Der Referendar über den ersten Schultag:Das fängt ja gut an

Kolumne "Der Referendar"

An das frühe Aufstehen muss sich Referendar Pascal Grün erst noch gewöhnen.

(Foto: SZ.de/Katharina Bitzl)

Nein, ich habe die Schule noch nicht geschmissen. Sonstige Erkenntnisse meines ersten Schultages als Referendar reichen von poststudentischem Kater bis zur Schwimmbad-Krise. Ein Protokoll.

Kolumne "Der Referendar"

Pascal Grün ist 27 Jahre alt und unterrichtet als Referendar an einem bayerischen Gymnasium die Fächer Französisch und Spanisch. Auf SZ.de berichtet er regelmäßig über seine Erlebnisse als Referendar. Pascal Grün ist ein Pseudonym - zu seinem eigenen Schutz und zum Schutz der Personen, über die er schreibt. Ansonsten ist "Der Referendar" aber maximal offen und ehrlich.

06:00 Uhr: Der Wecker klingelt - mitten in der Nacht. Was geht hier vor sich? Ein Blick auf die Digitalanzeige, Fassungslosigkeit, es ist tatsächlich schon Zeit zum Aufstehen. Nur drei Stunden, nachdem ich ins Bett gegangen bin. Denn aus dem einen Bier mit Freunden sind gestern Abend ein paar mehr geworden. Nicht der Aufregung wegen (okay, ein bisschen nervös bin ich allmählich auch), sondern einfach weil es lustig war. Wie immer, wenn sich der Stammtisch meiner Unileute trifft. Ich wollte mein Studentenleben bis zum Letzten auskosten - das rächt sich nun. Das Spiel ist aus! Ich muss aufstehen, ich bin jetzt Lehrer.

07:15 Uhr: Auf dem Schulweg gehe ich im Kopf noch einmal all die Tipps von schadenfrohen Freunden und Bekannten durch. Das Pfefferspray habe ich nicht dabei und auch auf die kugelsichere Weste habe ich verzichtet. In Sachen Outfit habe ich die Hinweise eines guten Freundes beherzigt, der mit einem Augenzwinkern meinte: "Bloß kein Feinrip-Tanktop!" Ansonsten verlasse ich mich auf die Worte meiner Schwester: "Sei einfach du selbst, dann werden sie dich lieben müssen!"

07:50 Uhr: Ankunft im Gymnasium, hier also werde ich arbeiten. Der Geräuschpegel ist enorm: das Bimmeln von Fahrradklingeln, Geschrei, der Schulgong. An der Bushaltestelle stehen ein paar ältere Schüler und rauchen. Normalerweise rauche ich nur, wenn ich auch trinke, aber jetzt hätte ich gute Lust, mich zu ihnen zu stellen und sie um eine Kippe anzuhauen. Ja, ich habe die Hosen voll, aber ich lasse mir nichts anmerken und betrete (hoffentlich) selbstbewussten Schrittes das Schulhaus.

08:00 Uhr: Die meisten anderen Referendare sitzen bereits im Konferenzraum, in Hufeisenform, wie auch sonst? "Morgen!" Irritierte Blicke, das fängt ja gut an. Meinem ersten Eindruck nach ist die Gruppe der etwa 25 Junglehrer repräsentativ für die Typen, mit denen ich auch schon im Studium zu tun hatte.

Da ist die klassiche Lehrerin mit Hosenanzug und überdimensionaler Ledertasche (ich tippe auf die Fächerkombi Deutsch/Geschichte) der Mainstream-Normalo (Sport/Bio, eventuell auch Erdkunde), das aufgebrezelte Modepüppchen (Deutsch/Musik), der Typ mit bis oben zugeknöpftem Hemd und Nickelbrille (irgendwas Naturwissenschaftliches) und - fast hätte ich sie übersehen - die graue Maus (könnte alles unterrichten außer Kunst). Alle sind sie sichtlich angespannt.

