Im letzten Kindergartenjahr wird Schleifebinden und all so was geübt. In Elterngesprächen werden Checklisten durchgegangen. Und wenn etwas fehlt, heißt es: Eltern, ihr habt Hausaufgaben.

Was machen Sie, falls die Schule wirklich einmal ohne Elternarbeit funktioniert?

In einer idealen Welt organisiere ich nur noch Schulfeste. Aber vorher sammeln wir jetzt erst mal Hinweise, wie viel Unterricht in Hessen ausfällt - anonym, weil einige Schulämter Druck ausüben. Und wir fordern, dass Seiteneinsteiger nach zwei Jahren pädagogische Kenntnisse nachweisen müssen.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2018/mkoh
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