Digitalisierung an Schulen:Google drängt in die Klassenzimmer

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Im Unterricht nutzen Lehrer und Schüler das Angebot des US-Konzerns. (Foto: REUTERS)

Google liefert Schulen in den USA kostenlose Software und günstige Laptops. Was nach Bildungsinitiative klingt, weckt Zweifel.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Eine coole Technikfirma? Keine Sekunde muss Kyle Lockhart nachdenken. "Google!", schießt es aus dem Elfjährigen heraus, der diesen Sommer die fünfte Klasse an einer New Yorker Grundschule abschließen wird. Noch andere? "Ähh, Apple. Ach ja, und Samsung." Und Microsoft? "Hmmm, sind das die mit Windows?"

Die Google-Bosse im fernen Silicon Valley hätten ihre helle Freude am sommersprossigen Kyle. Der junge Mann, dessen tatsächlicher Name auf Wunsch der Eltern nicht in der Zeitung erscheint, ist der lebende Beweis, dass ihre Strategie aufgeht: Der Konzern beliefert Amerikas Schulen mit ultragünstiger Hard- und Software, um jungen Menschen neue Lernhorizonte zu eröffnen. Sagt Google. Um sich die Kunden von morgen heranzuziehen, sagen Kritiker. Von einer "Googlifizierung" der Bildung ist bereits die Rede, die bald auch Europa erfassen könnte. So oder so: Es ist eine Entwicklung, die viele Chancen eröffnet - und noch mehr Fragen aufwirft.

Kyles Lehrerin Laurie Basloe macht sich keine Illusionen, was hinter dem Großangriff der Kalifornier auf Amerikas Klassenzimmer steckt: "Money, money, money", sagt sie und grinst. Ihre Begeisterung trüben kann die Erkenntnis nicht. "Was ich wirklich liebe an diesen Programmen, ist, dass die Kinder und ich in der Schule wie zu Hause jederzeit an Projekten arbeiten und diese spielend leicht miteinander teilen können", sagt Basloe, die vor allem die Textverarbeitung Docs und die Cloud-Speichersoftware Drive nutzt. Im kommenden Schuljahr will sie auch bei der Hardware umsatteln: Die Macbooks von Apple fliegen raus, stattdessen erhalten die Kinder zehn neue Google-Chromebooks.

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Der Konzern tut seit Jahren einiges, um gerade Lehrer für sich zu gewinnen. Sie werden gezielt eingeladen, an der Entwicklung lernunterstützender Programme mitzuarbeiten und sich in sogenannten Google-Erziehergruppen untereinander und mit dem Konzern austauschen - online und auf Partys. Allein in den USA gibt es mehr als 60 solcher Gruppen, auch in Deutschland entsteht gerade die erste.

Das Ergebnis sind Tausende loyale Anhänger, die dem Unternehmen gegenüber Schulbehörden und kritischen Eltern treu zur Seite stehen und den Ruhm der Produkte kostenlos per Mundpropaganda mehren. Vor allem die Kombination aus Google-Laptops und dem Softwarepaket G Suite for Education lässt Lehrerherzen offenkundig höherschlagen. Über das Programm Classroom geben die Pädagogen Hausaufgaben und verteilen Noten. Die Kinder schreiben Texte mit dem Programm Docs, erstellen Präsentationen mit Slides und teilen Dateien mit Drive. Kommuniziert wird über die Programme Gmail und Thread, für Internetrecherchen wird gegoogelt, und bei der Klassenfahrtsplanung hilft die Navigationssoftware Maps. Es gibt Tausend Dinge zu tun in einer Schulklasse - und eine Firma, die alles regelt.

Chromebooks für ein Drittel des Ladenpreises

Auch die Schulbehörden sind vielerorts begeistert, denn sie sparen jede Menge Geld: Der Konzern gibt die G Suite, für die Firmen 50 Dollar pro Jahr und Mitarbeiter zahlen, umsonst an Schulen ab. Die von Drittherstellern gefertigten Chromebooks kosten gerade einmal ein Drittel des Ladenpreises. Google erhebt lediglich eine einmalige "Managementgebühr" von 30 Dollar.

Die Resultate der Charme- und Preisoffensive zeigen sich in den einschlägigen Statistiken: Während Microsoft nach Angaben der Beratungsgesellschaft Futuresource den weltweiten Markt für PC- und Laptop-Betriebssysteme unverändert dominiert, hat sich der Trend an US-Schulen dramatisch gedreht. Von 100 neu ausgelieferten Laptops und Tablets wurden 2016 nur 22 mit Windows betrieben, Apple stürzte binnen 24 Monaten von 34 auf 19 Prozent ab. Der Google-Marktanteil dagegen explodierte seit 2012 von knapp einem auf 58 Prozent. Mittlerweile kommen in den USA über 30 Millionen Kinder im Klassenzimmer oder bei den Hausaufgaben mit einem Programm aus dem Google-Bildungspaket in Berührung - mehr als jeder zweite Schüler zwischen fünf und 18 Jahren.

Experten sind angesichts der milden Gaben aus Mountain View hin- und hergerissen. "Zunächst einmal ist es wunderbar, wenn Firmen Schulen großzügige Rabatte gewähren", sagt Bill Fitzgerald, Direktor Datenschutz bei der gemeinnützigen Organisation Common Sense, die Lehrer, Eltern und Schüler beim Einsatz von Medien berät. Und auch Douglas Levin, der mit seiner Firma Edtech Strategies Regierungen und Kultusbehörden bei technologischen Entscheidungen unterstützt, verweist darauf, dass viele Schulen ohne die Unterstützung durch Google kaum die Mittel hätten, sich mit zeitgemäßer Technik auszurüsten.

