
Die Situation ist absurd, eigentlich nur noch mit Humor auszuhalten: "Kannst du mich demnächst erst wecken, wenn der Mist funktioniert?", zitierte ein Twitter-User am vergangenen Montag sein Kind. Zwei Minuten nach Beginn des Distanzunterrichts hatte es entnervt aufgegeben - die Lernplattform war mal wieder in die Knie gegangen.
Humor kann helfen, widrige Lebensumstände nervlich heil zu überstehen, doch in der Pandemie geht er den meisten, die mit Schule zu tun haben, mittlerweile ab. Zusammenbrechende Server hatte es bereits vor den Weihnachtsferien zuhauf gegeben. Dass Millionen Schülerinnen und Schüler aber auch danach wegen technischer Pannen wieder am Fernlernen scheitern, macht viele nur noch wütend. "Bund und Länder müssen jetzt Geld in die Hand nehmen und Serverkapazitäten massiv ausbauen. Sonst enden diese Wochen in einem Desaster", warnte der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Dario Schramm, am Freitag.
Am Tag davor war das "Deutsche Schulbarometer" veröffentlicht worden. Es beleuchtet die andere Seite, die Sicht der Lehrkräfte. Laut der repräsentativen Umfrage, durchgeführt im Dezember, können zwar 78 Prozent der Schulen mittlerweile auf einer digitalen Plattform mit Schülern kommunizieren und Aufgaben einstellen sowie bewerten. Aber nicht einmal jede zweite Schule vermag, Unterricht mithilfe von Videokonferenzen abzuhalten. Bedenkt man zudem die aus vielen Bundesländern gemeldeten Server-Ausfälle, ist unschwer zu erahnen: Der Distanzunterricht - Ultima Ratio in der Corona-Krise - frustriert auch viele Lehrende.
Wie transportieren Lehrkräfte unter diesen Umständen ihren Unterricht zum Empfänger? Die E-Mail ist laut Schulbarometer noch genauso wichtig wie im ersten Lockdown im Frühjahr 2020: Acht von zehn Lehrern nutzen dieses Medium. Aber nur jeder vierte übermittelt Unterricht in Echtzeit per Stream oder Videokonferenz. Und nur jeder fünfte nutzt digitale Lernformen für Gruppenarbeit. Auffällig: Während Lehrkräfte an weiterführenden Schulen digitale Tools häufiger gebrauchen, um ihren Adressaten direkte Lernrückmeldungen zu geben, Aufgaben zu besprechen oder zu korrigieren, bieten Lehrkräfte an Förderschulen ihren Schülern digitale Tools eher zum eigenständigen Üben an.
Mit diesem Mangel an persönlichem Austausch mag zusammenhängen, dass Lehrer vor allem bei Förderschülern und -schülerinnen schon im Dezember erhebliche Lernrückstände registrierten. 56 Prozent der Befragten sehen bei mehr als der Hälfte der Kinder und Jugendlichen messbare Defizite. An Gymnasien sagen dies lediglich 32 Prozent der Lehrkräfte. "Vor allem benachteiligte Schülerinnen und Schüler brauchen jetzt Unterstützung", fordert Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung bei der Robert-Bosch-Stiftung, die das Schulbarometer in Auftrag gibt.
Überfällig ist laut Wolf bei allen Schularten eine systematische Unterrichtsentwicklung, da oft noch verbindliche Konzepte für eine möglichst hohe Qualität im Fern- und Wechselunterricht fehlten. Wie etwa Schüler mit Lernschwierigkeiten individuell unterstützt werden können, werde in weniger als jeder vierten Schule verbindlich vorgegeben. Förderschulen stehen in dieser Hinsicht nur wenig besser da. Und bei der Frage, wie sie während des krisenbedingt eingeschränkten Unterrichts den Kontakt zu ihren Schülern und deren Familien aufrechterhalten, fallen sie laut Studie sogar deutlich zurück: Nur vier von zehn Schulen haben hierfür ein einheitliches Konzept. Bei Gymnasien sind es immerhin fast sieben von zehn.