Doktorarbeiten:Fehldiagnose Plagiatitis

Karl-Theodor zu Guttenberg

Schlaglicht auf unwissenschaftlichen Methoden in der Wissenschaft: Mit dem früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg begann die Geschichte prominenter Plagiate.

(Foto: dpa)

Doktoranden stehen seit dem Plagiatsskandal Guttenberg unter Generalverdacht. Promotionsverträge und Plagiatssoftwares sollen die Unis vor Betrug schützen. Doch die Panikmache ist unbegründet - es gibt kein Virus, das zum Sittenverfall bei Doktorarbeiten führt.

Ein Gastbeitrag von Bernhard Blanke

Es geht eine Krankheit um in der Wissenschaft, vor allem in den "weichen" Gesellschaftswissenschaften. Das Virus, das die aktuelle Erkrankung hervorruft, ist ein bestimmter politischer Verdacht, dass sich einige Mitglieder der Parteienelite - oder auch externe, beruflich erfolgsorientierte, Promovenden - den akademischen Doktorgrad durch mehr oder weniger deutliche Plagiate erschleichen. Nennen wir die Krankheit Plagiatitis. Und diese ist insoweit ansteckend, als sich der noch nicht offen betroffene Teil der Wissenschaft vornehmlich wegen der Politiknähe der wenigen prominenten und durchaus vereinzelten Fälle empört abgrenzt.

Diese Fälle eignen sich hervorragend zur medialen Skandalisierung, bei welcher der politische Diskurs die Wissenschaft überrumpelt und eine Grenze überschritten wird: Die Selbstbestimmung der Wissenschaft wird durch den Generalverdacht gefährdet.

Um sich davor zu schützen, behaupten viele wissenschaftliche Institutionen entweder, bei ihnen käme so etwas nicht vor, oder sie treffen Vorkehrungen, um eine Infektion schnell einzudämmen.

"Promotionsverträge" werden abgeschlossen

So ist universitäre Prävention in Mode: "Promotionsverträge" werden abgeschlossen, um sowohl Kandidaten als auch Betreuer zu einem sorgfältigen Umgang mit wissenschaftlichen Arbeitsweisen zu verpflichten, als würden sie das nicht aus eigenem Antrieb ohnehin tun. Mancherorts wird eine Meldepflicht für Plagiate eingeführt, die noch vor der Prüfung entdeckt werden sollen, wofür den Professoren vielerorts eine Plagiatssoftware zur Verfügung gestellt wird. Es werden sogar sogenannte Selbstplagiate identifiziert, bei denen ein Wissenschaftler aus eigenen Arbeiten nicht korrekt zitiert haben soll, womit die Originalität der jeweils letzten Arbeit fraglich sei - als gehöre die Wiederholung nicht zum normalen wissenschaftlichen Marketing.

Warum wird in der Wissenschaft, anders als in der Wirtschaft, das Fehlverhalten Einzelner zu einer Krise des Ganzen?

Gewiss stehen die Reputation und das Vertrauen ins Wissenschaftssystem infrage. Von der Glaubwürdigkeit hängt auch die öffentliche Finanzierung ab, auch weil die Wissenschaft einen Wahrheitsanspruch transportiert, von dem möglicherweise das Überleben anderer Systeme abzuhängen scheint.

Aber ist diese eigenartige Panik gerechtfertigt? Soll das Wissenschaftssystem das von außen herangetragene Misstrauen internalisieren und dadurch seine wesentliche Ressource, das gegenseitige Vertrauen zwischen Lehrern und Schülern sowie unter Peers, opfern? Und: Stimmt es, dass "früher" (die entdeckten Fälle sind schon älter) generell "schlampiger" mit den wissenschaftlichen Standards umgegangen wurde?

