Süddeutsche Zeitung

Brexit:"Die Wissenschaft würde unter Druck geraten"

Was bedeutet der EU-Austritt für die Unis? Boris Johnson hat zwar kürzlich ein Hilfsprogramm für die Wissenschaft angekündigt. Forscher wie Venki Ramakrishnan beruhigt aber das nicht.

Interview von Roland Preuß

Venki Ramakrishnan ist Präsident der Royal Society, einer der großen britischen Wissenschaftsorganisationen. Seine eigene Laufbahn ist wie die vieler Spitzenforscher international: Ramakrishnan wanderte einst aus Indien in die USA und dann in das Vereinigte Königreich ein. Heute arbeitet er in Cambridge. Ramakrishnan erforscht, wie Ribosomen funktionieren, das sind die Proteinfabriken in den Körperzellen. Dafür erhielt er 2009 den Nobelpreis für Chemie. Immer wieder hat Ramakrishnan sich in die Debatte um den Brexit eingeschaltet - und vor gravierenden Folgen für Forscher in Großbritannien und die Universitäten gewarnt.

SZ: Unter Boris Johnson haben Sie nun ein Kabinett der entschiedenen Brexit-Anhänger. Wie besorgt sind Sie darüber?

Venki Ramakrishnan: Ich bin besorgt in einem allgemeinen Sinn, weil ein Brexit ohne Austrittsvertrag mit der EU eine harte wirtschaftliche Belastungsprobe für Großbritannien wäre. Auch die Wissenschaft würde damit unter Druck geraten und einiges auf dem Spiel stehen, was wir gemeinsam mit EU-Partnern erreicht haben. Boris Johnson erhöht jetzt sehr die Wahrscheinlichkeit eines Brexit ohne Vertrag, er hat sich ja festgelegt, die Europäische Union am 31. Oktober zu verlassen.

Was würde die britische Wissenschaft bei einem harten Brexit potenziell am stärksten beschädigen?

Dass wir den Zugang zu europäischen Förderprogrammen verlieren. Zudem würde die Möglichkeit von vielen Forschern aus dem Ausland, sich frei zu bewegen, in Frage gestellt. Wir brauchen aber diese Mobilität, um über Grenzen hinweg zusammenarbeiten und Wissenschaftler ins Land holen zu können. Beides muss nun sichergestellt werden. Aber für uns bleibt dies nur zweite Wahl im Vergleich zur bisherigen Zusammenarbeit in der EU.

Betreffen diese Probleme auch Universitäten, die weltweit ganz vorne mitmischen wie Cambridge und Oxford?

Man muss da unterscheiden zwischen Studenten und Forschern. Die Studiengebühren sind für Bürger aus Nicht-EU-Ländern ziemlich hoch. Und diese Gebühren werden vielleicht steigen - und EU-Bürger, die bisher grundsätzlich so viel zahlen wie Einheimische, werden dann behandelt wie andere Ausländer auch. Forscher werden nicht so stark betroffen sein, es sei denn, die Regierung erschwert es ihnen hierherzukommen. Es wird sich jedenfalls auswirken und es ist schwer vorherzusagen, wie.

Großbritannien erhält viel Geld aus EU-Forschungsprogrammen. Die neue Regierung Johnson hat nun versprochen, dass sie mögliche Ausfälle ersetzt. Vertrauen Sie diesem Versprechen?

Nun ja, in einem gewissen Sinne. Ich hoffe, diese sind aufrichtig. Aber wenn an vielen Stellen wirtschaftliche Probleme hochkochen und die Regierung so viele andere Sektoren unterstützen muss, dann ist die Frage: Können sie uns helfen? Davor fürchten wir uns. Aber wir sehen auch, dass Boris Johnson in seiner Antrittsrede die Wissenschaft ziemlich oft erwähnt hat, öfter als ich es in vielen früheren Antrittsreden von Regierungschefs gehört habe.

Interview am Morgen

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Und das Versprechen, die Visa-Regeln für Forscher zu lockern?

Eine Brexit-Angst ist, dass Großbritannien so wirkt, als wolle es Talentierte nicht mehr willkommen heißen. So gesehen begrüße ich die Ankündigung der Regierung. Jetzt aber kommt es auf die Details an. Wir müssen sehen, dass die größte Gruppe der talentierten Ausländer hier aus der EU stammt. Und der größte Teil unserer Gemeinschaftsprojekte findet mit EU-Partnern statt. Bessere Visa-Regeln an sich werden die Brüche, die ein harter Brexit in der Wissenschaft verursacht, nicht ausgleichen.

Bemerken Sie bereits eine Abwanderung von Wissenschaftlern?

Wir haben bisher nur anekdotische Belege - dieser Professor hat das Land verlassen, jener hat in Großbritannien keine Stelle angetreten, sowas. Wir können noch keinen klaren Trend feststellen, bislang kann man jedenfalls nicht von einer Massenbewegung sprechen.

Deutsche Forscher an britischen Universitäten sagen, das Klima für Zuwanderer habe sich geändert: Sie müssten auf der Straße oder an der Grenze feindselige Kommentare einstecken. Hören Sie auch solche Geschichten?

Direkt nach dem Brexit-Referendum 2016 gab es wirklich widerlichen Vorfälle. Doch sogar die damalige Regierung von Theresa May, die Zuwanderung feindlich gegenüberstand, versuchte solches Verhalten strikt zu stoppen. Ich selbst bin ein indischstämmiger Amerikaner mit dunkler Haut, ich bin schon mit einigen Vorurteilen konfrontiert worden, aber das ist mir auch in den USA, in Indien oder in Deutschland passiert. In Berlin haben mich die Leute in der U-Bahn seltsam angeschaut. Vielleicht passiert dies Deutschen oder anderen Europäern nun zum ersten Mal.

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