Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Bildung statt Profilbildung

Lesezeit: 3 min

Die EU hat eine neue Verordnung zum Datenschutz erlassen. Wer sie ernst nimmt, müsste die Schulen jetzt vom Netz nehmen.

Gastbeitrag von Ralf Lankau

Am 25. Mai, an diesem Freitag, tritt die Europäische Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) in Kraft. Das wichtigste Ziel dieser Verordnung ist der Schutz personenbezogener Daten - aller Informationen zu einer konkreten Person, auch ihr Surfverhalten im Netz. Es geht um Transparenz: Welche Daten werden gespeichert, für welchen Zweck und wie lange? Es geht um Datensparsamkeit, nur notwendige Daten dürfen gespeichert werden, und um die Auskunftspflicht der Datensammler. Neu ist der Rechtsanspruch, falsche Daten ändern und verbindlich löschen zu lassen.

Ein besonderer Schutz gilt für Daten von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren. Onlinedienste dürfen personenbezogene Daten dieser Altersgruppe zukünftig nur noch speichern, wenn vorher die Eltern zustimmen. Schulen müssen das Einverständnis der Eltern einholen, bevor sie netzfähige Geräte wie Tablets oder Smartphones einsetzen dürfen.

Wozu der ganze Aufwand gut ist? Im Web werden Daten immer in zwei Richtungen gesendet. Nutzer rufen dort Daten ab, im Gegenzug werden alle Aktionen der Nutzer in Serverfarmen gespeichert. Diese Rechnerwolken (Cloud Computing) sind ein "permanenter Rückkanal", jeder Mausklick, jeder Tastendruck und jedes Wischen auf dem Touchscreen wird protokolliert. Die Masse an Daten wird mit Hilfe komplexer Analysetools ausgewertet. Bei diesem Big Data Analyzing entstehen immer genauere Nutzer- und Persönlichkeitsprofile, die Basis für "personalisierte" Angebote. Nicht anders funktioniert es bei Lernsoftware und Schulclouds, hier spricht man von "Learning Analytics".

In Deutschland entwickelt das Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Kooperation mit dem nationalen Excellence-Schulnetzwerk MINT-EC und gefördert vom Wissenschaftsministerium (BMBF) eine bundesweite Schulcloud. Im Dezember 2017 wurde ein Demozugang für das Pilotprojekt freigeschaltet. HPI-Chef Christoph Meinel schrieb in der FAZ zu den Vorteilen der Schulcloud: "Mit den Mitteln der Learning Analytics können die digitalen Lernangebote auf der Basis des Nutzerverhaltens gezielt weiterentwickelt und Lernen individueller und erfolgreicher gestaltet werden."

Aus der Schulcloud soll, so seine Vision, sogar eine Bildungscloud werden, in der registrierte Nutzer ein Lernprofil anlegen können, "das idealerweise ab der Schulzeit alle relevanten Ausbildungsschritte registriert und den Status der Fortbildung nachvollzieht". Dieses Lernprofil in der Bildungscloud, so Meinel, "würde so zum persönlichen Lebenslauf werden, der über die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse punktgenaue Auskunft erteilt und so die Bedeutung von weniger aussagekräftigen aggregierten Bewertungssystemen (z. B. Abiturnoten) abnimmt." Das ist die Vision eines Informatikers.

Aber das Speichern so individueller Daten wie dem Lernverhalten von Kindern und Jugendlichen widerspricht sowohl dem Gebot der Datensparsamkeit als auch der Pflicht, nicht benötigte, personenbezogene Daten umgehend zu löschen. Nicht reflektiert wird die Gefahr, dass datenbasierte Lernprofile zum Beispiel von Arbeitgebern eingefordert werden könnten - wie schon heute die "freiwillige" Übergabe von Passwörtern für Social-Media-Accounts bei Bewerbungen in den USA. Nicht reflektiert wird auch, dass sich Menschen im Laufe ihres Lebens ändern. Wer Erwachsene anhand ihres algorithmisch protokollierten Lernverhaltens als Kinder oder Pubertierende beurteilt, verbaut womöglich ganze Bildungs- und Erwerbsbiografien. Ein Datensatz ist dann plötzlich wichtiger als die Person.

Unterricht und Schule müssen aber vom Menschen her gedacht werden. Aufgabe und Ziel von Bildungseinrichtungen ist nicht, Lernprofile zu erstellen oder Profile von Ausbildungsstationen zusammenzuführen, sondern Kinder und Jugendliche zu Selbständigkeit, Eigenverantwortung und sozialem Miteinander zu führen. Schulen sind soziale Räume, genauer: Schutzräume, in denen Kinder nicht vermessen werden dürfen, sondern sich entwickeln können sollen.

Gerade im derzeitigen Digitalhype ist die Besinnung auf den pädagogischen und fachlichen Auftrag von Schulen wichtig. Statt zu fragen, was man mit neuen digitalen Geräten und Diensten im Unterricht alles anstellen kann, muss man fragen: Was sollen Schülerinnen und Schüler am Rechner und im Netz denn überhaupt lernen? Wer die DSGVO ernst nimmt, sollte die Schulen jetzt vom Netz nehmen - so lange, bis für den Einsatz von Rechnern und Internet an Schulen datenschutzrechtlich gültige Lösungen zur Verfügung stehen. Und so lange, bis valide pädagogische Konzepte für den Gebrauch der neuen Medientechnik existieren. Es wird Zeit, Unterricht und Lernen wieder vom Menschen und von Lernprozessen her zu denken. Nicht die Technik entscheidet über die Qualität der Schule, sondern qualifizierte Lehrkräfte und das soziale Miteinander. Offline.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2018
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