Die Maßstäbe haben sich nicht geändert

Dem ist in dieser Verallgemeinerung zu widersprechen, auch der Meinung, es handele sich vielleicht um ein Problem hochschulpolitischer Richtungen. Wer im Wissenschaftssystem groß geworden ist, weiß, dass die Maßstäbe sich schon aus Selbsterhaltungsgründen grundsätzlich nicht geändert haben (konnten). Die Fußnotenmenge war früher erheblich größer, zumal die amerikanische Zitierweise noch nicht üblich war. In jeder Fußnote mussten der Buchtitel oder die Quelle (wie heute noch bei den Juristen) und die Stelle exakt angeben und öfter wiederholt werden.

Es gab Dissertationen, bei denen Fußnoten und Literaturliste einen größeren Umfang einnahmen als der eigentliche Text. In der universitären Reformzeit der 1970er wurde darin eine andere Krankheit entdeckt: die Zitatitis. Denn teilweise waren die Zitierzwänge durchaus Ausdruck einer autoritären, dogmatischen Wissenschaftsstruktur. Wehe dem, der wagte, innovativ zu sein und entweder einen eigenen Gedanken ohne Berufung auf "die Alten" zu formulieren, oder sich gar auf einen bislang unentdeckten Autor berief.

Das Schicksal großer Gedanken ist ihre Veralltäglichung

In der Einführung der verkürzenden amerikanischen Zitierweise (Nachname Jahr: Seite), welche die Anzahl der Fußnoten reduzieren half, steckte dann auch der Gedanke, dass die dogmatische Denkweise Ballast sei, und es reiche, wenn der Autor deutlich macht, dass er auf den Schultern von anderen steht. Das verführte durchaus zum Bluff, weil die Anhäufung von Werken mit nur gelegentlichen detaillierten Hinweisen (wie etwa Marx 1952, S. 243 ff.; Adorno 1968, S. 56 f.; etc.) kein echter Lesenachweis ist. Im Zeitalter der digitalen Bücher kann auch ein Zufallsgenerator à la Google mit dem Suchbegriff "Entfremdung" solch ein korrektes Zitat hervorzaubern.

Voraussetzung für die wissenschaftliche Eigenleistung ist, dass wörtliche oder schwach umformulierte Passagen unbedingt belegt werden müssen. Auf allgemein bekannte und vielfach bestätigte Gedanken jedoch hinzuweisen, ohne sie erneut "abzuleiten" - um nicht zu sagen wiederzukäuen - ist wissenschaftlich dann nicht bedenklich, wenn sie erkennbar fortgeführt und erweitert, gar erneuert werden. Niemand wird verlangen, dass beispielsweise zum Standardwissen gehörende Merkmale von Bürokratie "nach Max Weber" in jedem Fall aus seinem Werk mit (dazu notwendigen vielfältigen) Seitenzahlen belegt werden müssen.

Das Schicksal großer Gedanken ist eben ihre Veralltäglichung (Max Weber) - dass sie Teil des Weltwissens oder zu geflügelten Worten werden.

Wenn die falsche Meinung herrscht

In voller Breite immer wieder zu zitieren kann im Übrigen dazu führen, dass sich Falsches über Jahre hinweg zu einer "herrschenden Meinung" verfestigt. Da hilft oft nur der Mut zur Brechstange. Die jeweilige Neuerung muss aber ihrerseits wissenschaftlich nachgewiesen und offen benannt werden, um den Betreuern zu ermöglichen, sie zu erkennen. Es ist eine Zumutung, jedem Zitat hinterherzukriechen. Eine Dissertation soll einen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten und nicht nach dem Motto geschrieben werden "alles ist schon gesagt, aber nicht von allen" (Karl Valentin).

Das richtige Maß zu finden, erfordert eine Balance zwischen Quantität und Qualität. Diese wird durch den Druck auf die Wissenschaftler erschwert, in einem rasant zunehmenden finanziellen Wettbewerb ihre Förderungswürdigkeit auch durch die Menge an Dissertationen zu beweisen, die sie betreuen. Damit steigt nun die Fehlerquote, weil sich wissenschaftsfremde Kriterien in den akademischen Betrieb einschleichen.

Die anonyme Plagiatsjagd jedenfalls führt auf die falsche Spur.

Bernhard Blanke, 72, ist emeritierter Professor für Politische Wissenschaft und Direktor des Instituts für Staatswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover.

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