"Das ABC der Geschlechtergleichheit in der Bildung. Begabung, Verhalten, Selbstvertrauen" - so heißt übersetzt der erste OECD-Report, der sich ausschließlich mit den Leistungsdifferenzen von Jungen und Mädchen befasst. Die gute Nachricht: Im vergangenen Jahrzehnt haben alle von der OECD untersuchten Länder signifikante Fortschritte gemacht, was die Annäherung der Geschlechter bezüglich des Bildungsstands betrifft. Auch am Arbeitsmarkt, zum Beispiel beim Thema Gehalt, schätzt die OECD die Entwicklung als insgesamt positiv ein. "Begabung kennt kein Geschlecht", ist eine der Kernaussagen des Berichts.
Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick.
Leistungsschwache Jungen
Trotz eines grundsätzlich positiven Trends gibt es natürlich diverse - alte und neue - Baustellen im Bildungswesen. Besonders um die Jungen muss man sich in vielerlei Hinsicht Sorgen machen. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass junge Männer in der Schule geringes Engagement zeigen und selbige frühzeitig und sogar ohne Abschluss verlassen, signifikant höher als bei ihren Altergenossinnen. Dementsprechend hielten deutlich mehr Jungen als Mädchen in den OECD-Ländern die Schule für Zeitverschwendung.
Die Pisa-Studie von 2012 hatte ergeben, dass 14 Prozent der Jungen, aber nur neun Prozent der Mädchen in keiner der drei getesteten Fertigkeiten zumindest grundlegende Kompetenzen erkennen ließen. Überprüft wurden die Lese- und mathematische Kompetenz sowie das naturwissenschaftliche Grundwissen. Insgesamt waren sechs von zehn Schülern aus der leistungsschwächsten Gruppe Jungen. Die Gründe für ihr schwaches Abschneiden erläutert der OECD-Bericht wenig überraschend, aber einleuchtend: Sie verbringen wöchentlich eine Stunde weniger Zeit mit Hausaufgaben als die Mädchen, beschäftigen sich dafür deutlich mehr mit Videospielen. Und sie lesen weniger.
"Das Lesevermögen ist das Fundament, auf dem fast der gesamte weitere Lernerfolg gründet", schreibt die OECD, "wenn Jungen schlecht lesen, leidet auch ihre Leistung in allen anderen Schulfächern."
Mädchen mit geringem Selbstvertrauen
Die gezielte Förderung der Mädchen in vielen Bereichen über die vergangenen Jahrzehnte hat sich bezahlt gemacht. Bei den Lesefertigkeiten sind sie den Jungen in fast allen OECD-Ländern überlegen und auch in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern haben sie aufgeholt. Das "Matheproblem" ist dennoch längst nicht gelöst, wie die OECD in ihrem Bericht feststellt. So zeigten deutlich mehr Mädchen als Jungen ein geringes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, wenn es um das Lösen mathematischer Probleme ging. Auch gaben signifikant mehr Mädchen - das gilt auch für die leistungsstärksten - an, eine Abneigung gegenüber Mathematik zu empfinden.
Interessant dabei: Die begabtesten Jungen erzielten beim Pisa-Test 2012 im Bereich Mathematik 19 Punkte mehr als die begabtesten Mädchen. (Bei den Pisa-Studien werden die sogenannten Kompetenzwerte in den geprüften Bereichen um den mittleren Punktewert 500 angeordnet.) Vergleicht man allerdings Mädchen und Jungen, deren Selbstvertrauen bezüglich mathematischer Aufgaben nach eigenem Bekunden auf gleichem Niveau lag, so verschwand die Leistungsdifferenz. Der Unterschied scheint also tatsächlich nichts mit Begabung zu tun zu haben, sondern vielmehr mit der Psyche.