Süddeutsche Zeitung

Erasmus:Was der Brexit für den Uni-Austausch bedeutet

Lesezeit: 4 min

Rund 5000 deutsche Erasmus-Studierende gehen Jahr für Jahr nach Großbritannien. Möglicherweise müssen sich viele bald nach einer Alternative umsehen.

Von Bernd Kramer

Beim ersten Mal war es ein Feuer, das dazwischenkam. Milena Hober* war schon startklar für ihr Praktikum an einer Uni in Schottland. Acht Wochen wollte sie dort mit dem Halogen Fluor experimentieren, vier weitere Wochen plante sie für die Auswertung der Versuche ein. Das war im vorigen Jahr.

Doch dann brannte es im schottischen Labor und der Austausch der Berliner Chemiestudentin musste verschoben werden. Jetzt will sie im Februar kommen; ihr Forschungsprojekt steht, ein Doktorand, dem sie zuarbeiten soll, erwartet sie bereits.

Doch diesmal droht der Brexit dazwischenzuspielen. "Es geht seit Monaten hin und her", sagt Hober. "Als das Parlament neulich das Gesetz gegen den No-Deal verabschiedet hat, dachte ich noch: Es klappt auf jeden Fall." Jetzt ist sie wieder unsicher. Gespannt wartet sie, ob Großbritanniens Premier Boris Johnson sich in dieser Woche mit den Staats- und Regierungschefs der EU auf einen Ausstiegsdeal einigen kann. Das Feuer im Labor wirkt gegen den drohenden No-Deal-Brexit wie der weniger brenzlige Zwischenfall.

Von einem Tag zum anderen wäre Erasmus unmöglich

Ein Austritt Großbritanniens ohne Vertrag würde nicht nur dazu führen, dass von heute auf morgen Zölle auf alle Waren fällig würden, Einreisende an den Grenzen kontrolliert würden, die Wirtschaft auf der Inseln ins Taumeln geriete. Er würde auch das Erasmus-Programm bedrohen, eine der vielleicht erfolgreichsten Errungenschaften der EU.

Mehr als vier Millionen Studierende haben seit 1987 mit einem Stipendium eine Weile an einer Uni im Ausland gelernt, allein 650 000 Teilnehmer kamen aus Deutschland. Längst gehen mit dem Programm auch Schüler, Azubis und Dozenten über die Grenze. Vor einigen Jahren verkündete die EU-Kommission sogar, dass es nach ihrer Schätzung bereits eine Million Erasmus-Babys gebe, weil ganz nebenbei die paneuropäische Liebe beflügelt würde. In Zukunft werden vielleicht ein paar deutsch-britische Kinder weniger geboren.

Für den Brexit skizziert der Deutsche Akademischen Austauschdienst im Moment jedenfalls folgende Szenarien:

  • Käme es zu einem Deal, würde sich erst einmal nicht viel ändern: In ihrem Vertrag haben Großbritannien und die EU sich auf relativ großzügige Übergangsfristen geeinigt. Bis 2022 könnte der Austausch wie bisher stattfinden. In der Zwischenzeit könnten sich die EU und Großbritannien um eine Anschlusslösung bemühen.
  • Gibt es keinen Deal, könnten zumindest alle Studierenden, die vor dem 31. Oktober zum Austausch nach Großbritannien kommen, ihren Aufenthalt wie geplant fortsetzen. Wer zum Studieren schon im Land ist, für den gibt es weiterhin das EU-Stipendium.
  • Bei einem No-Deal könnten allerdings nach dem Austritt keine Studierenden mehr mit dem EU-Stipendium. Im Erasmus-Programm gibt es zwar schon jetzt Austauschländer jenseits der EU, Anfang des Jahres ist Serbien als 34. Partnerland neu hinzugekommen. Mit Großbritannien müsste eine solche Übereinkunft aber erst ausgehandelt werden; kurzzeitig wäre kein Erasmus-Austausch mehr möglich. Das ist das Szenario, das Milena Hober derzeit Sorgen bereitet.

Nach Frankreich und Spanien ist Großbritannien bislang das beliebteste Ziel deutscher Erasmus-Studierender. 12 Prozent aller Erasmus-Teilnehmer aus Deutschland gingen zuletzt auf die Insel, insgesamt 5190 Studentinnen und Studenten. Die Brexit-Debatten der vergangenen Jahre haben an den Zahlen wenig geändert.

Die Liebe ist allerdings schon seit langem auffällig einseitig, denn den umgekehrten Weg gehen nicht einmal halb so viele Jungakademiker: Nach Deutschland kamen 2017 nach den Zahlen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes 2350 Britinnen und Briten.

Das führte dazu, dass der Erasmus-Austausch mit Großbritannien schon lange vor dem Brexit mitunter holprig lief - wie Bianca Köndgen vom Referat für Internationale Angelegenheiten der Universität Erlangen-Nürnberg berichtet. Immer wieder, sagt sie, hätten britische Partnerhochschulen ihre Erasmusverträge mit der Uni gekündigt - wegen eben solcher Ungleichgewichte.

Ein schlechtes Geschäft

"Eine britische Austauschstudentin bei uns zahlt in ihrer Heimat weiterhin erhebliche Studiengebühren und finanziert so einen Platz für einen deutschen Erasmus-Studierenden", sagt Köndgen. "Im Klartext heißt das: Da ihre Studierenden seit Jahren kaum noch ins Ausland gehen, machen die britischen Unis auf Dauer ein Minusgeschäft, wenn sie viele Studierende von uns aufnehmen."

Aus diesem schlechten Geschäft hätten sich mehr und mehr Hochschulen verabschiedet, inzwischen böte die Uni Erlangen-Nürnberg kaum noch Erasmus-Plätze in Großbritannien an. Vor allem die angehenden Englischlehrer hätten früher, als es noch genug Plätze an den Partner-Unis gab, gern ein Semester in Großbritannien studiert.

An der FU Berlin klickt sich Christina Hillig vom Referat für Studierendenmobilität durch die Rundmails der vergangenen Monate: Brexit-Update. Brexit-Update. Brexit-Update.

"Für die Studierenden ist es unschön, weil wir ihnen auch keine endgültige Aussage geben können", sagt sie am Telefon. "Im Moment dürfen wir nicht mehr fördern, wenn der Erasmus-Aufenthalt nach dem 31.10.2019 beginnen soll. Viele müssen wir abweisen."

Ob die Förderung mit einem anderen Stipendium klappt, entscheidet sich erst in letzter Minute

Oder sie müssen nach Alternativen suchen, falls Erasmus ab November nicht mehr möglich sein sollte. Der Chemiestudentin Milena Hober hat das Auslandsbüro ein anderes Programm empfohlen, um das Forschungspraktikum in Schottland zu finanzieren: Sie soll sich jetzt für ein Promos-Stipendium bewerben, das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanziert wird.

Sie ist froh darüber. Aber bangt weiter: Kommt die Zusage für das Stipendium dann noch rechtzeitig? Und was, wenn es keine Förderung gibt?

Die Zusagen für Promos, das Ausweichprogramm, würden erst im Dezember verschickt, sagt Hillig aus dem Referat für Studierendenmobilität. "Zum Teil ist das für die Studierenden sehr kurzfristig", bedauert sie, "aber wohl nicht anders umsetzbar."

Milena Hober bleibt optimistisch. Aber im schlimmsten Fall, sagt sie, würde sie ihren Aufenthalt in Schottland vielleicht in letzter Minute absagen müssen. "Dann würde ich nach Mailand oder Straßburg gehen, da gibt es auch Labore, die auf Fluor spezialisiert sind."

* Name geändert

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