Düsseldorf (dpa/lnw) - An jeder zehnten Schule in Nordrhein-Westfalen ist der Schulleiterposten unbesetzt. Anfang Dezember hatten von 4845 öffentlichen Schulen landesweit 4361 Schulen - also 90 Prozent - eine Schulleitung, wie aus Zahlen des Schulministeriums in Düsseldorf hervorgeht. Unter den zehn Prozent ohne Schulleiter oder Schulleiterin sind Grundschulen besonders stark betroffen - hier haben unter 2712 Einrichtungen aktuell 307 keine Schulleitung. An landesweit 422 Förderschulen sind 50 dieser Spitzenposten vakant, unter 504 Gymnasien sind es 31. An den anderen Schulformen sind es weniger als 30 offene Leitungsstellen.
Die Landesregierung unternehme größte Anstrengungen, um offene Stellen schnellstmöglich zu besetzen, sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). So hätten 2021 rund 500 Nachwuchskräfte an Verfahren zur Eignungsfeststellung teilgenommen, um in naher Zukunft die Aufgabe der Schulleitung zu übernehmen. Damit könnten Vakanzen erheblich reduziert werden. Zudem habe man den Spitzenkräften mehr Leitungszeit eingeräumt. Gibt es keinen Stellvertreter, übernimmt laut Ministerium ein anderes Mitglied der Schulleitung, ansonsten in der Regel der dienstälteste Lehrer. Ab dem 13. Monat eines ununterbrochenen Einspringens gebe es eine Zulage.
In der Pandemie sind die Anforderungen an die Schulleitungen nach Beobachtung der Lehrergewerkschaft VBE erheblich gewachsen. „Dabei war das System bereits auf Kante genäht“, kritisierte der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau. Vor Corona seien Schulleiter oft Hausmeister, Mangelverwalter, Verwaltungsfachkraft, Vertretungsreserve und Sanitäter in einer Person gewesen. „Heute übernehmen sie zusätzlich die Leitung von Testzentren und Nachverfolgungsbehörden und sind obendrein noch die Anlaufstelle für den ganzen Corona-Frust.“
Behlau sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Dieses Aufgabenpaket erledigen Schulleitungen in Hochphasen an sieben Tagen in der Woche, oft bis in die Nacht hinein.“ Nach einer Forsa-Umfrage vom November im VBE-Auftrag würden 39 Prozent der Schulleitungen ihren Beruf wahrscheinlich nicht oder auf gar keinen Fall weiterempfehlen - 2018 hatten das nur 14 Prozent angegeben. Die Motivation sinke deutlich, warnte Behlau. Die Politik dürfe ihnen nicht immer mehr Aufgaben aufbürden, ohne Entlastungen zu schaffen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte im November beim Deutschen Schulleiterkongress betont, Schulleitungen hätten mehr Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Anerkennung für die täglichen Leistungen „in normalen Zeiten und erst recht in der schwierigen Phase der Pandemie“ verdient. Viele Stellen seien dauerhaft unbesetzt, Bewerbungen fehlten. Manche Schulleitungen seien chronisch überlastet und ausgebrannt.
Der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann berichtete, das häufige Umstellen des Schulbetriebs in der Corona-Krise, das Organisieren digitaler Endgeräte und noch dazu viele bürokratische Hürden auf dem Weg zu finanziellen Mitteln gehörten zum Alltag. „Und als würde das nicht ausreichen, sind Schulleitungen immer wieder Opfer psychischer und physischer Gewalt, weil sie das an Corona-Maßnahmen umsetzen, was die Politik und Wissenschaft für erforderlich hält“, schilderte er auf dpa-Anfrage.
Beckmann zufolge sind Motivationsverlust und Jobmüdigkeit die Folgen. „Und das in einem Ausmaß, dass berechtigte Sorge besteht, dass mittel- und langfristig viele Schulleitungen die Reißleine ziehen und sich dieser Überlastung nicht mehr länger aussetzen.“ Schulleiter bräuchten eine Entlastung von Verwaltungstätigkeiten, bedarfsgerechte Leitungszeit und eine personelle Ausstattung mit Lehrkräften und multiprofessionelle Teams, die es ihnen ermögliche, die zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Beckmann betonte: „Dass Kernproblem ist, dass die Pandemie auf ein bereits geschwächtes Schulsystem traf.“
Dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands zufolge sind die Vakanzen in NRW besonders hoch. Es gebe keine bundesweiten Zahlen, nach Schätzungen sei von fünf Prozent auszugehen - also deutschlandweit rund 2000 unbesetzten Schulleitungsstellen, sagte Heinz-Peter Meidinger. Auch Sachsen-Anhalt sei deutlich betroffen.
Nicht selten würden Schulleitungen benachbarter Schulen mit einer Vertretung betraut. „Das ist besonders stressig, weil die zwischen zwei Schulen hin- und herpendeln müssen“, betonte Meidinger. Dennoch sei das „teilweise eine allgemeine Notfallregelung“ geworden. Meidinger forderte ein Maßnahmenbündel. Dazu gehörte langfristige Vorbereitung von künftigen Führungskräften auf ihre Aufgaben, eine deutliche bessere Bezahlung von Schulleitungsstellen und ein Ausbau der Leitungszeiten. Außerdem solle die Autonomie von Schulen gestärkt und der Handlungsspielraum ausgeweitet werden. „Auch das würde Schulleitung langfristig attraktiver machen.“
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