Buch über angehende Lehrer:"Referendare sind nicht zu beneiden"

Angehende Lehrer, Referendariat

Erst mit Beginn des Referendariats entscheidet sich für viele angehende Lehrer, ob sie gerne unterrichten.

(Foto: dpa)

Lehrer ergreifen ihren Beruf vor allem wegen des Beamten-Status und der vielen Ferien? Der Journalist Thorsten Wiese hat Referendare gefragt, was sie zum Studium bewogen hat - und wovor sie sich am meisten fürchten.

Von Johanna Bruckner

Die Neugier hat Thorsten Wiese dazu getrieben, ein Buch über Referendare zu schreiben. Wiese, 38, ehemaliger Klosterschüler und Vater eines bald schulpflichtigen Sohnes, wollte wissen: Was sind das für Leute, die bald mein Kind unterrichten werden? Dazu sammelte der Journalist mehr als 50 Erfahrungsberichte von angehenden Pädagogen.

SZ.de: Herr Wiese, wenn Sie heute noch mal einen Beruf wählen würden - wäre Lehrer eine Option?

Thorsten Wiese: Nein. Ich habe zwar im Laufe meines Anglistik-Studiums immer wieder mal mit dem Gedanken gespielt - mit diesem Fach werden ja viele Lehrer. Aber nach den Recherchen für mein Buch bin ich froh, dass ich mich dagegen entschieden habe. Referendare sind nicht zu beneiden. Sie werden wie Marionetten von den verschiedenen Parteien hin und her gezogen: Schulleitung, Seminarleiter, Schüler und Eltern.

Angehende Lehrer müssen sich immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, sie wollten nur wegen des Beamten-Status und den vielen Ferien Lehrer werden.

Die meisten wollen schon Lehrer werden und nicht Beamte. Allerdings scheint manche Referendare mehr die Idee inspiriert zu haben, ihr Fach zu unterrichten, als Kindern etwas beizubringen. Sie haben weder praktische Erfahrung im pädagogischen Bereich noch sich je gefragt: Liegt mir dieser Beruf überhaupt? Dann stehen sie plötzlich vor einer Klasse und merken, was es tatsächlich heißt, Lehrer zu sein. Eine Gruppe von 30 Schülern nicht nur bändigen, sondern ihr auch etwas beibringen zu müssen. Aus vielen meiner Gespräche weiß ich: Referendare, die seit ihrem zwölften Lebensjahr eine Turngruppe geleitet oder Jugendfreizeiten betreut haben, tun sich da deutlich leichter.

Aber ist diese späte Selbsterkenntnis nicht auch ein Armutszeugnis für das Lehramtsstudium?

Das Studium bereitet offensichtlich nicht überall ausreichend auf die schulische Realität vor. Manche brechen ihr Referendariat ab, weil sie merken, dass der Beruf doch nichts für sie ist. Nach Jahren der Ausbildung ist das persönlich bitter - und sicher ist die Schuld nicht nur bei den Gescheiterten selbst zu suchen. Vor allem problematische Situationen im Klassenraum werden an der Uni zu wenig thematisiert und geübt. Wie kann es sonst sein, dass junge Lehrer bass erstaunt sind, wenn sie merken: Hoppla, meine Schüler sind ja gar nicht brav und wissbegierig, sondern aufsässig und uninteressiert. Und sie lassen sich selbst mit Drohungen und Sanktionen nicht zur Räson bringen! Auf dem Papier haben Referendare zwar gelernt, wie man eine Gruppe führt. Aber im echten Leben ist das etwas ganz anderes: Die Lärmkulisse, dazu der Druck, den Lehrplan einzuhalten - da fühlen sich manche erst mal überfordert.

Und suchen Rat im Lehrerzimmer?

Die Unterstützung der Referendare steht offenbar an vielen Schulen nicht an erster Stelle. Natürlich gibt es auch Lehrer, die dem Nachwuchs unter die Arme greifen. Aber ich habe über Bundesländer und Schulformen hinweg immer wieder Aussagen gehört wie: "Toll, ich habe die Mittelstufen-Klasse bekommen, weil sich die Kollegen nicht mit den harten Brocken rumschlagen wollten!"

"Muss man sie ins kalte Wasser werfen?"

Ein Lehrer kann sich seine Schüler nun mal nicht aussuchen.

Sicher ist es grundsätzlich richtig zu verlangen, dass Lehrer mit allen Arten von Schülern fertig werden müssen. Aber muss man sie ins kalte Wasser werfen - aus Bequemlichkeit? Fakt ist: Wenn eine Referendarin vom Land plötzlich vor einer Klasse in einem städtischen Problemviertel steht, in der es Schüler gibt mit Migrationshintergrund, Schüler, die zum zweiten oder dritten Mal eine Klasse wiederholen, Schüler, die ihr vielleicht auch körperlich überlegen sind, dann sind Autoritätskonflikte programmiert. Es sollte nicht zuletzt im Sinne der Jugendlichen sein, ein möglichst reibungsloses Lernen zu ermöglichen. Mein Eindruck ist auch, dass sich Referendare nicht in erster Linie vor schwierigen Schülern scheuen. Sie haben schlicht Angst um ihre berufliche Zukunft. Denn sie müssen im Zweifelsfall eben auch ihre examensrelevanten Lehrproben vor einer unberechenbaren Mittelstufen-Klasse halten.

Buchautor und Journalist Thorsten Wiese

Journalist und Buchautor Thorsten Wiese

(Foto: Thorsten Wiese)

Gutes Stichwort. Die Examensnote ist für angehende Lehrer allesentscheidend. Sie bestimmt, wer verbeamtet wird und wer sich von Schwangerschaftsvertretung zu Schwangerschaftsvertretung hangeln muss.

Referendare stehen unter einem unheimlichen Druck. Dabei spielen die Seminarleiter eine gewichtige Rolle. Vor Lehrproben fallen schon mal Sätze wie: "Jede Stunde muss wie ein kleines Feuerwerk sein." Der Medieneinsatz soll vielfältig sein, der angehende Lehrer pädagogisch souverän. Und selbst das Feedbackgespräch gleicht noch einer Prüfung, denn dann will der Seminarleiter ganz persönlich beeindruckt werden. So wird häufig erwartet, so empfinden das zumindest die Referendare, dass zu diesem Anlass Kaffee und die Lieblingskekse bereitstehen. Mindestens.

Gibt es ein Lehrer-Ideal, das Referendare anstreben?

Ich fand es interessant, dass die "harten Hunde" als besonders fördernd wahrgenommen und durchaus auch als Vorbild gesehen werden. Heute mutet deren Erziehungsstil fast alttestamentarisch an: keinen Widerspruch dulden, klare Unterrichtsführung durch den Lehrer, wenig Berücksichtigung von Schülerinteressen. Überraschenderweise scheint dieser Lehrer-Typ auch bei den Schülern besonders gut anzukommen. Spätestens beim Verlassen der Schule, so berichten es die Referendare, fielen von Schülerseite dann Sätze wie: "In der achten Klasse habe ich zwar über Herrn XY geschimpft. Aber rückblickend hat er mir am meisten geholfen, weil er dafür gesorgt hat, dass ich mich im Unterricht konzentriere und beteilige, dass ich mich auf den Hosenboden setze." Vor dem Hintergrund heutiger Trends in der pädagogischen Debatte finde ich das bemerkenswert.

Thorsten Wieses Buch "Nein Torben-Jasper, du hast keinen Telefonjoker" ist im Riva Verlag erschienen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: