Double-Degree-Studium:In zwei Kulturen zu Hause

Double-Degree-Studium: Ein Studium mit „Zwillings-Abschluss“ bekommt man nicht geschenkt, man muss sich richtig reinhängen. Dafür ernten Absolventen sehr gute internationale Berufschancen.

Ein Studium mit „Zwillings-Abschluss“ bekommt man nicht geschenkt, man muss sich richtig reinhängen. Dafür ernten Absolventen sehr gute internationale Berufschancen.

(Foto: mauritius images)

Teilnehmer von Double-Degree-Studiengängen erwerben zwei Abschlüsse und machen sich mit einer anderen Gesellschaft vertraut. Alternativ bieten einige Hochschulen spezielle Kooperationsprogramme an.

Von Yvonne Simon

Das Ende eines Auslandssemesters bedeutet oft die Auflösung eines kleinen Kosmos. Gerade Erasmus-Studierende berichten häufig vom Leben in einer Art Parallelwelt. Sie lernen andere Austauschstudierende gleich am Anfang bei sogenannten "Welcome Days" der International Offices der jeweiligen Universitäten kennen, wohnen gemeinsam in WGs und Wohnheimen, belegen dieselben Kurse, feiern und reisen zusammen. Am letzten Tag verstreuen sich alle wieder in ihre Heimatländer. Was bleibt, sind meist Erinnerungen und Freundschaften fürs Leben. Aber authentische Erfahrungen an der Gasthochschule und Kontakte zu Einheimischen kommen - je nach Engagement des Einzelnen - oft zu kurz.

Probleme mit dem Anrechnen im Ausland erbrachter Leistungen gibt's hier nicht

Es muss aber nicht so sein. Es gibt auch Arten des Auslandsaufenthalts, bei denen Studierende automatisch stärker in Gastland und Gasthochschule integriert sind. Etwa dann, wenn Studiengänge in Deutschland und im Ausland ihre Lehrpläne aufeinander abstimmen und der Aufenthalt an der Partnerhochschule fixer Bestandteil des Studiums ist. "Unsere Kooperationen sind deutlich enger als beispielsweise eine Erasmus-Partnerschaft", erklärt Professor Wolfgang Grillitsch. Er ist Studiendekan des International Master of Interior-Architectural Design (IMIAD) an der Hochschule für Technik Stuttgart. Dieser Studiengang ist ein Musterbeispiel für enge, internationale Vernetzung.

Dabei absolvieren die angehenden Innenarchitekten das zweite Semester obligatorisch an einer Partnerhochschule in Istanbul, im US-amerikanischen Cincinnati, in Ahmedabad in Indien oder in Lugano in der italienischsprachigen Schweiz. Die Anzahl an Plätzen ist stark begrenzt. Wer in welches Land geht, machen die pro Jahrgang circa 20 Studierenden unter sich aus.

"Mir war von Anfang an klar, dass ich in die USA möchte", erzählt Christian Schweitzer, der den Master im Juli 2019 abschloss. Im Bachelorstudium hatte er bereits ein Auslandssemester in Shanghai absolviert - die Vereinigten Staaten reizten ihn als Gegenpol im Westen. Das internationale Profil war für ihn das Hauptargument für den IMIAD: "Bei anderen Studiengängen habe ich gemerkt, dass ein Auslandssemester nicht vorgesehen oder komplizierter zu organisieren war." Dabei, so Schweitzer, legen Arbeitgeber im Bereich Innenarchitektur oft Wert auf internationale Erfahrung.

Um sich zu bewerben, musste er ein Portfolio einreichen und im Eignungsgespräch überzeugen. Englischkenntnisse wurden zwar abgefragt, spielten aber keine wesentliche Rolle. Wer Bedarf hat, kann in Stuttgart Sprachkurse belegen, bevor es ins Ausland geht. Schweitzer empfand das Studium auf Englisch zwar als "eine Challenge, aber es war machbar". In Cincinnati lebte er in einer WG mit Amerikanern und studierte den Partner-Master am DAAP College of Design. Die Studierenden arbeiten überwiegend praxisorientiert und verbringen viel Zeit in den Studios an den Hochschulen. "Bei den Gruppenprojekten haben die Professoren immer darauf geachtet, dass wir Deutsche nicht unter uns arbeiten", erzählt der 30-Jährige.

Die Inhalte seines Auslandsstudiums waren teilweise vorstrukturiert: Welche Module er absolvieren musste, war vorgegeben, die einzelnen Kurse durfte er aber nach Interesse wählen. Absprachen mit der Heimatinstitution waren nicht nötig, Schweitzer musste sich keine Sorgen über die Anrechnung seiner Kurse machen. "Ich vertraue meinen Kollegen vor Ort, dass sie passende Kurse anbieten", sagt Studiendekan Grillitsch.

Zur Integration in dem Gastland trägt bei, dass die amerikanischen Studenten, die den IMIAD absolvieren, ihrerseits schon im ersten Semester ins Ausland gehen. So konnte Schweitzer zu einigen künftigen Kommilitonen bereits in Deutschland Kontakte knüpfen. In den USA gewannen die Freundschaften an Tiefe, und der Stuttgarter verbrachte zum Beispiel Ostern im Kreise der Familie eines Kommilitonen. Im Anschluss an seinen Auslandsaufenthalt lernte er dann auch die IMIAD-Studierenden aller anderen Länder kennen, denn zu Beginn des dritten Semesters kommen alle zu einem zweiwöchigen Workshop zusammen, der abwechselnd an den Hochschulstandorten stattfindet.

Auch die Dozenten der beteiligten Institutionen treffen dabei zusammen. Genau wie bei den Studierenden entwickeln sich unter den Lehrenden Freundschaften. "Der Workshop ist wie ein Familientreffen", schwärmt Grillitsch, "dadurch, dass die Dozenten ihre Begeisterung weitergeben, ist das Netzwerk auch für die Studenten glaubwürdiger." Schweitzer bestätigt das: "Mich hat der Elan im Studium fasziniert. Alle studieren das Gleiche, aber an verschiedenen Ecken der Welt."

Hochwertige Angebote dieser Sorte aufzuspüren, kann Detektivarbeit sein

Schweitzer kannte den IMIAD bereits durch sein Bachelor-Studium, das er auch in Stuttgart absolviert hatte. Fächerübergreifend sind Studiengänge mit solch engen Partnerschaften und obligatorischem Auslandsaufenthalt für Interessenten allerdings nicht so leicht zu finden. Es gibt keine Listen oder Datenbanken, die diese Angebote gesondert aufführen. Eine Anlaufstelle ist die Website Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz. Dort kann man die Studiengänge unter anderem nach Fachgebieten filtern und als Studienform einen internationalen Studiengang wählen. Doch dann heißt es, sich durch die Ergebnisse zu wühlen und individuell zu prüfen, worin die Internationalität des Programms besteht - teilweise nur darin, dass in englischer Sprache unterrichtet wird. Anhaltspunkte liefern auch die Förderprogramme für Studiengänge mit integriertem Auslandsaufenthalt des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD). "Man muss viel eigenständig recherchieren, um den wirklich passenden Studiengang zu finden", sagt Tabea Kaiser, Leiterin des Referats Internationalisierung in der Lehre beim DAAD. Deutlich einfacher gestaltet sich die Suche nach sogenannten Double Degrees und Joint Degrees, bei denen ein Auslandsaufenthalt - häufig zwei Semester - ebenfalls obligatorisch ist und bei denen die Kooperationspartner ihre Curricula abstimmen oder gemeinsam entwickeln. Am Ende erhalten Studierende im Falle eines Double Degrees sowohl den Abschluss der deutschen als auch der Hochschule im Ausland; bei einem Joint Degree stellen die Partnerhochschulen eine gemeinsame Urkunde aus. Diese Formen des fest integrierten Auslandsstudiums kann man beim Hochschulkompass explizit herausfiltern.

Dadurch gibt es zahlreiche Daten zu den Angeboten - aktuell weist die Plattform circa 750 Studiengänge aus -, bei denen ein Doppelabschluss möglich ist. Darunter sind gut doppelt so viele Master- wie Bachelorprogramme. Der DAAD fördert Double Degrees bereits seit mehr als 20 Jahren. Die Anzahl der Förderanträge sei über viele Jahre gestiegen, in den vergangenen Jahren aber stabil geblieben. "Meiner Wahrnehmung nach gab es um das Jahr 2000 einen Trend, doch zuletzt stagnierten die Angebote von Double Degrees", erklärt auch Professor Peter Thuy, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Privaten Hochschulen. Zum einen sei die Nachfrage seitens der Studierenden nicht ausreichend vorhanden - vielen sei der Auslandsaufenthalt zu lang -, und außerdem seien die Partnerschaften für die beteiligten Hochschulen aufwendig zu organisieren.