Zugleich beschleicht beide Fachleute jedoch ein ungutes Gefühl, wenn sie die Beteuerungen des Konzerns hören, es gehe bei dem wirtschaftlichen Minusgeschäft nur um "einen gleichberechtigten Zugang aller Menschen zu Information". "Wenn jemand seine Produkte dauerhaft unter den Herstellungskosten abgibt und Auskunft darüber verweigert, wie das wirtschaftlich funktioniert, ist Misstrauen angebracht", sagt Fitzgerald. Auch passten sich Kinder, die "permanent in einer technologischen Monokultur lernen", dieser Monokultur irgendwann an. Sie verlören so den Blick für andere Anbieter und Möglichkeiten. Levin wird sogar noch deutlicher: "Es besteht kein Zweifel, welche Strategie Google mit dem Angebot verfolgt: Schüler und Lehrer sollen an die Plattformen und Programme des Unternehmens gewöhnt und gebunden werden." Ein Vorwurf, den Google sogar bestätigt, wenn auch indirekt: "Kinder werden erwachsen und gehen zur Universität, wo wir ihre weitere Ausbildung ebenfalls unterstützen", sagt ein Firmensprecher. "Sie brauchen sich nicht mit neuen Systemen herumschlagen, sondern können einfach studieren und lernen."

Das Schulprogramm als Einstiegsdroge also? Google ist längst nicht der einzige Konzern, dem vorgeworfen wird, die Naivität und Begeisterungsfähigkeit von Kindern gezielt zu nutzen, um die Käufer von morgen zu formen. Doch es gibt eine wichtige Besonderheit: "Google ist in allererster Linie ein Werbeunternehmen - 86 Prozent aller Einnahmen stammen aus dem Werbegeschäft", sagt Berater Levin. "Wir haben also allen Grund zur Annahme, dass auch der Ausflug auf den Bildungsmarkt dem Ausbau des Kerngeschäfts dient."

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Der Verdacht: Hinter dem vermeintlichen Altruismus der Firma steckt in Wahrheit eine gezielte Schnüffelattacke. Während Kunden in der Vergangenheit erst gewogen und vermessen wurden, wenn sie als Jugendliche oder junge Erwachsene ein privates Nutzerkonto eröffneten, startet dieser Prozess heute schon im Grundschulalter - lange bevor die Kinder zum ersten Mal selbst auf einen "Kauf"-Button klicken. Für ein Unternehmen, das die Werbewirtschaft mit der Botschaft betört, seine Nutzer exakt zu kennen, ist das von unbezahlbarem Nutzen. "Es wäre sehr begrüßenswert, wenn Google endlich genau sagen würde, welche Schüler-Daten man sammelt, was damit passiert und wie lange sie gespeichert werden", sagt Fitzgerald. "Wir wüssten auch gerne, welche Informationen Google aus dem Schülerkonto überträgt, wenn ein Jugendlicher seinen ersten privaten Account eröffnet."

Google räumt ein, Schülerdaten zu sammeln, sagt aber, diese würden nur zur Verbesserung der Bildungssoftware genutzt. Auch würden keine personenbezogenen Informationen gespeichert - wie überhaupt das Geschäft mit personalisierten Daten für den Konzern längst nicht so bedeutend sei, wie immer behauptet werde. Zudem habe man alle einschlägigen Selbstverpflichtungen zum Schutz der Privatsphäre von Schülern unterschrieben. Es gehe deshalb weniger um die Profile der Kinder als darum, dafür zu sorgen, "dass die nächste Generation nicht nur Konsument, sondern zugleich auch Schöpfer von Technologie wird". Auch könnten Kunden - alte wie junge - das Sammeln persönlicher Daten weitgehend unterbinden, indem sie in ihrem Konto unter dem Punkt "Einstellungen" die richtigen Häkchen setzen. Nur: Kaum einer kennt diese Möglichkeit, und Google tut aus nachvollziehbaren Gründen wenig, um den Missstand zu beheben.

Experten wie Levin nehmen die Aussagen zur Kenntnis, verweisen aber auch auf "die Geschichte fragwürdigen Verhaltens", die Google mit sich herumschleppe. So hatte das Unternehmen im vergangenen Jahr auf Anfrage eines Senators einräumen müssen, dass es zeitweise sehr wohl personalisierte Schülerdaten gesammelt hatte.

Doch so wichtig die wirtschaftlichen, technologischen und datenschutzrechtlichen Aspekte auch sind - die "Googlifizierung" des Klassenzimmers wirft noch eine ganz andere, eher philosophische Frage auf: Worin genau sollen Schulen Kinder im Informationszeitalter eigentlich unterrichten? Sollen sie weiterhin lehren, wer Pythagoras war und wie sich dessen berühmter Satz mathematisch beweisen lässt? Oder ist es, wie manche Google-Manager empfehlen, sinnvoller, vor allem Technologieunterricht zu erteilen? Schließlich lässt sich heute mit wenigen Mausklicks klären, wie lang die Diagonale eines Rechtecks ist. Kyle Lockhart, der fröhliche Fünftklässler, müsste nicht lange überlegen, welche der beiden Varianten er für attraktiver hielte - ihn haben die Technologiepäpste aus dem Silicon Valley längst für sich gewonnen: "Google ist einfach superpraktisch!"

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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