Deutscher Schulpreis für Gesamtschule:Mehr Platz an der Sonne

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Schon architektonisch bietet die Gewinnerschule in Wuppertal einiges: Licht, Farbe und viel Grün. Kaum ein Jugendlicher bricht hier die Schule ab. (Foto: R. Preuss)
  • Die Gesamtschule Barmen in Wuppertal ist Gewinner des Deutschen Schulpreises.
  • Nicht einmal jedes fünfte Kind kommt mit einer Empfehlung für das Gymnasium auf die Schule, dennoch schafft mehr als jedes zweite am Ende das Abitur.
  • "Ich habe selten eine Schule erlebt, an der Schüler, Lehrer und Eltern so respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen", sagt der Jury-Leiter des Schulpreises.

Von Roland Preuß, Wuppertal

Wenn Philipp, Felix, Jonas oder Michelle donnerstags ihren Raum aufsperren, geht es um die raue Wirklichkeit. Die im Internet. Die bestimmt das Dasein vieler ihrer Mitschüler wie nichts anderes. Philipp&Co laden in der Pause ein, fragen, ob manche das Gefühl hätten, dass andere über sie tuscheln, ob es sein kann, dass Gemeinheiten über sie im Netz verbreiten würden? "Mobbing im Internet ist typisch", sagt Jonas aus der 8. Klasse. Oft stammen die Attacken von Mitschülern, die werden dann hinzugebeten, um Frieden zu schließen. Cybermobbing ist inzwischen ein mächtiges Problem, das Gerichte beschäftigt. In der Gesamtschule Barmen in Wuppertal sollen die Jugendlichen selbst schlichten. Ein ziemlich große Verantwortung. Die sogenannten Medienscouts sind ein Baustein dessen, was die Gesamtschule Barmen besonders macht. So besonders, dass sie an diesem Mittwoch in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. 100 000 Euro schütten die Robert-Bosch-Stiftung und die Heidehof-Stiftung dafür aus. Der Preiswettbewerb soll Schulen dazu animieren, neue Konzepte zu entwickeln. Während sich die Bildungspolitiker in vielen Ländern an Schulformen (Gymnasium oder Gesamtschule?) verkämpfen und die Kultusminister langwierig über Gemeinsamkeiten verhandeln, verschafft der Preis Schulen mit Vorbildcharakter ein wenig Aufmerksamkeit. Am Mittwoch ehrte die Kanzlerin nun eine Schule, die für mehr Gerechtigkeit in der Bildung steht, für mehr Chancen auf dem Weg zum Abitur.

Abiturnoten oft über dem Landesdurchschnitt

Denn viele Schüler der Gesamtschule bringen von Zuhause allerlei Nachteile mit. Gut die Hälfte der etwa 1300 Schüler wächst laut Jury bei nur einem Elternteil auf, ein Drittel hat ausländische Wurzeln. Im Umkreis der Schule findet man die bröckelnden Reste einer einst bedeutenden Industrie. Ehemalige Webereien, Färbereien. Dazu leer stehende Häuser. Obwohl nicht einmal jedes fünfte Kind mit einer Empfehlung für das Gymnasium auf die Schule kommt, schafft mehr als jedes zweite am Ende das Abitur - oft mit Noten über dem Landesdurchschnitt.

Wie gelingt das der Schule? Auf diese Frage zählt die Leiterin Bettina Kubanek-Meis eine Reihe von Instrumenten auf. Eines der wichtigsten jedoch sei die Verantwortung, welche die Schüler hier tragen - so wie die Medienscouts. Jeder soll seine Aufgabe erledigen. Es gibt ein eigenes Team für den Schulteich, jugendliche Sanitäter, sogar "Energiewächter", die dazu beigetragen haben, dass die Schule Tausende Euro Stromkosten eingespart hat. So schafft man Bindung zur Schule. Selbst die teuren Tablet-Computer vertrauen die Lehrer Schülern an, die dann die Geräte auf Bestellung ins Klassenzimmer bringen. Noch nie hat ein Schüler ein Gerät gestohlen.

Kubanek-Meis und ihre Kollegen beteiligen die Schüler an Entscheidungen, und sie versuchen, Vertrauen zwischen Lehrern und Kindern wachsen zu lassen, während in anderen Schulen so oft eine latent feindliche Atmosphäre zwischen dem da vorne und den Schülern herrscht.

In Wuppertal erleben die Kinder und Jugendlichen zwischen der 5. und der 10. Klasse nur zwei Klassenlehrer. So kann sich eher eine persönliche Beziehung entwickeln, als wenn der Ansprechpartner jedes Jahr wechselt. Das hilft, wenn manche schulmüde werden, wenn die Probleme zu Hause sie erdrücken, sie keinen Sinn mehr darin sehen, jeden Morgen aufs Neue in die Schule zu kommen: In den vergangenen Jahren hat fast keiner die Schule abgebrochen. "Ich habe selten eine Schule erlebt, an der Schüler, Lehrer und Eltern so respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen", sagt der Innsbrucker Erziehungswissenschaftler Michael Schratz, der die Preis-Jury leitet. Man kann diesen Respekt auch sehen, am Schulgebäude. Es ist eine Besonderheit: Eine riesige Glasfront lässt die Sonne ins Gebäude fluten, der Lauf zwischen den Klassenzimmern ähnelt dank der Tropenpflanzen eher einem Zoobesuch als einem Gang zum Klassenzimmer. Bereits 17 Jahrgänge hat das Haus hinter sich. Aber man sieht es ihm nicht an. Es gebe kaum Vandalismus, sagt eine Lehrerin. Eines der Hauptinstrumente ihres Erfolges sei das gemeinsame Lernen, sagt Schulleiterin Kubanek-Meis und wagt sich damit auf politisches Terrain. In ihrer Gesamtschule lernen die Schüler bisher bis zur 9. Klasse gemeinsam, egal, wie gut sie sind. Erst dann werden sie aufgeteilt in sogenannte G- und E-Kurse. Nur wer im "Erweiterungskurs" landet, kann sich Hoffnung machen auf das Abitur. "Wir sehen eine große Gefahr darin, Kinder früh mit einem Label zu versehen", sagt Kubanek-Meis. Dies demotiviere die Schüler, die bei den Leistungsschwächeren landen. Denn, wer einmal auf G-Niveau gelandet ist, für den wird der Aufstieg schwierig. "Wir entscheiden dies, wenn den Schülern die Hormone über beiden Ohren stehen", sagt die Schulleiterin. Sie ist gegen eine frühe Auslese, so wie sie gerade in unionsgeführten Ländern noch immer praktiziert wird. Allerdings müsse nun auch sie selbst im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen früher trennen, kritisiert die Schulleiterin. Das neue Schulgesetz schreibe ihr vor, schon von der siebten Klasse an auf G und E aufzuteilen.

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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