"Viele Studierende befürchten, dass ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichen", schätzt Tabea Kaiser. "Und dass sie die Kurse im Ausland dringend bestehen müssen, um das Studium erfolgreich mit einem Doppelabschluss abzuschließen, schreckt viele Interessenten möglicherweise ab." Tatsächlich benötige man am Anfang viel Fleiß, um durch das anspruchsvolle Studium zu kommen, berichtet Sophia Schnermann. Die 22-Jährige befindet sich im siebten Semester des Bachelor-Studiengangs European Business Programme (EBP) an der Fachhochschule Münster, der 1981 entstand und damit zu den ersten Double Degrees in Deutschland überhaupt zählt. Schnermann entschied sich für den Bachelor, weil sie Interesse sowohl an wirtschaftlichen Themen als auch an Fremdsprachen hatte. Ihr zweites Studienjahr hat sie an der École de Management de Normandie in Le Havre verbracht, einer privaten Managementschule, die eigentlich hohe Studiengebühren verlangt, welche für Schnermann durch die Hochschulkooperation wegfielen. Zur Finanzierung des Auslandsaufenthalts konnte sie Wohngeld sowie ein Erasmus-Stipendium beantragen. Im Gegensatz zum klassischen Erasmus-Semester musste Schnermann allerdings die Kurse des kooperierenden Studiengangs Programme Grande École belegen und bestehen, um den zweiten Abschluss zu erhalten.

In Frankreich besuchte sie unter anderem Vorlesungen aus den Bereichen Recht und Marketing. "Da braucht man Vokabeln, die man sonst nicht im Alltag nutzt", berichtet die Studentin. Geholfen hat ihr etwa das Handy-Wörterbuch. "Es ist viel Learning by Doing. Man muss sich reinhängen, aber es zahlt sich aus", so Schnermann. Es sei schön zu sehen, wie man Fortschritte mache und sich mit der Zeit immer leichter tue. Im ersten Jahr in Münster bereitete sie sich außerdem intensiv auf den Auslandsaufenthalt vor, beispielsweise durch Kurse in Wirtschaftsfranzösisch.

Neben der Managementschule in Le Havre sind weitere Hochschulen in Frankreich, Großbritannien, Finnland, Spanien sowie seit drei Jahren auch das Land China in den Studiengang EBP eingebunden. Wohin es gehen soll, legen die Teilnehmer bereits bei ihrer Bewerbung für den Bachelor fest. Zum Eignungsverfahren gehören eine schriftliche Prüfung in Mathe und Logik sowie in der gewählten Fremdsprache - in der Regel die Amtssprache des Gastlandes - und ein Auswahlgespräch. In China und Finnland wird allerdings auf Englisch studiert. Die Anzahl der Studierenden, so Studiengangsleiter Professor Ulrich Balz, sei stabil bis leicht rückläufig. Doch das Interesse ist nach wie vor hoch. Zurzeit kommen, genau wie beim IMIAD, drei bis vier Bewerber auf einen Studienplatz.

Vom internationalen Netzwerk ihres Studiengangs hat Sophia Schnermann auch nach ihrem Auslandsjahr in Le Havre profitiert. Über den Kontakt zu einem Absolventen des EBP konnte sie ihr verpflichtendes Praxissemester in einem Unternehmen in der chinesischen Stadt Chengdu absolvieren. Anschließend blieb sie ein halbes Jahr länger dort, um an der Universität weiter Chinesisch zu lernen. Über das Netzwerk des IMIAD-Studiums bekam auch Christian Schweitzer sein Auslandspraktikum: Seine Hochschule in Cincinnati verfügt über zahlreiche Kontakte zu Innenarchitekturbüros in den USA - und so arbeitete er direkt nach seinem Auslandssemester für einige Monate in Manhattan.

Dank der Hochschul-Netzwerke ist es einfach, Praktika und feste Stellen zu finden

Für Schweitzer war das Studium ein Türöffner. Der Innenarchitekt erhielt sofort nach dem Studium ein Angebot in einem Büro, in dem er bereits zwischen Bachelor und Master tätig war. Dort betreut er Projekte in Orlando und in Singapur. Durch seine Auslandsaufenthalte in China und den USA war er der passende Kandidat für den Job. Viele seiner Kommilitonen hätten ebenfalls problemlos Stellen gefunden, berichtet er.

Sophia Schnermann steht kurz vor ihrem Abschluss. "Ich habe viel mehr erlebt, als ich vorher erwartet hatte", erzählt die EBP-Studentin, die sich zurzeit nach Masterstudiengängen umsieht. Sie kann es sich vorstellen, später im Ausland zu arbeiten und nach China zurückzugehen. Durch die Auslandsaufenthalte werde man offener für internationales Arbeiten. Dass sie sich im Ausland integrieren und behaupten kann, hat sie ja bereits bewiesen.

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