Der Referendar über den Elternabend:Strenge, Schüchterne und Übermütter

Kolumne "Der Referendar"

Kolumne "Der Referendar"

(Foto: SZ.de/Katharina Bitzl)

An Pascal Grüns erstem Elternabend als verantwortlicher Lehrer werden schwitzige Handschläge verteilt, Daumenschrauben gefordert und Klischees bestätigt. Eine Elterntypologie.

Kolumne "Der Referendar"

Pascal Grün ist 27 Jahre alt und unterrichtet als Referendar an einem bayerischen Gymnasium die Fächer Französisch und Spanisch. Auf SZ.de berichtet er regelmäßig über seine Erlebnisse als Referendar. Pascal Grün ist ein Pseudonym - zu seinem eigenen Schutz und zum Schutz der Personen, über die er schreibt. Ansonsten ist "Der Referendar" aber maximal offen und ehrlich.

Das war's, mein erster Elternabend als verantwortlicher Lehrer ist vorbei. Die wichtigste Nachricht zu Beginn: Nach dem eng getakteten Gesprächsmarathon ist mein Kopf noch dran. Die Eltern sind gar nicht so schrecklich, wie meine Referendarskollegen und auch ich das immer befürchtet haben. Nun sitze ich im Lehrerzimmer und denke über die grundverschiedenen Typen von Eltern nach.

Die Übermutter

16:50, zehn Minuten vor dem eigentlichen Beginn klopft es an meiner Tür. Ich bin überrascht, dass die erste Schülermutter schon bereit steht. Sie habe einen straffen Zeitplan und es käme ihr sehr gelegen, wenn wir etwas früher als geplant beginnen könnten, meint sie. Um ein bisschen zu plaudern, frage ich, ob sie leicht her gefunden hat. "Selbstverständlich. Ich kenne die Räumlichkeiten ja bereits von den vergangenen Jahren." Mir dünkt: Ich habe es mit einer Expertin zu tun.

Über alles weiß sie genauestens Bescheid: die Noten, das Unterrichtsgeschehen, den Lehrerwechsel, die Hefteinträge... Ich komme kaum zu Wort. Gelegentlich nicke ich zustimmend oder bringe ein "Hmm, ja" vor. Das Paradoxe: Eigentlich gibt es nicht viel zu besprechen. Ihr Sohn ist ein guter Schüler, der brav seine Hausaufgaben erledigt und im Unterricht ordentlich mitarbeitet. Der Monolog, äh, das Gespräch dauert trotzdem insgesamt 15 statt der vorgesehen fünf Minuten, weshalb ich nun auch verstehe, was die Dame mit ihrem straffen Zeitplan meinte.

"Helikoptereltern" heißt der Fachbegriff, der seit Jahren durch die Medien geistert. Es sind Eltern, die ihren Kindern kaum Luft zum Atmen lassen - zur Selbstständigkeit ihrer Zöglinge trägt die übergroße Fürsorge nicht bei. Eine Kollegin sieht in diesem Phänomen gar einen Wettkampf, der zwischen Gluckenmüttern bereits im Kindergarten entsteht. Wer backt die ausgefallensten Bio-Muffins, wer hat das am besten ausgebildete Aupairmädchen aus Fernost? Als Junglehrer würde ich sagen: Eltern, die Interesse am schulischen Geschehen zeigen, sind toll. Noch toller aber sind Eltern, die ihrem Nachwuchs die Chance geben, sich ohne Druck zu entwickeln.

Der Lockere

Nach dieser ersten intensiven Begegnung bin ich um so erleichterter ob der Entspanntheit des folgenden Gesprächs. Der Vater der nächsten Schülerin ist leger gekleidet und tritt auch so auf. Er wolle einfach mal hören, wie sich seine Tochter so mache. Meine Beobachtungen zum Lernverhalten und Leistungsstand seines Kindes vernimmt der Herr interessiert und wir führen ein sehr angenehmes Gespräch. Ich höre heraus, dass die Eltern das Kind ein Stück weit unterstützen, vor allem aber zur Selbstständigkeit erziehen möchten. Gute Einstellung, denke ich, behalte meine Meinung aber für mich.

