Digitale Schule:Wo bleiben die digitalen Schulbücher?

Digitale Schule: Deutsche Kinder schleppen immer noch viele Kilo Schulbücher in ihrem Ranzen herum - dabei könnte es auch leichter gehen.

Deutsche Kinder schleppen immer noch viele Kilo Schulbücher in ihrem Ranzen herum - dabei könnte es auch leichter gehen.

(Foto: imago)

Überall triumphiert die Digitalisierung, nur nicht an den deutschen Schulen. Fürs E-Learning fehlt es sogar an Steckdosen.

Von Sophie Burfeind

Eltern schauen ihren Kindern nur ungern dabei zu, wenn sie den Ranzen für den nächsten Schultag packen. Ein ganzer Berg von Büchern, der irgendwie in den Rucksack gestopft werden soll - ist das nicht etwas viel für einen zarten Kinderrücken? Und nicht nur überängstliche Eltern fragen sich, wieso ihre Kinder überhaupt noch so viel schleppen müssen, wenn es doch sonst schon fast alle Bücher und Nachschlagewerke digital gibt. Nur in den Schulen nicht. Da, wo man die Bücher täglich braucht. Wo also bleiben die digitalen Schulbücher?

Gibt es sie schon? Oder doch nicht?

Ein Problem ist da sicherlich, dass einige sagen, es gibt sie schon, und andere das Gegenteil behaupten. Dass es digitale Schulbücher schon gebe, das sehen die großen Schulbuchverlage so. Tatsächlich bieten viele seit einigen Jahren an, dass beim Kauf des gedruckten Buches auch eine PDF-Version desselben genutzt werden kann. Manchmal beinhaltet sie zusätzlich interaktive Übungen. Außerdem gibt es Plattformen wie "Scook", auf denen diverse Verlage digitales Lernmaterial anbieten.

Nur genutzt werden die Angebote kaum, sagen die Verlage. Nur wenige Schulen haben zudem ein eigenes Wlan-Netz, noch weniger Schulen besitzen Laptops oder Tablets für alle Schüler. Auch an noch banaleren Dingen wie genügend Steckdosen in den Klassenzimmern mangelt es. Viele Schulen sind derzeit also rein technisch gar nicht in der Lage, aufwendige digitale Angebote anzunehmen. Das hat zuletzt auch die Pisa-Studie bestätigt: In Sachen Computerausstattung liegt Deutschland unter 34 OECD-Ländern an 28. Stelle - auf einer Höhe mit Rumänien, Chile und Israel. Während sich an deutschen Schulen vier Neuntklässler einen Rechner teilen müssen, gibt es in Großbritannien, Norwegen und Estland für fast jeden Jugendlichen einen Computer.

Ein gutes digitales Schulbuch muss mehr sein als ein PDF-Format

Dass es vor allem eine Definitionsfrage ist, was mit einem digitalen Schulbuch gemeint ist, merkt man, wenn man mit Medienpädagogen und Lehrern spricht. Viele sagen dann, es gebe noch keine digitalen Schulbücher - zumindest keine guten. Denn die müssten mehr sein als bloße Schulbücher im PDF-Format.

Auch Lernpsychologen wie Frank Fischer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München halten diese für wenig sinnvoll: Es sei schließlich erwiesen, dass digitale Medien nur dann das Lernen und den Unterricht verbesserten, wenn mit ihnen ein Mehrwert erzielt wird; wenn sie mehr leisten als das klassische Schulbuch. Und genau das ist ja das eigentliche Ziel des Einsatzes digitaler Medien an Schulen: die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Dass Schüler nicht mehr schleppen müssten, ist nur ein angenehmer Nebeneffekt.

Was muss ein gutes digitales Schulbuch leisten können?

Im Gegensatz zum herkömmlichen Schulbuch müssten gute digitale Schulbücher einen individuelleren Unterricht ermöglichen, sagt Wolfgang Vaupel. Er leitet die Medienberatung in Nordrhein-Westfalen, die Schulen bei der Verwendung digitaler Medien betreut. Als Beispiel nimmt er eine Klasse mit 30 Schülern, in der alle mit dem gleichen Buch und den gleichen Aufgaben arbeiten müssen: "Wer mehr leisten könnte, findet darin nicht die notwendige Tiefe, und wer mit den Texten nicht zurechtkommt, hat keine Chance, damit zu arbeiten."

Mit allen Kindern und einem Lernmittel im Gleichschritt zu arbeiten funktioniere nicht. Dazu seien die Lerngruppen mittlerweile zu heterogen. Gute digitale Schulbücher würden also allen Schülern ermöglichen, in ihrem Tempo und auf ihrem Niveau zu arbeiten. Dem einen könnten Erklärvideos helfen, wer Probleme mit der richtigen Aussprache hat, könnte mit einer Spracherkennungssoftware üben.

"Das Hauptproblem ist, dass es noch keine einheitlichen Konzepte gibt, wie diese digitalen Angebote aussehen sollen", sagt Michael Kerres, Professor für Mediendidaktik an der Universität Duisburg-Essen. "Soll es ein Medium sein oder eine Plattform? Kann das kommentiert werden? Wer verwaltet das? Wie werden die Schulbuchverlage für diese Angebote bezahlt?"

André Spang beispielsweise denkt beim digitalen Schulbuch der Zukunft an eine App, ein System, das der Lehrer gestalten und an das Leistungsniveau seiner Schüler anpassen kann. Spang ist Oberstudienrat an der Kaiserin-Augusta-Schule, einem städtischen Gymnasium in Köln, und einer der Vorreiter der deutschen Digitale-Schulen-Szene. Er kritisiert, dass in deutschen Schulen oft noch die Haltung vertreten werde, das Internet halte ja nur vom Lernen ab. "Aber das Internet wird nicht wieder verschwinden - und gerade weil die Schüler ständig im Internet unterwegs sind, müssen sie lernen, wie sie sich vor den Gefahren im Netz schützen." Schule müsse zu dem Ort werden, wo der verantwortungsvolle Umgang mit den Medien erlernt wird.

"Sogar junge Referendare sehen das oft kritisch mit den digitalen Medien"

Damit es mit den digitalen Schulbüchern - wie auch immer sie aussehen mögen - vorwärts geht, müssen Schulen, Länder und Verlage gemeinsam Konzepte entwickeln, darin sind sich die Experten einig. "Jede Schule braucht eine Medienstrategie mit einem pädagogischen Konzept dahinter, sonst bringen auch Tablet und digitales Lernmaterial nichts", sagt der Mediendidaktiker Kerres. Dazu müsse auch in der Ausbildung der Lehrer noch viel getan werden. André Spang beobachtet sogar bei den jungen Referendaren, dass sie der Nutzung digitaler Medien oft kritisch gegenüberstehen, weil sie sich allein gelassen fühlen.

Eines ist jedenfalls sicher: Schulbücher sind weiter notwendig, weil sie wie ein roter Faden im Unterricht wirken - das kann auch mittels einer App oder einer Lern-Plattform im Netz funktionieren. Und das Wesentliche an einem Schulbuch bleibt der Inhalt: Nur wenn der Stoff auf eine ansprechende, intelligente, vielleicht sogar spannende Weise dargeboten ist, wird man die Schüler erreichen.

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