08:12 Uhr: Ich fasse es nicht! Nach ein paar einführenden Worten des Direktors finde ich mich in einem Kennenlernspiel wieder. Ich schwöre mir, meine künftigen Schüler mit Derartigem zu verschonen und schiele in Richtung Tür. Prompt erwischt es mich kalt: "Herr Grün, Sie sehen so aus, als könnten Sie es gar nicht abwarten, loszulegen. Was erhoffen Sie sich denn von Ihrer Zeit hier - lassen Sie uns teilhaben!"

Hausmeister mit Vokuhila

10:20 Uhr: Organisatorisches, Bürokratisches, noch und nöcher - und einer hat immer etwas nachzufragen oder auszusetzen. Der Lehrer an sich hört sich ja bekanntlich gerne selbst reden. Mir graut jetzt schon vor der ersten GLK (Gesamtlehrerkonferenz, Anm. d. Red.).

11:50 Uhr: Schüler haben wir bislang nur aus der Ferne gesehen. Jetzt steigen wir in den Keller hinab, um uns beim Hausmeister unsere Schlüssel zu holen. Es geht durch ein Labyrinth aus Gängen und ich frage mich, wie ich mich hier je allein zurechtfinden soll. Meine Überlegungen nehmen ein abruptes Ende, als ich den Hausmeister erblicke: Er trägt tatsächlich Vokuhila! Und er raucht in seinem Kellerkabuff! Mehr Klischee geht nicht. Als wir uns auf den Rückweg machen, habe ich einen Freund gewonnen - und eine Zufluchtsstätte: Wann immer mir die Schüler auf die Nerven gehen, Sepps Kabuff steht mir offen.

13:05 Uhr: Wegen irgendeines organisatorischen Anliegens hat es mich ins Sekretariat verschlagen. Ich erinnere mich an die Worte eines befreundeten Lehrers: "Pascal, stell' dich mit den Sekretärinnen gut! Sie sind die wahren Bosse." Ich packe mein Zahnpastawerbung-Lächeln aus, setze Bambiaugen auf und mache charmante Bemerkungen über die Frisur der Sekretärin. Hilfsbereit nimmt sie sich meines Anliegens an und wiederholt meinen Namen: "Wenn Sie wüssten, wie viele Gesichter ich mir über die Jahre merken musste! Aber Sie kenn' ich ja jetzt, Herr Grün." Ich grinse zufrieden.

14:12 Uhr: Den Referendarinnen steht der blanke Horror ins Gesicht geschrieben. Eine Kollegin hat uns Junglehrer um Unterstützung für den bevorstehenden Wandertag gebeten: Sie geht mit ihrer Klasse ins Schwimmbad und hat noch keine Begleitung. Zunächst verstehe ich die Aufregung nicht. "Joa, dann gehe ich halt ins Schwimmbad", sage ich, und denke: "Das dauert wenigstens nicht so lange." Doch meine weiblichen Kolleginnen brechen fast in Tränen aus bei dem Gedanken, gleich in der ersten Woche vor einer Horde pubertierender Neuntklässler die Hüllen fallen lassen zu müssen. Sie befürchten einen Autoritätsverlust.

Für mich unerwartet: Einzig die graue Maus bleibt cool und erklärt sich bereit, mich ins Schwimmbad zu begleiten. Für mein Klischeedenken heute morgen wurde ich gerade abgewatscht.

14:45 Uhr: Die Gemüter haben sich beruhigt, wir tauschen uns im Referendarszimmer (quasi das Pendant zum Kindertisch bei Familienfeiern) über den ersten Tag aus. Die Atmosphäre wirkt gelöster als am Morgen. Kurz schweifen meine Gedanken ab: Was meine Unileute wohl gerade machen, überlege ich wehmütig. Doch dann beschließe ich, mein Glück in die Hand zu nehmen: "Lasst uns noch auf einen Absacker gehen!"

Verwunderte Blicke, das erste zögerliche Nicken (die graue Maus - wir werden wohl noch Freunde), andere schließen sich an. Geschlossen pilgern wir in Richtung Biergarten.

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