Der Referendar über die Einsatzschule:Hätte schlechter laufen können

Kolumne "Der Referendar"

Ein Städter auf dem Land: Referendar Pascal Grün.

(Foto: SZ.de/Katharina Bitzl)

Stadtmensch Pascal Grün ist schockiert von der ländlichen Idylle, die seine neue Arbeitsstätte umgibt: An der Schule gibt es nicht mal Wlan! Immerhin sein Wohnungsproblem kann der Referendar schnell lösen.

Kolumne "Der Referendar"

Pascal Grün ist 27 Jahre alt und unterrichtet als Referendar an einem bayerischen Gymnasium die Fächer Französisch und Spanisch. Auf SZ.de berichtet er regelmäßig über seine Erlebnisse als Referendar. Pascal Grün ist ein Pseudonym - zu seinem eigenen Schutz und zum Schutz der Personen, über die er schreibt. Ansonsten ist "Der Referendar" aber maximal offen und ehrlich.

Nach einem Wochenende voller Niedergeschlagenheit wegen meiner Versetzung normalisiert sich die Gefühlslage langsam wieder. Nachdem ich mich näher mit der fränkischen Geografie befasst habe, weiß ich nun, dass das Kaff, in das ich versetzt wurde, nicht allzu weit von einer Stadt entfernt ist. Ein Auto habe ich nicht, doch es gibt gute Zugverbindungen, weshalb ich plane, dorthin zu ziehen und an meine Schule zu pendeln. In Großstädten wie München hat man ja auch nicht selten einen Arbeitsweg von 45 Minuten oder länger. Online mache ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft, am besten voll möbliert, damit ich den Umzug nicht groß abwickeln muss. Denn trotz allem hoffe ich ja, Ende des Schuljahres wieder zurück nach Hause zu dürfen.

Als ich Kontakt mit meinem neuen Gymnasium aufnehme, bin ich positiv überrascht. Die Sekretärin ist äußerst zuvorkommend (ihr Dialekt ist für mich, sagen wir, gewöhnungsbedürftig) und sogar Mitleid glaube ich in ihrer Stimme vernehmen zu können: "Sie werden sehen, Herr Grün, es wird Ihnen sicher gefallen bei uns und wahrscheinlich wollen Sie am Ende gar nicht mehr weg." Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, aber dennoch gelingt es der Dame, mich aufzuheitern. Wir vereinbaren einen Termin für meinen Antrittsbesuch und meine anfängliche Hysterie legt sich zunehmend, wie auch generell die Stimmung unter meinen Referendarskollegen deutlich verbessert erscheint.

Die Wohnungssuche startet etwas schleppend, weil ich wegen Zeit- und finanziellem Druck nicht vor Ort sein kann. Dank moderner Technologien gibt es immerhin die Möglichkeit, mit einigen WGs via Skype zu sprechen. Und siehe da: In einer 3er-WG in zentraler Lage ist ein Zimmer zur Zwischenmiete frei. Perfekt für mich! Das Skype-Telefonat verläuft nett und nach 20 Minuten habe ich das Zimmer. Hoffentlich geht das gut, wo ich doch die Bude noch nicht einmal gesehen habe.

Reise gen Norden

Verschlafen und auch etwas nervös marschiere ich wenige Tage später den Bahnsteig entlang, um in den Zug zu meiner künftigen Wirkungsstätte zu steigen. Das wird ein langer Tag, denke ich, denn nach der Vorstellung am neuen Gymnasium möchte ich noch meine künftige WG samt ihrer Bewohner kennenlernen, ehe ich abends wieder die Heimreise antrete.

"Oh Gott!", entfährt es mir, als ich Stunden später in der tiefsten Provinz den Zug verlasse. Manch einer kann einer solch ländlichen Idylle sicher Positives abgewinnen - ich nicht. Ich bin Großstadtmensch durch und durch. Trotzdem versuche ich, unvoreingenommen ans Werk zu gehen und immerhin ein Gutes hat die Sache: Obwohl mich hier mein mobiles Internet im Stich lässt, finde ich rasch meinen neuen Einsatzort, denn allzu groß ist das Städtchen ja nicht.