Denn die Tochter des Mannes ist eine hervorragende Schülerin, deren soziale Kompetenz gut ausgeprägt ist. Dass elterliches Laissez-faire bei schwächeren und eventuell zudem undisziplinierten Schülern funktioniert, würde ich zumindest bezweifeln.

"Ah, der Depp"

Der Schüchterne

Ein kaum vernehmbares Klopfen kündigt den nächsten Elternabendbesucher an. Vor der Tür steht ein sichtlich unsicherer Schülervater. Beim Handschlag merke ich, dass seine Nervosität die Transpiration der Handinnenflächen angeregt hat. Durch lockeres und freundliches Auftreten versuche ich, dem Mann ein wenig von seinem offensichtlichen Unbehagen zu nehmen. Seine leicht schnappende Atmung zeugt aber weiterhin davon, dass ihm die Situation unangenehm ist. Er spricht sehr leise und ich muss mich enorm konzentrieren, um ihn zu verstehen.

Sein Sohn habe zwar keinerlei Probleme in Sachen Noten, flüstert er, aber er würde von mir gern wissen, wie er sich denn in der Klassengemeinschaft mache. Ich zögere einen Moment, ehe ich antworte. "Mark ist soweit gut integriert. Allerdings sollte er an seinem Selbstbewusstsein arbeiten. Er meldet sich selten zu Wort, obwohl er die Antwort immer weiß, wenn ich ihn aufrufe. Und auch bei Präsentationen fühlt er sich merklich unwohl." Jetzt, wo ich Marks Vater kenne, wundert mich das allerdings nicht mehr.

Der Strenge

Im Anschluss das totale Kontrastprogramm: Jemand hämmert energisch an die Tür, die aufgerissen wird, ehe ich mich von meinem Stuhl erhoben habe. "Was hat mein Junge denn jetzt schon wieder ausgefressen?" Mir sitzt der rabiate Vater eines aufgeweckten, humorvollen, aber recht leistungsschwachen Schülers aus meiner 7. Klasse gegenüber.

Ich berichte davon, dass ich Alex mit der Stegreifaufgabe wohl ziemlich überrascht habe, obwohl sie durch die Blume angekündigt war. "Ah, der Depp. Bei dem müssen Sie ruhig die Daumenschrauben andrehen. Und ich werde dem zu Hause einen ordentlichen Einlauf verpassen, dann sollte es die nächsten Wochen wieder laufen." Die Strenge in seinem Ton schafft ein unangenehmes Klima und ich rudere mit versöhnlichen Aussagen über den Schüler ein wenig zurück, weil ich das Gefühl habe, ihn in Schutz nehmen zu müssen. Angstfreies Lernen sieht anders aus und die eine oder andere schlechte Leistung des Schülers erklärt sich mir jetzt.

Die Engagierten

Gen Ende des Elternabends empfange ich die Eltern eines türkischstämmigen Kindes. Beide sind elegant gekleidet und begrüßen mich höflich in nahezu akzentfreiem Deutsch. Sie treten fast demütig auf und ich habe das Gefühl, als Lehrer ihren größten Respekt zu genießen. Auch mal ein schönes Gefühl.

Ihr Sohn, ein netter, dynamischer Junge, hat einige Probleme in Französisch und der Vater notiert akribisch mit, wo meiner Meinung nach Lücken zu schließen sind. Die Mutter erklärt mir, dass sie selbst ihrem Sohn nicht helfen könnten, da sie kein Französisch sprächen, aber eine Nachhilfelehrerin engagiert hätten, um das Klassenziel zu erreichen. Ich merke, wie wichtig den Eltern der Schulerfolg ihres Kindes ist und dass sie keine Mühen scheuen, ihm durch gute Bildung einen sorgenfreien Lebensweg zu ermöglichen.

Ich denke an meine zwei großartigen türkischstämmigen Referendarskollegen von der Seminarschule und hoffe auf viele weitere Schüler und Kollegen, die Beispiele gelungener Integration liefern.

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