Ebbe in der Haushaltskasse:Der Bettelstudent

Konto überzogen, Mietrückstände, offene Telefonrechnungen: So viele Studenten wie noch nie leiden unter akuter Geldnot.

Georg Etscheit

Manchen Leuten, die bei Duygu Brandstetter anklopfen, steht das Wasser bis zum Hals. "Die bringen nur noch ein Hallo heraus und fangen dann an zu weinen", sagt die Sozialberaterin des Münchner Studentenwerks. Etwa der brasilianische Student Paulo da Silva (Name geändert), der seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hatte. "Den habe ich zur Caritas geschickt. Die können Soforthilfe leisten", sagt Brandstetter.

Der Bettelstudent: Konto überzogen, Mietrückstände, offene Telefonrechnungen

Und jetzt? Die meisten

(Foto: Foto: iStockphoto)

Ebbe in der Haushaltskasse droht immer mehr Studenten. "Äußerst rege" sei der Zulauf in der Allgemeinen Sozialberatung, sagt Brandstetter. Bei der Hälfte aller Beratungsgespräche geht es um die Studienfinanzierung. "Viele haben es bisher vielleicht gerade so geschafft", sagt sie. Doch die happigen Studiengebühren, die an vielen Universitäten eingeführt wurden oder geplant sind, drohen jetzt manchem das Genick zu brechen. Zumal ein großzügiges Stipendiensystem, wie von den Politikern angekündigt, noch auf sich warten lässt.

Die Studienbeiträge von bis zu 500 Euro pro Semester bringen das fragile System der "Mischfinanzierung" aus dem Gleichgewicht, mit dem sich die Mehrzahl der Studenten über Wasser hält. Nach der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2003 haben nur zwölf Prozent das Privileg, das gesamte Studium von den Eltern bezahlt zu bekommen. Zwar werden insgesamt 89 Prozent der Studis von ihren Erzeugern in irgendeiner Weise unterstützt. Doch 63 Prozent müssen nebenher jobben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Für vier Prozent ist die eigene Arbeit die einzige Finanzie-rungsquelle. Und 27 Prozent erhalten Bafög, das allerdings schon seit Jahren nicht mehr an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst worden ist.

Zu den besonderen Problemgruppen gehören Studierende im Erststudium, deren (geschiedene) Eltern ihren Unterhaltspflichten nicht nachkommen wollen oder können. Vor allem in der Prüfungsphase kann es schnell eng werden. Wer büffeln muss, hat nämlich keine Zeit mehr zum Jobben. Und wenn dann noch wegen überschrittener Regelstudienzeit das Bafög entfällt oder die Betroffenen wegen eines zu späten Fachwechsels keine Staatsknete mehr bekommen, droht die akute Insolvenz. Verschärft wird die Lage vieler durch die laufende Umstellung der Studiengänge auf die Bachelor- und Master-Abschlüsse. Die stark verschulten neuen Bachelor-Studiengänge lassen im Vergleich zu den weniger strengen Magister-Studiengängen kaum noch Zeit, um nebenher Geld zu verdienen. Und das auch schon in der Anfangsphase des Studiums.

Da wundert es nicht, dass sich nicht wenige jener Studenten, die bei den Studentenwerken Hilfe suchen, schon verschuldet haben. Weil sich über Monate Mietrückstände angehäuft haben, droht der Vermieter mit Zwangsräumung; die Krankenkasse mahnt ausstehende Beiträge an, der Handy-Provider nicht bezahlte Telefonrechnungen. Hungernde Studenten sind, zum Glück, noch die große Ausnahme.

Studentinnen mit Kindern und ausländische Studierende haben ebenfalls überdurchschnittlich oft Geldsorgen. Wer aus ärmeren Ländern hierherkommt, muss in der Regel von vornherein mit dem Minimum auskommen. Bei finanziellen Engpässen, berichtet Brandstetter, versuchten diese Studenten zunächst, das Geld für die Studiengebühren aufzubringen, um nicht exmatrikuliert und möglicherweise des Landes verwiesen zu werden. Dafür würden Mietschulden oder Probleme mit der Krankenkasse wegen nicht gezahlter Beiträge in Kauf genommen.

Der Bettelstudent

Klammen Studenten rät Brandstetter, sich, wenn möglich, nicht zu schnell einen Kredit aufzuhalsen. Vielleicht können gute Freunde noch ein paar Euro lockermachen? Vielleicht kann man doch noch jobben, in der Nacht oder am Wochenende? "Schließlich geht es ja oft nur um eine kurze Zeitspanne, die überbrückt werden muss, um den Abschluss nicht zu gefährden", sagt Brandstetter.

An vielen Hochschulen gibt es wenig bekannte Privatstiftungen, die relativ unbürokratisch Geld rüberwachsen lassen. Die von Handel'sche Stiftung an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität etwa fördert Studenten in Bayern, das Oskar-Karl-Forster-Stipendium hilft einmalig beim Kauf von Fachliteratur, und die Einhundert-Jahres-Stiftung der Stadt München greift in "außerordentlichen Notsituationen" unter die Arme. Viele Studierende, vor allem Mütter mit Kindern, wissen nicht, dass sie Anspruch auf Wohngeld und, in Härtefällen, sogar auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) haben.

Weniger bekannt sind die Darlehenskassen der Studentenwerke, die unter anderem zinslose Studienabschluss-Kredite gewähren. Die größte ist die Darlehenskasse der Studentenwerke in Nordrhein-Westfalen (DAKA), die im vergangenen Jahr mehr als 900 Studierenden mit insgesamt fast 3,5 Millionen Euro aus der Klemme half. Einziges Manko: Um an das Geld zu kommen, muss man einen Bürgen auftreiben. "Wir haben in den ersten zwei Monaten dieses Jahres so viele Studierende gefördert wie noch nie", sagt Helmut Klug von der DAKA Nordrhein-Westfalen.

Wer sich in einer besonders prekären Lage befindet und vielleicht schon die Bekanntschaft mit einem aggressiven Inkassobüro gemacht hat, kann sich auch an eine Schuldnerberatung wenden. Am wichtigsten sei es, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern sich aktiv um eine Lösung der Geldprobleme zu bemühen, betont Oliver Rieck von der Schuldnerberatung der Berliner Verbraucherzentrale. Zunächst solle man versuchen, die Gläubiger um Erlass oder wenigstens Stundung der ausstehenden Geldbeträge zu bitten. Im äußersten Notfall gibt es auch die Privatinsolvenz. "Für einen Akademiker ist das natürlich kein guter Start ins Berufsleben."

Auch wenn vielen durchaus nicht zum Lachen zumute ist: Launige Tipps, wie man den Geldmangel möglichst effektiv verwaltet und wie man sich angenehm durchs Studentenleben schnorren kann, bieten diverse studentische Internetportale. Falls wirklich einmal der Magen knurrt: In 32 Studentenwerken gibt es Mensa-Freitische für bedürftige Studierende. Dort können sich Notleidende verpflegen, gegen ein geringes Entgelt oder sogar für lau.

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