Freundliches Landvolk

Von außen wirkt das Schulhaus modern und einladend. Die Schüler sind hilfsbereit und weisen mir den Weg ins Sekretariat, wo ich von der Sekretärin herzlich und namentlich empfangen werde (all zu viele Fremde verirren sich offenbar nicht hierher). Sogar die Direktorin nimmt sich Zeit für mich und weist mich kurz in die Charakteristika ihrer Bildungsstätte ein. Auch im Lehrerzimmer stellt sich jeder Kollege unaufgefordert vor und heißt mich Willkommen. An einer großstädtischen Schule wäre das undenkbar. Da werkelt jeder vor sich hin und schert sich wenig um die Neuen. Nach einem halben Jahr ist der Referendar sowieso wieder weg, wozu sich seinen Namen merken.

So nett das Kollegium zu sein scheint, so miserabel ist die technische Ausstattung. An der Schule gibt es kein WLAN und auch Beamer und Whiteboards suche ich vergebens. Meine Kollegen berichten, dass auch Drucken eher schwierig sei - besser, man drucke daheim und kopiere lediglich im Schulhaus - und dass der Farbkopierer regelmäßig streike. Nach einem halben Jahr an meiner perfekt ausgestatteten Seminarschule schlucke ich schwer. In meiner Q11 verging vergangenes Halbjahr keine Stunde ohne Beamer, über den ein Clip im Internet gezeigt oder ein Blick in die aktuellen Nachrichten geworfen wurde.

"Keine Sorge, man gewöhnt sich dran. Basisarbeit mit Lehrbuch und Tafel", versucht man mich aufzubauen. Vielleicht ist es ganz gut, solche puristischen Verhältnisse auch kennenzulernen, denn nicht an jeder Schule können perfekte Bedingungen herrschen. Mit einer Menge Eindrücke verabschiede ich mich und ziehe weiter zur Wohnungsbesichtigung.

Stadtmensch bleibt Stadtmensch

Die nahe fränkische "Metropole" ist mir überraschend sympathisch und ich fühle mich trotz des wolkenverhangenen Himmels auf Anhieb wohl. Mein Wohnhaus befindet sich inmitten des Zentrums, umgeben von Geschäften und Restaurants - auf ein bisschen Großstadtatmosphäre muss ich also nicht komplett verzichten. Die Wohnung ist eine typische Studentenbude, aber ordentlich und gemütlich. Durchaus kann ich mir hier das ein oder andere nächtliche Beisammensein vorstellen. In der WG-Küche angelangt, stoße ich mit meinen Mitbewohnern mit einem Feierabendbier auf unser künftiges Zusammenleben an. Hätte schlechter laufen können!

Meine Entscheidung, in die mittelgroße Stadt anstelle des kleinen Städtchens zu ziehen, war für mich sicher die richtige, denke ich später auf der Rückfahrt. Meine Freizeit ist mir viel zu wichtig, als dass ich in der Kleinstadt versauern möchte. Die Arbeit an der Schule wird zwar gewiss eine Umstellung bedeuten und mich vor die ein oder andere Herausforderung stellen, doch wegen der netten Kollegen und Schüler wird sie hoffentlich auch Spaß machen.

Sowieso wird sich einiges ändern. Ich muss deutlich mehr Stunden halten und auch mehr Klassen betreuen. Im Einsatzjahr werden wir Referendare mehr von der Leine gelassen. Erstellung, Korrektur und Bewertung der Klassenarbeiten werde ich so gut wie eigenständig erledigen dürfen und müssen, sämtliche organisatorischen Angelegenheiten wie Absenzen, Elterngespräche oder Ordnungsmaßnahmen ebenso. Im Gegenzug werde ich nicht mehr permanent unter Beobachtung stehen.

Aufgeregt, aber zuversichtlich überquere ich im Zug den Weißwurstäquator für das vorerst letzte Mal von Nord nach Süd.

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